Automobil: maßgeschneiderte Umbauten für Rollstuhlfahrer

Selbstverständlich können Rollstuhlfahrer Auto fahren. Die Redaktion hat den Umbau-Spezialisten Paravan in seiner Heidelberger Niederlassung besucht und mit dem Kundenberater Néstor Martínez über individuelle Fahrzeuglösungen und die Autos der Zukunft gesprochen.

Herr Martínez, was sind die ersten Schritte, wenn ein Interessent mit einer Querschnittlähmung zu Ihnen kommt, um sich nach den Möglichkeiten des Fahrzeugumbaus zu erkundigen?

In einem ersten Beratungsgespräch geht es zunächst um die Frage, welche Fähigkeiten der Kunde mitbringt. Schon der erste Handschlag sagt etwas über die Kraft in den oberen Extremitäten aus. Später bieten wir dazu eine exakte Kraftmessung an. Im Erstgespräch klären wir neben den anatomischen Voraussetzungen auch Vorerfahrungen ab, falls jemand schon mal einen Umbau hatte, und fragen nach den familiären Gegebenheiten. So hängt die Fahrzeugauswahl bzw. Beratung auch davon ab, wie viele Personen das Fahrzeug später nutzen wollen.

Außerdem benötigen wir ein medizinisches Gutachten bzw. einen abschließenden Bericht aus der Reha, der Aussagen über die physischen Gegebenheiten macht. Daran orientieren sich der Umbau und ebenso eine spätere Abnahme durch den TÜV.

Schließlich mache ich mit jedem Kunden eine Testfahrt. Das geht mit unserem Fahrschulauto, in dem einfach alles vorhanden ist: von der Rampe bis zu unserem digital-elektronischen Fahr- und Lenksystem „Space-Drive“ – dazu später mehr. Der Kunde kann bei uns eine breite Palette an Möglichkeiten ausprobieren und so schon im Vorfeld testen, was sich für ihn am besten eignet.

Welche Lösungen gibt es für Menschen, die nur schwer oder gar nicht transferieren können und trotzdem selbst fahren möchten?

Zunächst stehen für Kunden, die Hilfe beim Transfer brauchen, mechanisch ausklappbare, elektrisch ausfahrbare und höhenverstellbare Transferhilfen zur Verfügung. Auch der Autositz selbst kann als elektrischer oder mechanischer Schwenksitz eingerichtet werden.

Elektrischer Schwenksitz, ca. 3.500 € netto inkl. Einbau (Bild und Preisbeispiel: Paravan GmbH)

In der Regel sind es Nutzer von Elektrorollstühlen, die den Rollstuhl während des Fahrens nicht verlassen können und daher eine andere Lösung brauchen. Das umfasst nicht nur Lifter bzw. Rampen in ein entsprechend großes und hohes Fahrzeug hinein, sondern natürlich auch die gesamte Anpassung des Wageninneren. Dazu bauen wir sämtliche Sitze aus und nehmen eine Bodenabflachung vor. An die Stelle des Fahrersitzes kommt eine Dockingstation, auf der der Rollstuhl einrastet.

Geht das mit jedem Rollstuhl?

Nein, der Rollstuhl muss gemäß § 35a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) als Fahrersitz zugelassen sein. Dazu braucht er z.B. spezielle Rückhaltefunktionen, um sicher im Fahrzeug fixiert werden zu können.

Wie können Rollstuhlnutzer, die auf den Fahrersitz transferieren, ihren Rollstuhl gut verstauen?

Das kommt auf den Rollstuhl an und darauf, ob jemand evtl. noch einige Schritte gehen kann. Dann kann der Rollstuhl auch im Heck verstaut werden. Wer das nicht kann, setzt am Fahrersitz über und verstaut den Rollstuhl von dort. Dabei haben Nutzer von Faltrollstühlen mehr Möglichkeiten, weil ihr Rollstuhl viel weniger Raum einnimmt. Er kann z.B. mit einer Rollstuhleinzugshilfe, dem „Ladeboy“ hinter den Fahrersitz gezogen werden. Dazu macht Paravan aus einer herkömmlichen Autotür eine Schiebetür. Ein Starrahmenrollstuhl hat meist ausschließlich im Heck Platz.

Rollstuhlladehilfe „Robot 3000“, ca. 12.300 € netto inkl. Einbau (Bild und Preisbeispiel: Paravan GmbH)

Bei einer Querschnittlähmung können ja auch die Anforderungen an Steuerungshilfen extrem unterschiedlich sein …

Gasring mit Bremshebel, ca. 4.800 € netto inkl. Einbau (Bild und Preisbeispiel: Paravan GmbH)

Wenn jemand mit einer eher niedrigen Lähmungshöhe einen Umbau braucht, geht es meistens darum die Funktionen der Beine durch Handgas und ggf. Commander zu ersetzen. Ich empfehle gern einen Gasring, weil er die Sitzhaltung nicht beeinträchtigt und die Schulterfunktion weniger belastet als andere Lösungen. Der Gasring liegt quasi hinter dem Steuer und kann dort aus jeder Position bedient werden. Aber wir bieten auch Gashebel und Hebel mit Zusatzfunktionen – sogenannte Sekundärfunktionen, wie Blinker, Warnblinker, Scheibenwischer, Hupe – an. Für Fahrer mit geringen Restkräften gibt es ein spezielles Handgerät, das die natürlichen Bewegungsabläufe unterstützt.

Wie können Fahrer, die eine sehr eingeschränkte Arm- und Handfunktion haben, ein Auto sicher steuern?

Nach der Kräftemessung können wir die Funktionen entsprechend anpassen, z. B. die Lenkung modifizieren bzw. über Joystick steuern lassen, Gas und Bremse ebenso. Dazu hat Paravan die „Space Drive II“-Technik entwickelt. Sie starten den Wagen per Knopfdruck und benötigen weder das Lenkrad noch die üblichen Pedale. Stattdessen arbeiten Sie mit Joysticks und Touch-Display. Diese können wir bei Bedarf versetzt einbauen, sodass sie bequem erreichbar sind. Alle Sekundärfunktionen können per Berührung oder Sprachsteuerung bedient werden.

Ist ein Fahrzeug auch komplett über Sprachbefehle steuerbar?

Jede Steuerung braucht immer eine dreifache Redundanz, d. h. wenn ein System ausfällt, müssen noch zwei andere Sicherungssysteme einspringen können. Im Moment sind nur Sekundärfunktionen verbal steuerbar. Die Sprachsteuerung wird derzeit weiterentwickelt. Mit Übung und ausreichender Beweglichkeit des Kopfes ist aber auch heute schon eine Steuerung mit dem Kinn über Joystick möglich.

Was kostet so ein High-Tech-Umbau?

Ein Umbau mit Space Drive II kostet rund 50.000 Euro*.

Welche Fördermöglichkeiten können Betroffene dazu in Anspruch nehmen?

In der Regel beträgt der Zuschuss der Agentur für Arbeit, des Integrationsamtes oder der Rentenversicherung  für Berufstätige, abhängig vom Verdienst, bis zu 9.500 Euro für das Basisfahrzeug. Muss ein Kunde im Auto umsetzen oder während der Fahrt in seinem Rollstuhl sitzen, braucht er ein „Fahrzeug zum Berollen“. Für diese Fahrzeuge gilt die Grenze von 9.500 Euro nicht. Der Zuschuss ist hier nicht begrenzt, aber ebenfalls abhängig vom Verdienst. Die Umbaukosten und die behinderungsbedingten Einrichtungen, die ab Werk im Auto vorhanden sind, z.B. Klimaanlage, Standheizung, Automatikgetriebe, Parkhilfe, Tempomat, Regensensor, Lichtautomatik, werden in beiden Fällen komplett übernommen.**

Werden selbstfahrende Autos diesen Aufwand in Zukunft hinfällig machen?

Das wird noch eine ganze Weile dauern … Solange sind wir für unsere Kunden da.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weiterführende Informationen u. a. auf den Seiten von www.paravan.de

* Alle genannten Preise sind Beispiele, die im konkreten Fall je nach Bedarf abweichen können, mit Stand vom März 2019.

** Verordnung über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation

Siehe auch: Was im Fahrzeugumbau heute möglich ist