Einfach mal abtauchen – Tauchsport mit Handicap

Die Welt ist unter Wasser eine andere. Ein ganz neues Bewegungsgefühl, sagen Taucher mit motorischen Einschränkungen. Der Verein zur Förderung des Behinderten-Tauchsports in Deutschland e.V. (FBTD) und der Deutsche Rollstuhl-Sportverband (DRS) wollen gerade Menschen mit Handicap fit machen für das Erlebnis Unterwasserwelt.

Das Wasser ist ruhig und klar, die Sicht unter der Wasseroberfläche weit. Noch gibt es keine Wasserpflanzen, flitzende Fische, aufwallenden Sand, der das Panorama vernebelt. Das Hallenbad des Inselparks in Hamburg-Wilhelmsburg bedeutet eine ganz andere Herausforderung: Darauf zu vertrauen, dass das Tauchgerät, das man gerade zum ersten Mal benutzt, auch wirklich genügend Atemluft liefert, wenn man gleich unter Wasser geht. Und darauf, dass die Tauchlehrer und Tauchbegleiter einen durch das Wasser tragen, wenn man nicht selbst schwimmen kann. Darauf konzentrieren sich die Teilnehmer am „Schnupperkurs Tauchen mit Handicap“, angeboten durch den FBTD im Rahmen des Jahreskongresses 2016 der Deutschen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie (DMGP).

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Am Anfang habe sie Angst gehabt, richtige Panik, sagt Sarah, die schon immer mal tauchen wollte und es bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal probiert und ihre Ängste überwunden hat. „Man atmet anders und muss erst rausfinden, wie das geht, dann klappt es ganz gut.“ Weil Sarah ihre Beine kaum und die Arme nur eingeschränkt nutzen kann, wurde sie von zwei erfahrenen Tauchlehrern begleitet. Einer hielt sie, steuerte ihre Bewegungen und konnte auf die zuvor vereinbarten Taucher-Zeichen reagieren. Der andere sorgte für den Druckausgleich. „Es war voll schön“, befand Sarah ihre Tauchpremiere später und möchte das Ganze trotz Druck auf den Ohren gern wiederholen. Gerade nach dem ersten Versuch sei eine leichte Trommelfelldehnung nicht ungewöhnlich, beruhigen die Tauchlehrer.

„Tauchen ist der einzige Sport, bei dem man sich auch mit körperlicher Behinderung schwerelos und ohne Hilfsmittel bewegen kann“, sagt Dirk Wondrak, der seit 15 Jahren „fit für die Fischwelt“ macht, wie es so schön auf dem Flyer des Vereins zur Förderung des Behinderten-Tauchsports heißt. Viele liebten am Tauchen besonders die Schwerelosigkeit, die fließenden Bewegungen und die Ruhe. „Da kann man mal runterkommen, sich tragen lassen und ohne Anstrengung einfach nur sein“.

Mit etwas Übung tauchten die Betroffenen in der Regel allein und später auch im „Freiwasser“, also in der Natur, so Wondrak.

Therapeutische Effekte

„Einmal tauchen ist wie zwei Stunden Physiotherapie“, das bekäme er so oder ähnlich immer wieder von Teilnehmern zu hören, berichtet Dirk Wondrak. Selbst eine Wirkung auf die Nierenfunktion hält er für durchaus möglich: „Nach dem Tauchen sei ihr Urin viel heller gewesen, haben mir schon mehrere Leute erzählt. Keine Ahnung, wo da der Zusammenhang liegt, aber offenbar scheint es einen zu geben.“

Offiziell nennt der FBTD folgende positive physiologische Einflüsse des Tauchens:

  • Aufrechterhaltung und Entwicklung einzelner Bewegungsfunktionen
  • Förderung der Koordination
  • Wiederaufbau von Muskelgewebe
  • Stimulation der Atmung

Tauchen stärke die Lungen, erklärt Dirk Wondrak: „Durch den Lungenautomat wird das Zwerchfell bewegt; man muss gegen den Widerstand des Wassers atmen.“

Außerdem kann es nach Einschätzung von Experten krampflösend sein – etwa bei Spastiken. Es sei immer wieder zu beobachten, dass die Medikamenteneinnahme durch das Tauchen deutlich reduziert werden könne, sagte Dr. Stefan Hobrecker von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) Duisburg gegenüber dem FBTD in einem Statement für dessen Internetauftritt.

Tauchen ist für Paras und Tetras geeignet und kann auch ohne Restfunktion der Arme realisiert werden. Damit unter Wasser trotzdem Kommunikation möglich ist, werden bei Bedarf Alternativen zu den sonst üblichen Handzeichen vereinbart, z. B. ein Nicken mit dem Kopf.

Abtauchen mit Zertifikat

Wer tauchen lernen will, z. B. um irgendwann Korallen und Fische zu beobachten, braucht mindestens einen Mehrtages-Kurs:

  • 5 Theoriemodule
  • 4 Hallenbadmodule
  • 5 Freiwassermodule

Danach erhalten Teilnehmer ein Zertifikat mit dem sie quasi überall tauchen gehen können.

Zu den Basics unter Wasser gehören spezielle Handzeichen, mit denen die Tauchenden sich verständigen können. Diese werden schon vor dem ersten Tauchgang gelernt, z. B. das auch in anderen Zusammenhängen bekannte OK-Zeichen, bei dem Daumen und Zeigefinger eine Art O bilden. Es gibt aber auch Signale für den Wunsch nach Druckausgleich, für das Auf- und Abtauchen oder dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. „Die Risiken sind für Taucher mit Handicap dieselben wie für Taucher ohne“, sagt Dirk Wondrak. Um individuelle behinderungsbezogene Bedürfnisse zu erfassen und angemessen berücksichtigen zu können, muss vor jedem seiner Schnuppertauchkurse von den Teilnehmern ein medizinischer Fragebogen ausgefüllt werden. Je nach Einschränkungen werden einem Teilnehmer auch zwei Begleiter bzw. Lehrer zur Seite gestellt, um die Kommunikation unter Wasser, den Druckausgleich und ggf. die Bewegungsführung zu gewährleisten.

Beim Tauchen sind die Beine egal

Um einen Tauchgang reicher ist an diesem Tag auch Lillemor Köper, die das Tauchen schon früher mal ausprobiert hatte. „Beim Schwimmen spüre ich, dass meine Beine nichts tun. Beim Tauchen sind die Beine egal, alles ist leichter und geht ganz automatisch.“

Die Studentin glaubt, dass gerade das Tauchen den relativ neu von einer Rückenmarksverletzung Betroffenen zeigen könnte, was alles trotz Querschnittlähmung noch möglich ist. „Dadurch könnten schon während der Reha Anreize gesetzt werden, damit es gar nicht erst dazu kommt, dass jemand sich einigelt.“

Neben der Stärkung des Selbstvertrauens und der Steigerung der eigenen Fähigkeiten bietet das Tauchen Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen. „Kennt ihr das?“, fragt Sarah in die Runde und macht eine lautlose Klatschbewegung mit den Händen: „Das ist das Applaus-Zeichen.“- Ihr Fazit für das Tauchen und den Tag in Unterwassersprache.

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Dirk Wondrak ist 1. Vorsitzender des Fördervereins des Behindertentauchens in Deutschland (FBTD). Er hat langjährige Erfahrung in der Tauchausbildung von Menschen mit den verschiedensten Diagnosen und Krankheitsbildern, da der FBTD bereits seit Jahren Therapietauchen u.a. in der BGU Duisburg anbietet.

Für mehr Informationen zum Thema Tauschen siehe auch Beitrag Tauchen mit Handicap.