Biorobotik: Verbesserter Vorderwurzelstimulator zur Blasenentleerung
Der Vorderwurzel- oder Brindley-Stimulator ist eine der Methoden, die zum Blasenmanagement bei neurogener Dysfunktion des unteren Harntraktes bei Querschnittlähmung eingesetzt werden. Daran die Nachteile der Methode auszuschalten, arbeitet ein Team der Cambridge Universität.

Es gibt viele Herausforderungen, denen sich Querschnittgelähmte gegenübersehen – und der Verlust der Gehfähigkeit ist häufig das kleinste Problem. Eine Versuchsreihe in Cambridge soll eines der Probleme lösen, dass von den meisten Betroffenen als die größte Belastung empfunden wird: Das Blasenmanagement.
“In vielerlei Hinsicht ist Querschnittlähmung eine Männerkrankheit”, sagt Prof. James Fawcett von der Cambridge Universität in England, denn laut Statistiken sind ca. 70% der jährlich Neubetroffenen Männer, die meisten von ihnen sind jünger als 25 Jahre. Daher ist es wenig überraschend, dass, wenn man Tetraplegiker danach fragte, welche Funktion sie am meisten zurückwünschen, die meistgenannte Antwort nach „Hand- und Armfunktion“ die Sexualfunktion ist. Am drittwichtigsten ist für Betroffene das Wiedererlangen oder eine Verbesserung der Ausscheidungsfunktionen von Blase und Darm. „Ganz unten auf der Liste steht“, so Fawcett, „das Wiedererlangen der Gehfähigkeit, denn Rollstühle funktionieren ziemlich gut und Patienten gewöhnen sich schnell daran mit ihnen mobil zu sein.“
Ein angenehmes, unkompliziertes Blasenmanagement ist da schon eine größere Herausforderung. Derzeit ist die gängigste Behandlungsform bei spastischer Blasenlähmung (siehe: Blasenfunktion bei Querschnittlähmung) das Katheterisieren mit Einmalkathetern. Hierbei ist jedoch immer die Gefahr von Infektionen und Verletzungen an der Harnröhre gegeben.
Das ist alt: Vorderwurzelstimulator (SARS) nach Giles Brindley
Um hier eine Alternative zu schaffen, forscht das Team um Fawcett an einer Methode, die auf dem von Prof. Giles Brindley entwickelten Vorderwurzelstimulator (auch: Brindley-Stimulator) beruht. Hierbei wird über ein Implantat und einen externen Stimulator die Entleerung der Blase kontrolliert (siehe Neurogene Dysfunktion des unteren Harntrakts: Operative Verfahren). Dieses Verfahren wurde schon bei vielen, vor allem hochgradig gelähmten Patienten eingesetzt, doch bringt es gewisse Nachteile mit sich. Beim Einbringen des Implantats ist es notwendig die sensorischen Nerven bei S2 und S5 zu durchtrennen, was eine Schwächung der Beckenmuskulatur mit sich bringt – und eine Verschlechterung der ohnehin von der Querschnittlähmung beeinflussten Sexualfunktion (siehe: Sexualität bei Querschnittlähmung). Dies allerdings ist, wie oben erwähnt, ein Problem, denn obwohl Viagra bei den meisten Patienten wenigstens eine Erektion auslösen kann (siehe: Erektionsstörungen bei Querschnittlähmung), ist es nicht im Sinne der Patienten, die Fähigkeit sexuelle Erregung zu empfinden, weiter zu verschlechtern.
Das ist neu: Die biorobotische Vorderwurzelstimulation
An dieser Stelle setzen Fawcett und Kollegen an: Das Team entwickelt derzeit eine biorobotische Version des Vorderwurzelstimulators, die die Signale der sensorischen Nerven im Becken empfangen und interpretieren kann. Dadurch wäre es überflüssig sie zu durchtrennen. Die Signale der weiterhin intakten Nerven würden ausreichen, um die Blase daran zu hindern sich unkontrolliert zu entleeren, während die implantierten Sensoren dem Betroffenen mitteilen, wann die Blase voll ist. Dann könnte eine Entleerung wie gewohnt durch einen Impuls von außen erfolgen.
Eine frühere Version dieses biorobotischen Vorderwurzelstimulators wird derzeit sehr erfolgreich bei Hunden eingesetzt. Wann die Methode soweit sein wird, dass sie am Menschen durchgeführt werden kann, ist noch offen.
Weitere Informationen
Einen weiteren Ansatz zur Verbesserung des Blasenmanagement verfolgt das Projekt: Connected Catheter (siehe: Per SMS zur Blasenentleerung), das seit 2015 für Schlagzeilen sorgte; die Zulassung zur Markteinführung liegt derzeit (Feb. 2020) laut Initiator in den letzten Zügen.
Der-Querschnitt.de betreibt keine Forschung und entwickelt keine Produkte/Prototypen. Wer an der beschriebenen Methode oder den vorgestellten Prototypen Interesse hat, wendet sich bitte an die im Text genannten Einrichtungen.