Ruhelosigkeit in den Beinen: Das „Restless-Legs-Syndrom“ bei Querschnittlähmung

Fast jeder fünfte Mensch mit Rückenmarksverletzungen scheint laut einer spanischen Studie unter dem Restless-Legs-Syndroms (RLS, „Syndrom der unruhigen Beine“) zu leiden – deutlich mehr als der Bevölkerungsdurchschnitt. Besonders häufig betroffen seien Menschen mit relativ tiefer Lähmungshöhe. Untersucht wurde zudem, welche Auswirkungen eine Behandlung mit dopaminergen Mitteln haben könnte.

Überraschend viele Menschen mit Querschnittlähmung leiden laut einer Studie unter dem Restless-Legs-Syndrom.

Das spanische Institut Guttmann wollte herausfinden, wie häufig RLS bei Menschen mit Rückenmarksverletzungen auftritt. Zum Thema untersucht und befragt wurden 195 menschen mit querschnittlähmung, die zu ihrem jährlichen Routinebesuch in die Querschnitt-Ambulanz gekommen waren. Überraschend häufig – nämlich bei 17,9% der Patienten – fanden sich Hinweise auf RLS.

Zum Vergleich: Die Deutsche Restless Legs Vereinigung geht davon aus, dass in westlichen Industrieländern circa 7 bis 10% der Bevölkerung unter dieser neurologischen Erkrankung leiden, die sich in Zuckungen, unnatürlichem Bewegungsdrang, quälenden Schmerzen und/oder Schlaflosigkeit zeigen kann.

Beginn meist im ersten Jahr nach Eintritt der Querschnittlähmung

Bevölkerungsübergreifend betrachtet tritt das Syndrom meist im mittleren Lebensalter auf. Bei Menschen mit Querschnittlähmung hingegen meist im ersten Jahr nach der Rückenmarksverletzung. Wobei die Läsionshöhe eine Rolle zu spielen scheint: Menschen mit lumbal/sakraler Querschnittlähmung (Lendenbereich L1 – L5, Kreuzbeinbereich S1 – S5) sind mit 31,7%  im Vergleich zu 14,3% bei Menschen mit zervikal/torakaler Querschnittlähmung (Halsbereich C1 – C8, Brustbereich Th1 – Th12) deutlich häufiger betroffen.

Auf die Menschen, die ihre Beine bewegen oder sogar gehen konnten, wurden die zum Untersuchungszeitpunkt gängigen vier diagnostischen Standardkriterien angewandt – sie alle beziehen sich auf den Drang, die Beine zu bewegen:   

  • Meist begleitet oder ausgelöst durch Missempfindungen oder ein Unruhegefühl der Beine.
  • Begleitende unangenehme Missempfindungen beginnen oder verschlechtern sich während Ruhe oder Inaktivität (wie Liegen oder Sitzen).
  • Unangenehmen Missempfindungen bessern sich teilweise oder sogar vollständig durch Bewegung wie Laufen, Gehen oder Strecken (zumindest solange die Bewegung anhält).
  • Die unangenehmen Missempfindungen in Ruhe oder Inaktivität treten nur am Abend oder in der Nacht auf oder verschlimmern sich am Abend oder in der Nacht.

In der aktuellen Leitlinie (Stand: 2022) der Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin wird ein fünfter Punkt ergänzt:

  • Das Auftreten der obigen Merkmale dürfe nicht durch Symptome einer anderen medizinischen Diagnose oder eines Verhaltenszustands erklärbar sein.

Aus ähnlichen Gründen hatten auch die Forschenden des Instituts Guttmann auf eine Untersuchung im Schlaflabor verzichtet. Periodische Beinbewegungen während des Schlafes hätten sich nur schwer von Spastik unterscheiden lassen.

Bei der Fallstudie zeigte sich, dass selbst Querschnitt-Patienten, die ihre Beine nicht bewegen konnten, über Symptome berichteten, die Ähnlichkeiten, mit denen der Allgemeinbevölkerung aufwiesen, zum Beispiel:

  • Drang, die Gliedmaßen aufgrund unangenehmer Empfindungen zu bewegen, die während Ruhephasen oder Inaktivität wie Liegen oder Sitzen ohne Bewegung im Rollstuhl begannen oder sich verschlimmerten
  • Abhilfe durch Aktivität: Passives Bewegen der unteren Extremitäten oder Reiben oder Waschen mit kaltem Wasser führte genauso wie das Beugen des Rumpfes zu einer teilweisen Besserung.
  • Verschlechterung in Ruhe, zum Beispiel sitzend im Rollstuhl ohne jegliche Aktivität oder liegend im Bett oder auf dem Sofa.
  • Verschlechterung am Abend oder in der Nacht.

Häufig schwere bis sehr schwere Symptome

Für fast alle war die Diagnose „Restless Legs Syndrom“ neu, nur zwei wussten bereits vor ihrer Teilnahme an der Fallstudie, dass sie RLS hatten. Der Rest berichtete, dass der Beginn ihres RLS mit dem Zeitpunkt ihrer Rückenmarksverletzung zusammenfiel oder dieser folgte. Mit unterschiedlichen Ausprägungen – von milden (2), über mäßige (10), schwere (12) bis hin zu sehr schweren Symptomen bei 11 Betroffenen.

Anders aufgedröselt: 37,1% der von RLS betroffenen Patienten hatten eine Querschnittlähmung mit ASIA-Grad A oder B, der Großteil (62,9%) mit ASIA-Grad C, D oder E).

Was RLS generell auslöst, ist noch nicht bis ins Letzte geklärt. Als mögliche Ursachen gelten laut Deutscher RLS-Vereinigung eine genetische Disposition, aber auch Veränderungen im Eisenstoffwechsel oder im Dopamin-Haushalt, einem Nervenbotenstoff, der die Erregung von einer Nervenzelle auf andere Zellen überträgt, sowie das endogene Opioidsystem, das eine Rolle bei der Schmerz- und Stressmodulation spielt.

Zehn der Studienteilnehmer wurden mit einem Dopamin-Agonisten medikamentiert, woraufhin „signifikante“ Verbesserungen eingetreten seien. Eine Behandlungsmethode, die auch die aktuelle RLG-Leitlinie prinzipiell als „nachweislich wirksam“ einstuft. Den spanischen Forschern half sie auch, LRS zu identifizieren: Trat nach einer milden Gabe eine Besserung ein, konnte der Rückschluss gewagt werden, dass der Patient tatsächlich RLS hatte.

„Unnötiges Leiden vermeiden“

Die Ergebnisse der Studie scheinen auf den ersten Blick eindeutig, doch die Autoren bringen einige Wenn und Aber ins Spiel. So könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei einigen der Untersuchten der Eisenstatus in Zusammenhang mit der ursprünglichen Verletzung (Blutung, Eisenmangel nach Verletzung, Infektion, Operation) und/oder die Einnahme von Antidepresiva oder Neuroleptika eine Rolle beim Auftreten des LRS gespielt habe (Über Diagnose, Symptome und Ursachen für LRS informiert u.a. die Deutsche Restless Legs Vereinigung ausführlich, siehe: RLS Allgemein. (restless-legs.org). Zudem seien nur Patienten eines Querschnitt-Zentrums über einen gewissen Zeitraum untersucht worden, das Ergebnis könne daher nur bedingt als allgemeingültig ausgewiesen werden.

Trotz dieser Einschränkungen legten die Ergebnisse jedoch den Schluss nahe, dass RLS häufig bei Rückenmarkspatienten auftrete. Auch wenn die gängigen diagnostischen RLS-Kriterien nicht für Patienten mit derartigen Behinderungen entwickelt worden seien und für sie möglicherweise spezielle Maßnahmen nötig seien, sollten sich Ärzte, so die Forschenden in ihrer Zusammenfassung, bei querschnittgelähmten Patienten auch der möglichen Diagnose RLS  bewusst sein, „bei dieser Personengruppe unnötiges Leiden zu vermeiden“.