Buchrezension: Alle Kinder können turnen

Wie beziehe ich Kinder mit verschiedenen Handicaps in den Turnunterricht ein? Schöne Spielideen zur praktischen Gestaltung von inklusiver Bewegungserziehung in Kindergarten und Grundschule zeigt die Broschüre „Alle Kinder können turnen“, herausgegeben von der Deutschen Turnerjugend.

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Pädagogen fühlen sich mit der Umsetzung des Konzeptes Inklusion häufig allein gelassen. Plötzlich haben sie Kinder mit körperlichen und/oder geistigen Besonderheiten in ihrer Klasse und sollen jedes Kind dort abholen, wo es steht bzw. möglicherweise sitzt. Das Buch „Alle Kinder können turnen“ unterstützt Erzieher, Übungsleiter und Lehrer im Turn- bzw. Sportunterricht mit vielen praktischen Gestaltungsideen. In der Differenzierung von traditionellen Bewegungsspielen, wahrnehmungsbezogenen Übungen oder Einheiten mit kleinen und großen Geräten gehen die Konzepte nicht nur auf die besonderen Bedürfnisse körper- oder sinnesbehinderter Kinder ein, sondern halten z. B. auch Variationen für besonders gute Läufer oder überdurchschnittlich starke Kinder bereit.

Alte Regeln neu erfinden

Mit Fantasie und einfachen Mitteln entstehen so spielerische Interaktionen zwischen allen Kindern, die eventuelle Berührungshemmnisse sicher schnell abbauen. In dem Spiel „Mit der Kutsche auf Europareise“ etwa wird der Rollstuhl zur Kutsche; andere Kinder ziehen ihn als „Pferde“ von „Stadt zu Stadt durch Europa“ und werden dann auf Teppichfliesen oder Wolldecken selbst kutschiert. Später spricht die Gruppe über die besuchten Orte und der Spielleiter zeigt deren Lage auf einer großen Landkarte. In anderen Übungen erhalten Kinder ohne Beeinträchtigungen z. B. das Angebot, Aufgaben mit verbundenen Augen zu absolvieren und so einen Eindruck davon zu bekommen, was es heißt, sehbehindert oder blind zu sein. Oder es gilt die Regel: Gute Läufer dürfen nur mit ihrem schwachen Bein schießen, gute Handballer nur mit der schwächeren Hand. Im Spiel sind es also nicht unbedingt die Kinder mit einem Handicap, die unter erleichterten Bedingungen mitspielen, sondern ausgleichende Regelungen für alle Kinder.

Vom Fingerspiel bis zur Bewegungslandschaft

Erzieher, Lehrer und Spielleiter können aus den gesammelten Vorschläge der Autorinnen Tanja Finken, Cornelie Franck, Nadine Kleber, Birgit Kleinschmidt, Doris Liebl, Daniela Schmidt und Heike Schnoor schöpfen und sich darüber hinaus zur Entwicklung eigener Konzepte inspirieren lassen, denn sie kennen die individuellen Bedürfnisse ihrer Schüler oder Teilnehmer am besten.

Die vielfältigen Ideen reichen von Fingerspielen, Liedern oder Sprechrhythmen für die Kleinsten über Spiele und Wahrnehmungsübungen für Kindergartenkinder und Grundschüler bis hin zur Gestaltung von ganzen Bewegungslandschaften oder Übungen, die Lesekarten oder Bastelangebote einbeziehen. Die Redaktion des Bandes hatte Nicole Gebhardt, die als Diplom-Sportwissenschaftlerin auch eine Zusatzausbildung im Bereich Psychomotorik besitzt.

Vorbehalte abbauen und Möglichkeiten aufzeigen

Um Eltern das inklusive Turnen näher zu bringen, schlagen die Autorinnen einführend einen „Aktionstag“ vor: An verschiedenen Stationen erleben Eltern und Kinder, warum anderen bestimmte Aufgaben schwerfallen. Mit Fäustlingen sollen sie kleine Dinge aufnehmen, einen Rollstuhlparcours bewältigen oder „Feuer-Wasser-Sturm“ mit Musik auf den Ohren spielen.

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Sicher lassen sich nicht alle Herausforderungen des Turnangebots oder Sportunterrichts gleich gut abwandeln. Aber „Alle Kinder können turnen“ eröffnet viele bunte Wege, über die  differenzierter Turnunterricht mit viel Spaß gelingen kann.

 

Deutsche Turnerjugend (DTJ, Hrsg.): Alle Kinder können turnen – Eltern-Kind- und Kinderturnen in Kindergarten, Schule und Verein, Aachen, 2014.

Broschiert, 95 Seiten. Das Buch ist (Stand: Oktober 2020) nur antiquarisch erhältlich, kann jedoch in vielen öffentlichen Büchereien ausgeliehen werden.


Sollten Erzieherinnen oder Erzieher, Übungsleiterinnen oder Übungsleiter oder in einer Schule tätige Personen Praxiserfahrung in der Umsetzung von Spielideen des vorgestellten Bandes oder anderer inklusiver Spielkonzepte sammeln können, würde sich die Redaktion über eine Rückmeldung an dieser Stelle freuen.