Handbiken – Die neue Mobilität

Er will etwas beweisen, der schlanke, junge Mann im Radrenntrikot. Seinen Freunden, seiner Familie, sich selbst. Er will beweisen, dass der Unfall, der im Oktober 2012 sein Rückenmark und seine Wirbelsäule irreparabel verletzte, ihn nicht aufhalten wird. Der Sport, den er gewählt hat, ist Teil davon.

Liegebike F. Hüttenberger, 2013 Mit freundlicher Genehmigung von Frank Hüttenberger

„Zum Handbiken bin ich schon in der Klinik gekommen“, erzählt Frank Hüttenberger. „Zuerst liegt man ja da und denkt ‚Wie soll es jetzt weitergehen?‘ Nach und nach hab ich dann gesehen, was für Perspektiven ich habe und was ich sportlich machen kann. Ausprobiert habe ich Tischtennis, Basketball und Bogenschießen. Aber eben auch Handbiken… Und das war es dann auch, was mir von Anfang an den meisten Spaß gemacht hat. Ich bin auch vor dem Unfall gerne Fahrrad gefahren… Nicht so viel in den letzten Jahren, aber früher. Und jetzt dachte ich mir: Komm! Bleib dran!“

„Die erste richtige Tour mit dem Liegebike hab ich bei einem Handbike-Kurs im vergangenen Sommer unternommen. Zuerst war es mal ganz wichtig für mich zu sehen, dass man beim Handbiken nicht einfach so loslegen kann, dass man Dinge beachten muss, wenn Schulter oder Arme keinen Schaden nehmen sollen. Ich habe gelernt wie das Liegebike optimal auf mich als Nutzer eingestellt sein soll und wie man beim Training im Liegebike die oberen Extremitäten schont. Eben wie man aus dem Sport den größten Nutzen zieht. Und das hat sehr viel Spaß gemacht. Auch zu sehen, wie weit ich komme, wie weit ich an meine Grenzen gehen kann und auch was mein Körper eigentlich noch leisten kann. Es ist gar nicht so ohne, im Liegebike einen Berg hochzufahren, das kannst Du mir glauben. Klar komm ich da irgendwann an den Punkt, wo ich Hilfe brauche, aber so ein Liegebike hat ja einen Auffahrschutz und wenn man beim Training mit jemandem unterwegs ist, der vielleicht ein bisschen fitter ist als man selbst, dann kann derjenige einen auch mal ein bisschen anschieben.“

„Für zu Hause habe ich ein Adaptivbike mit Hilfsmotor von der Krankenkasse bekommen, um damit im Alltag mobil zu sein. Für die richtig herausfordernden sportlichen Rennen ist ein Liegebike besser. Da habe ich mir direkt nach der ersten Handbike-Woche im Sommer ein gebrauchtes Bike zugelegt.“

Teamplayer oder Einzelkämpfer

Alle Rollstuhlsportarten haben ihre Vorteile, da ist Frank sich sicher. Und das Angebot ist heute so vielfältig, dass jeder Einzelne sorgfältig abwägen muss, welche Sportart die richtige für ihn ist. „Ich spiel‘ auch einmal die Woche Basketball, aber eigentlich bin ich schon immer jemand gewesen, der eine Sportart lieber für sich alleine macht. Denn dann bin ich selbst dafür verantwortlich ob ich schnell oder langsam bin, oder gut oder schlecht. Das soll jetzt nicht egoistisch klingen, aber niemand ist darauf angewiesen, dass ich immer eine gleichgute Leistung erbringe und umgekehrt bin ich von niemandem abhängig.“

„Die eigenen Vorlieben und auch die eigene Persönlichkeit ist etwas, das man bei der Wahl der Sportart unbedingt berücksichtigen sollte“, erklärt Frank weiter. „Da nutzen mir die Vorteile von Handball oder eben Basketball herzlich wenig, wenn ich einfach kein Teamplayer bin. Oder wenn jemand umgekehrt drauf ist, dann kann ich ihm lang und breit erzählen was für ein tolles Training Handbiken ist. Wenn er eine Mannschaft und Teamkollegen braucht, um Spaß am Sport zu haben, dann wird er beim Handbiken ganz schnell die Lust verlieren und dann natürlich nicht dabei bleiben. Trotzdem macht es auch in der Gruppe sehr viel Spaß und man kann sich gegenseitig motivieren. Jeder muss für sich den Sport wählen, der auch wirklich zu ihm passt. Und der ihm Spaß macht.“

Das Vorbild vor Augen

„Ausschlaggebend für mein Interesse am Handbiken war ein Rollstuhlfahrer, den ich in der Reha-Klinik kennengelernt habe. Er kam nach meinem Unfall zu mir ins Krankenhaus und machte so einen topfitten Eindruck. Er war sofort ein Vorbild für mich. Ich dachte: ‚Schau mal was der alles so kann. Und erreicht hat. Wie fit er ist, obwohl er im Rollstuhl sitzt.‘ Und: ‚Wenn er das kann, dann ich ja wohl auch.‘ Er hat mir erzählt was er sportlich so alles macht und hat mir gleich Lust darauf gemacht. Ich glaube, er fährt jeden Tag 35 Kilometer mit dem Handbike. Das ist sehr inspirierend.“

„Natürlich ist das schon ziemlich extrem“, schränkt Frank nach kurzem Überlegen ein. „Und die Zeit hätte ich wohl eher nicht. Ich arbeite sieben Stunden am Tag und es ist schon so, dass ich im Alltag jetzt mehr Zeit brauche um gewisse Dinge zu erledigen. Duschen z. B. ist jetzt nicht mal schnell in fünf Minuten erledigt. Dann nimmt die Physiotherapie, zu der ich dreimal die Woche gehe, viel Zeit in Anspruch… Jeden Tag stundenlang zu handbiken, das kann ich gar nicht. Aber ich plane mit dem Adaptivbike zur Arbeit zu fahren. Auf diese Weise kann ich den Sport in den Alltag integrieren und komm nicht dazu es zu vergessen. Es sind fünf Kilometer etwa zum Büro. Es gibt einen schönen Radweg. Und mit dem Adaptivbike hab ich den Rollstuhl fürs Büro gleich dabei und muss dort nicht noch groß umsteigen.“

„Das Biken ist vielleicht auch eine Möglichkeit der Freizeitgestaltung mit meiner Frau. Es gibt schöne Radwege bei uns zuhause, alles recht eben, ohne größere Steigungen. Sie fährt dann am Wochenende mal mit. Zumindest hat sie das gesagt. Vor meinem Unfall haben wir nicht so die Touren gemacht, aber jetzt macht es ihr vielleicht mehr Spaß, weil wir jetzt zusammen neu mit dem Radfahren beginnen können.“

Der gesundheitliche Aspekt

Über den positiven Einfluss von Sport auf die Gesundheit hat Frank in der Reha gehört. „Im Rollstuhl ist es noch viel wichtiger regelmäßig Sport zu machen. Ich hab mich entschlossen gleich von Anfang an dran zu bleiben, denn es kommt mir gesundheitlich letzten Endes ja zugute. Wenn man sich fit hält und in Bewegung bleibt ist das auf jeden Fall besser als sich hängenzulassen und gar nichts zu machen… Einfach nur im Rollstuhl zu sitzen… Das wäre schlecht für den Kreislauf, den Organismus. Das Gewicht! Zunehmen will ich ja auch nicht.“

„Es gibt Leute die keinen Sport machen. Bequemer ist das bestimmt. Aber da wird man gesundheitlich wohl eher Probleme bekommen. Außerdem macht es Spaß. Man ist unterwegs an der frischen Luft, an der Sonne. Man konzentriert sich nur aufs Biken, auf den eigenen Körper, auf sich selbst und sieht was man noch so leisten kann. Und man kriegt den Kopf frei. Das ist auch wichtig. Sehr sogar.“

Handbiken als Wettkampf

Mit „Oh, das weiß ich noch nicht“, reagiert Frank zunächst verhalten auf die Frage ob er Ambitionen hat sich beim Handbiken wettkämpfterisch hervorzutun, doch während er spricht beginnen seine Augen zu leuchten. „Eigentlich war Sport nie so meins, aber jetzt… Jetzt habe ich irgendwie andere Ansprüche an mich. Schon am Anfang, gleich nach dem Unfall, als ich noch in der Klinik lag und noch gar nicht raus konnte, war klar: Ich will mir selbst und meiner Familie, meiner Frau, beweisen, was ich schaffen und erreichen kann. Dass ich etwas leisten kann. Trotz Rollstuhl.“

„Das ist es, was mich von Anfang an motiviert hat. Ich habe mir immer kleine Ziele gesteckt. Und wenn ich sie erreicht habe, neue Ziele. Auch um mir selber zu zeigen, dass es eigentlich gar nicht so schlimm ist. Ich kann nicht laufen. Aber sonst kann ich alles machen. Fast alles. Mehr als man denkt, auf jeden Fall. Ich meine, man muss sich auf das konzentrieren was noch geht, statt dem hinterher zu heulen was nicht geht. Jetzt, was das Handbike angeht, ist Wettkampf natürlich auch denkbar.“ Frank lächelt. „Ein Marathon vielleicht. Mal sehen.“

Er will etwas beweisen, der schlanke, junge Mann im Radrenntrikot. Dass er es schaffen wird, scheint ziemlich sicher.

Siehe auch: Frankie goes to Hollywood – Ein Rollstuhlreisebericht und Mit dem Rollstuhl: Rundreise in Florida