Für das Recht auf die Straße: Jährliche Pride Parade in Berlin
Es hat nichts mit übernatürlichen Kräften oder Zauberei zu tun, aber viele Behinderte schaffen es in den Augen von Mitmenschen, Gesellschaft und Politik so unsichtbar zu sein, wie ein Eisbär im Schneesturm. Bei der jährlich stattfindenden Berliner Disability + Mad Pride Parade soll der Unsichtbarkeit ein Ende gesetzt und für mehr Rechte im Alltag gekämpft werden.

„Barrieren ins Museum, Schubladen zu Sägemehl, Diagnosen zu Seifenblasen! Küsst den Wahnsinn wach, liebt Krummbeine und Spasmen, begehrt Krücken und Katheter. Wir verstören und verführen und sind lauter als die Norm!“ so rufen die Organisatoren – ein Bündnis aus vielen kleinen Gruppen und Einzelpersonen – zur Teilnahme an der Pride Parade auf.
Wann und Wo?
Pandemiebedingt war die Pride Parade 2021 ein Online-Event. 2022 wurde sie aus organisatorischen Gründen abgesagt. Zu Details geht es hier.
Ziele der Pride Parade
Mit der Pride Parade, einer lauten, bunten, schrillen und damit eben alles andere als unsichtbaren Aktion, wollen die Veranstalter auf die Situation von Behinderten in Deutschland aufmerksam machen. Verschiedene Gruppen und Interessenverbände präsentieren sich in diesem Rahmen und rufen dazu auf, sich für die Belange behinderter Menschen stark zu machen und zeigen die unterschiedlichen Wege diese zu erreichen. Themen sind u. a.
- Inklusion
- Barrierefreiheit
- Assistenzbedarf
- Selbstbestimmung
- Teilhabe
Forderungen werden, wie 2013 als die erste Pride Parade stattfand, auf Plakaten und Bannern gezeigt und bei öffentlichen Reden kundgetan.
Barrierefreiheit auf der Pride Parade
Barrierefreiheit ist laut den Machern so gut wie möglich gegeben:
Reden bei der Anfangs- und Zwischenkundgebungen und Musik und Performances beim Abschluss werden in Gebärdensprache übersetzt. „Stopp Leichte Sprache“-Karten werden vorhanden sein.
- Es wird Mitfahrgelegenheiten geben, für jene, die auf der Demo nicht mehr können und eine Pause brauchen. Im vergangenen Jahr übernahm dieses „Aufsammeln“ ein altes Feuerwehrauto, das am Ende der Parade fuhr.
- Auf dem Hermannplatz gibt es barrierefreie Toiletten. Die U-Bahnstation Hermannplatz verfügt über einen Aufzug, einen Blindenleitstreifen und eine Fahrtreppe.
- Ein Safer Space zum Zurückziehen und Ausruhen wird bei der Abschlussveranstaltung am Kottbusser Tor (im Südblock) angeboten werden.
Die Veranstalter über die Pride Parade
Die Organisatoren der Pride Parade fordern auf ihrer Website www.pride-parade.de mit folgenden Worten zur Teilnahme auf: „Wir wurden Randgruppen zugeteilt und als Mängelwesen gekennzeichnet. Wir wurden eingesperrt und Sonderbehandlungen unterzogen. Doch wir sind sichtbar – hier, mitten im Zentrum. Seit Jahrzehnten kämpfen wir für Barrierefreiheit, Teilhabe und Assistenz, fordern Gleichbehandlung und Respekt. Wenn heute Politikerinnen und Funktionärinnen das Wort Inklusion benutzen, hört es sich an, als hätten sie diese erfunden. Gnädig wollen sie uns Inklusion gewähren. Da Inklusion enorm viel Geld kosten würde, müssten wir noch etwas Geduld haben, bis die umfassend inklusive Gesellschaft Wirklichkeit wird … Wir sagen Nein! Wir warten nicht ab! Unser Leben findet hier und jetzt statt.
Viele erleben uns als irritierend, wenn wir sind, wie wir sind. Viele meinen, unser Alltag wäre leidvoll. Doch das ist letztlich ihr Problem, nicht unseres. Wir erleben uns lustvoll und zugewandt, verlieben uns, haben Beziehungen und bekommen Kinder. Wir essen, schlafen, lernen, arbeiten, feiern, flanieren und genießen unser Leben – meistens. Wir tun dieselben Dinge, die alle tun, nur dass einige von uns mehr Unterstützung brauchen. Also: Warum sollen wir bemitleidet, gar verändert werden? Warum sollen wir uns anpassen? Es ist gut so, dass wir sind, wie wir sind! Wir wissen, dass bei weitem nicht alle sich zeigen können. Für viele sind Scham und Angst so umfassend, dass sie nicht öffentlich Präsenz zeigen können. Andere werden mit richterlichem Beschluss weggeschlossen. Vielen werden die Hilfen vorenthalten, die ihnen ermöglichen würden, mobil zu sein und an unserer Parade teilzunehmen. Auch für sie gehen wir auf die Straße. Verrücktheit und Behinderung sind gesellschaftlich bedingt. Dieselben, die in Sonntagsreden die Inklusion beschwören, selektieren uns, wenn wir Unterstützung brauchen, bewerten uns als „krank“ und „unfähig“. Unser Leben wird mit Unwert belegt, wenn die Möglichkeiten, in der Schwangerschaft Behinderungen festzustellen, ständig weiterentwickelt werden. Wenn allen Schwangeren diese Untersuchungen nahe gelegt werden und ihnen geraten wird, abzutreiben, wenn eine Behinderung vermutet wird. Und nicht nur hier entscheiden weithin Ärztinnen, Heimleiterinnen, Beraterinnen, Therapeutinnen, Gutachterinnen, Kassen und Ämter – nur nicht wir.
Medizinische Diagnosen sind wirkmächtig. Doch es hilft uns nichts, wenn Behinderung oder Verrücktheit ausschließlich biologisch erklärt werden. Psychopharmaka sollen die Probleme zudecken. Sie lösen sie nicht. Ebenso werden Superrollstühle und Exoskelette eine barrierefreie Umwelt nicht ersetzen. Nicht wir sind also fragwürdig, vielmehr der Zwang, funktionieren zu müssen, um zu (über)leben, Leistungen zu bringen, um anerkannt zu sein.
Nur wenn wir uns unsere Rechte nehmen, können wir über uns verfügen. Deshalb: Trau dich zu fordern, was du brauchst! Zeige deine Sehnsüchte, dein Begehren, deine Freude, deine Lust! Geh auf die Straße und feier mit uns auf der behindert und verrückt feiern – Pride Parade, jährlich, in Berlin!“
Für Mehr Informationen siehe: www.pride-parade.de