Pflege bei Querschnittlähmung: Aus dem Alltag einer Krankenschwester

Wenn ein Patient eine Querschnittlähmung hat, stellt dies besondere Anforderungen an das Pflegepersonal in der Klinik. Fachkrankenschwester Vivian Radke erzählt von ihrem Alltag in der Unfallklinik Murnau.

Vivian Radke arbeitet seit acht Jahren in ihrem Beruf als Krankenschwester auf der Querschnittstation der Unfallklinik Murnau und ist seit drei Jahren Fachkrankenschwester. Mit Der-Querschnitt.de sprach sie über ihre Arbeit, ihren Alltag und die Bedeutung der Pflegekraft für querschnittgelähmte Menschen.

Frau Radke, was bedeutet Ihr Beruf für Sie?

Radke: Bevor ich Krankenschwester wurde habe ich in der Bank gearbeitet. Mir war am Abend oft nicht ganz klar, welchen Sinn meine Arbeit dort hat. Das Problem habe ich nun nicht mehr. Ein bisschen Helfersyndrom ausleben ist sicher auch mit dabei (lacht).

Wie sieht der Alltag auf Ihrer Station aus?

Radke: Wir haben auf unserer Station um die 30 Patientinnen und Patienten. Da ist von jung bis alt, frischverletzt und altverletzt bis hin zu beatmeten Patienten alles dabei. Da unsere Patienten oftmals pflegerisch sehr aufwendig sind, verbringen wir viel Zeit mit Grundpflege. Ein großes Thema bei der Pflege querschnittgelähmter Patienten sind natürlich Druckstellen. Hier haben wir immer wieder mit aufwendigen Verbandswechseln zu tun.

Bei frischverletzten Patienten steht auch das Thema Rehabilitation im Vordergrund. Wir beraten, leiten an, schulen usw.

Welche besonderen Anforderungen haben Patienten mit Querschnittlähmung?

Radke: Je nach Lähmungshöhe ist der pflegerische Aufwand relativ hoch. Neben einem breiten Spektrum an Know-How (Blasen -und Darmmanagement, Temperaturregulationsstörungen, vegetative Reaktionen, Spastik, neuropathische Schmerzen, etc.) ist auch ein großes Maß an Einfühlungsvermögen und Behutsamkeit, vielleicht auch Diplomatie gefragt. Zu begreifen, dass der eigene Körper nicht mehr derselbe ist, dass die Beine oder vielleicht auch noch die Arme nicht mehr mitmachen wollen, dass eine unwillkürlich ausgelöste Bewegung durch Spastik nicht die Rückkehr der Funktion bedeutet, ist nicht leicht. Und die Frage nach dem “werde ich wieder laufen können” lässt mich auch heute noch innerlich zusammenzucken.

Wie kann die Pflege Menschen mit neu eingetretener Querschnittlähmung helfen?

Radke: Wir sind da. Wir hören zu. Wir zwingen nicht. Wir beraten, informieren, leiten an, wir übersetzen, wir vernetzen.

Ganz wichtig hier ist die Zusammenarbeit im multimodalen Team: die Einbindung des Sozialdienstes, Abstimmung mit Physio-und Ergotherapie etc.

Durch verkürzte Liegezeiten ist sicher das ein oder andere Ziel der Rehabilitation, zumindest in der stationären Erstversorgung, nicht vollständig erreicht. Aber ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist, den Menschen den Umgang mit dem neuen, anderen Körper beizubringen, ihn kennen und verstehen zu lernen.

Was würde für Sie den Beruf erleichtern?

Radke: Den Beruf so attraktiv gestalten, dass es motivierten Nachwuchs gibt. Da stellt sich vor allem die Frage nach dem Preis-Leistung-Verhältnis in diesem anspruchsvollen und wenig familienfreundlichen Beruf. Ein anderes Thema ist die Anerkennung, z. B. von Seiten des Arbeitgebers aber auch von Seiten der Gesellschaft.

Vivian Radke bei der Arbeit.

Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, um Überlastungen und dem damit verbundenen Teufelskreis entgegenzuwirken: die Anzahl an hochgelähmten Patienten ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen (u. a. deshalb weil die Überlebenschancen bei solch schweren Verletzungen gestiegen sind) ebenso die Anzahl an beatmeten Patienten. Und damit natürlich der pflegerische Aufwand. Der Stellenschlüssel ist da leider nicht mitgewachsen. Der Nachwuchs auch nicht. Was wächst sind Krankmeldungen im Team.

Optimierte Räumlichkeiten und funktionierende Technik: Durch permanente Auslastung der Bettplätze sind die Zimmer teilweise “überfüllt” mit Rollstühlen, Duschstühlen, stummen Schwestern – arbeiten gleicht da gerne mal einem olympischen Spießroutenlauf.

Ein besonderes – technisches – Reizthema sind die Medienarme. Gute Nerven bei allen Beteiligten erwünscht! (lacht) Medienarme, das sind so die kleinen Zeitfresser, neben Kaffee-und Teekochen, Diskussionen mit der Apotheke, wachsendem Dokumentationswahnsinn und Checklisten ausfüllen, defekte Betten tauschen und Reparaturscheine rausschreiben…. Die Zeit fehlt dann, ja richtig: am Patienten.

Welche Strategien haben Sie, um mit dem anspruchsvollen Berufsalltag klarzukommen?

Radke: Ich kann mich ziemlich gut abgrenzen und nehme nur sehr selten Schicksale mit nach Hause. Wir reden dafür viel im Team. Und für einen guten körperlichen und seelischen Ausgleich sorgt viel Zeit und Sport in der Natur, in den Bergen, an den Seen. (Anm. d. Red.: Stress ist eine nicht zu unterschätzende Komponente beim Berufsalltag von Pflegenden. Ausgleichsstrategien sind unbedingt notwendig, siehe: Stress – Nur eine beiläufige Komponente? und Stressbewältigung – Wie kann ich Stress entgegenwirken?)

Vielen Dank für Ihre Erfahrungen!