(Natürlich) kein Widerspruch: Erfolgreich leben mit Behinderung

Die Online-Plattform keinwiderspruch.de sollte Eindruck machen: Den Eindruck, dass Behinderung und Erfolg kein Widerspruch sind, dass Behinderung sogar ein Vorteil sein kann und dass sie mitten unter uns sind: vielseitige, selbstbewusste und aktive Köpfe, die weit mehr ausmacht als ihr Handicap.

Die Plattform wurde eingestellt, Mitte 2022 auch das Archiv aus dem Netzgenommen. Die Ideen und Aussagen des ehemaligen Webauftritts bleiben jedoch aktuell.

28 Frauen und Männer hatten ursprünglich auf keinwiderspruch.de ihre Stimme erhoben, um allen, die zweifeln, zu zeigen, dass sie nicht trotz ihrer Behinderung viel erreichen können, sondern schlicht mit ihr oder sogar ihretwegen. Die es als Herabsetzung empfinden, wenn sie für Alltägliches gelobt werden. Und die die „gut ausgebauten Strukturen einer Parallelwelt für behinderte Menschen“ (Oswald Utz auf keinwiderspruch.de) links liegen lassen, um ihren eigenen Weg zu gehen.

Ich mache mir die Welt

„Ich bin mir gar nicht so sicher, was ich hier soll. Denn eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass das Umsetzen eigener Ideen und Projekte eines Menschen mit Behinderungen kein Widerspruch ist“, schreibt Constantin Grosch, der als Jura-Student eine Online-Petition für ein aus seiner Sicht gutes Bundesteilhabegesetz gestartet hat. Und antwortet sich gleich selbst: Für viele sei es scheinbar nicht normal, Willensstärke und Leistung mit behinderten Menschen zu verbinden.

Das soll anders werden, finden die Teilnehmer an keinwiderspruch.de und melden sich mit ihren Biografien, ihren Projekten, Ansichten und Erfahrungen zu Wort. Das Thema Behinderung fällt dabei nicht unter den Tisch, ganz im Gegenteil. In vielen Texten machen sich die Autoren Luft, weisen behinderungsorientierte Stereotype von sich, räumen auf mit der ausschließlich negativen Sichtweise auf Behinderung und erklären nachdrücklich, was sie ihrem besonderen Merkmal verdanken: „Ich fühle mich im ‚Anderssein‘ zuhause. Ich sehe mich gern als eine Art Pipi Langstrumpf. Ich mache mir die Welt so bunt, wie sie mir gefällt und provoziere andere gerne damit. Ich bin eine Grenzgängerin, die ständig an der Vorstellungskraft der Menschen entlang balanciert“ (Rollifräulein).

Sie alle eint, dass ihre Behinderung – Schwerhörigkeit, muskuläre Erkrankungen, Autismus, Spastik, Querschnittlähmung und andere – sie nicht darin behindert hat, ihre Ideen und Ziele umzusetzen. Einige hat sie dazu erst beflügelt. Die skeptische Haltung Außenstehender dürfte dabei in nicht wenigen Fällen für einen trotzigen Energieschub gesorgt haben. – Nicht trotz Einschränkung, sondern trotz Vorbehalten und Barrieren in ihrer Umwelt und in den Köpfen anderer haben sie sich durchgesetzt und starten weiter durch.

Dabei stellt das Projekt Menschen vor, die auf ganz verschiedene Weise dafür stehen, was ein erfolgreiches Leben bedeuten kann: Einige haben sich in Politik und/oder Gesellschaft oder Sport einen Namen gemacht, wie der Aktivist Raúl Aguayo-Krauthausen, der Musiker und Augsburger Stadtrat Benedikt Lika oder der Rollstuhl-Skater David Lebuser, andere wie Lisa Schmidt sind mit einer persönlichen Entscheidung glücklich und erfolgreich im Alltag oder haben selbst auferlegte Grenzen hinter sich gelassen.

Nicht trotz, sondern wegen

Die Redaktion hat mit Johannes Mairhofer gesprochen, der das Projekt initiiert und fotografiert hat. Der selbstständige sehbehinderte Fotograf arbeitet mit der Sehkraft seines rechten Auges.

Herr Mairhofer, wie kam es zu dem Projekt?

Der Münchner Michael Grindmayer hat vor einiger Zeit für sein „Isarmenschen“-Projekt einen Film bzw. eine Slideshow über mich gedreht: „einaugeistgenug“. Da geht es darum, dass die Fotografie für mich ja ein Vorteil ist, weil ich die Umgebung wie die Kamera sehe. Mir war das davor nicht bewusst, es war mir immer egal. Ich wollte fotografieren, also habe ich fotografiert.

Jedenfalls kam ich in dem Zusammenhang darauf, dass es ja da noch mehr Menschen geben muss, die mit einer Behinderung das tun, was sie wollen, und nicht TROTZ, sondern WEGEN der Behinderung. Denn dieses „trotz“ aus den Medien hat mich auch oft genervt. So war die Idee geboren.

Wie definieren Sie Erfolg?

Wenn man das machen und tun kann, was man eben kann und was man tun möchte.

An wen richtet sich die Webseite?

Eine direkte Zielgruppe gibt es nicht, ich würde mich aber freuen, wenn sich Medien ein Beispiel an den Texten nehmen und es eben nicht mehr so oft „trotz“ heißt. Außerdem natürlich alle Leser, die sich für spannende Lebensgeschichten interessieren.

Woher kommen die Teilnehmer?

Einige der Teilnehmer kannte ich, viele kamen dann über Kontakte der Teilnehmer. leidmedien.de hat auch einen erheblichen Beitrag geleistet. Mit der Zeit wurde ich auch direkt von Menschen, die gerne mitmachen wollten, angeschrieben, weil sie davon gehört hatten.

Vielen Dank für das Interview.