Leben mit Querschnittlähmung: „Ich war eine unbequeme Patientin. Das hat viel gebracht!“
Nach einem Sturz vom Pferd lernt Klara N. den Krankenhausbetrieb von einer anderen Seite kennen: Aus der erfahrenen Ärztin wird eine mitunter unbequeme Patientin. „Zu recht!“, wie sie findet.

„Da tut sich ja doch nichts mehr“, meinte der Arzt, als er von Klaras Reha-Wunsch erfuhr – so erinnert sich Klara. Doch bei ihr tat sich trotz der demotivierenden Worte des Arztes einiges: Achteinhalb Jahre nach ihrem Reitunfall kann die 51-Jährige wieder ohne Hilfsmittel gehen. Nur für längere Strecken nimmt sie den Rollstuhl.
Dass sie nach einem inkompletten Querschnitt unterhalb Halswirbel C4 wieder „im wirklichen Sinne gut im Leben steht“, schreibt die Ärztin, die anonym bleiben möchte, zu einem großen Teil sich selbst zu: „Ich bin jemand, der an den Schmerz rangeht und auch noch drüber. Ich habe fleißig nachts geübt, habe viel gemacht, habe mich akupunktieren lassen, habe chinesische Kräuter genommen und über manche Bemerkungen auch von Ärzten hinweggehört“. Und so wurde „aus dem schlaffen Sack, der nur noch den Kopf und eine Schulter“ bewegen konnte, wieder eine Frau, die als Ärztin anderen Patienten hilft.
Natürlich liegen ihre Fortschritte auch in der medizinischen Versorgung begründet: Die Rettungskette war perfekt. Fünf Stunden nach dem Unfall lag sie im OP und hatte das Glück, von einem Neurochirurgen behandelt zu werden. Und auch später, in der Unfallklinik, „machten alle einen guten Job.“
„Zu wenig Empathie“
Wo also ist das Problem? Weshalb hat sie sich auf den Aufruf von Der-Querschnitt.de gemeldet, der Betroffene bat, über ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Strategien zu sprechen? Für Klara N. liegt das Problem in der Art und Weise, wie mit ihr als Querschnittpatientin umgegangen wurde: „Ich hatte immer das Gefühl, dass das einzige Interesse darin bestand, die Leute vom Bett in den Rollstuhl zu bekommen. Da war viel zu wenig Empathie und so gut wie nie Motivationsarbeit, weder im Querschnittzentrum noch in der Reha.“
Als Beispiel nennt sie einen Klassiker: Sie wurde unter der Dusche vergessen. „Da sitzt man dann nass und kalt und wartet darauf, dass einen jemand rufen hört.“ Bis zu diesem Punkt findet die Ärztin ihre Geschichte übrigens völlig okay: „Das kann passieren. In Kliniken stehen alle unter Stress.“ Erst danach kommt der Punkt, der Klara N. zum Nachgrübeln über ihren Berufsstand brachte: Niemand hat mit ihr darüber geredet, dass man sie in der Dusche vergessen hatte.
Was sie vermisste, war der persönliche Kontakt, das mitfühlende Miteinanderumgehen – gerade die Ärzte ließen es daran deutlich mangeln: „Wenn eine Visite drei Minute dauert – was soll da entstehen? Der Stationsarzt wusste nach acht Wochen meinen Namen noch nicht. Die Visite lief wie in einer Arzt-Soap, Chef voran, alle anderen hinterher, schnell weiter. Bei meiner Zimmernachbarin war selbst die Entlass-Visite sehr kurz, die hatte niemanden. Die ist quasi ins nichts entlassen worden.“
Klara N. fing ein intaktes Netz aus Freunden und Familie auf; vor allem der Mann und die drei Kinder haben sie gestützt, unterstützt und gefordert. „Ohne dieses Netzwerk wäre es schon schwierig geworden, denn gefühlt werden einem ständig Steine in den Weg gelegt. Man muss so viel kämpfen um so viele kleine Dinge wie die Verlängerung des Behindertenausweises oder ein paar Stunden Krankengymnastik. Querschnittgelähmte haben da kaum eine Lobby.“
Schwerer Zugang zu relevanten Informationen
Deshalb hat Klara – vermutlich auch gestützt durch ihr berufliches Wissen – nachgehakt, gefordert, widersprochen, wenn es ihr angeraten schien. Nach den ersten Wochen in der Klinik schrieb die Frau, die beruflich im Gesundheitswesen zu Hause ist, einen langen Brief an die Klinik und die Krankenkassen, und sprach die Punkte an, bei denen sie Verbesserungspotenzial sah und sieht. Nicht nur bei der zwischenmenschlichen Betreuung, sondern auch beim Zugang zu relevanten Informationen: „Ich hatte das Gefühl, dass ich mir alles irgendwie zusammenklauben musste. Da ein Tipp von einem Mitpatienten, hier ein Tipp von einem anderen Mitpatienten. Was mir gefehlt hat, war eine zentrale Anlaufstelle, die einen mit allen relevanten Informationen versorgt. Das scheint es in diesem Bereich nicht zu geben.“
Zur Zeit ist Klara auf ihrer zweiten Reha. „Diesmal habe ich mir ganz bewusst eine Klinik mit Schwerpunkt MS ausgesucht, hier fühle ich mich besser betreut. Bei Unfallkliniken habe ich oft eher das Gefühl, dass der Fokus darauf liegt, wieder alles irgendwie zusammenzuschrauben. Traumatologen, Therapeuten – alle machen ihren Job, aber die Empathie fehlt.“ An diesem mangelnden Einfühlungsvermögen hatte sie oft zu knapsen – wobei „es natürlich auch ganz tolle Menschen in den Kliniken gab.“ Geholfen haben ihr zudem Gespräche mit einem Klinikpastor, der sie sehr gestützt hatte.
Umgang mit Patienten verändert
Auch für sich selbst hat sie Lehren fürs Leben gezogen, nachdem sie die Seiten wieder gewechselt hatte und aus der Patientin wieder eine Ärztin geworden war: „Was man durch eine schwere Erkrankung über sich lernt, kann man nicht in Worte fassen – aber es zeigt sich im Umgang mit den Menschen und Patienten.“ Sie bemüht sich, empathischer zu sein – und nicht mehr so schnell wie früher eine flapsige Bemerkung gegenüber einem Patienten parat zu haben.
Patienten in einer ähnlichen Situation wie sie damals rät sie jedoch zu weniger Sensibilität und Zurückhaltung: „Denen würde ich sagen: Traut euch, ein unbequemer Patient zu sein! Worum geht es denn? Doch nicht darum, dass es dem Pflegefachpersonal oder den Ärzten gut geht, sondern darum, dass ihr selbst möglichst gut aus der Geschichte rauskommt.“
Leserin Ilona M. kommentierte am
„Hallo, ich kann die Erfahrungen von Klara N. nur ausdrücklich bestätigen.
Als ich vor ziemlich genau 8 Jahren in einem deutschen Querschnittszentrum wegen einer Rückenmarksverletzung behandelt wurde, ging es auch lediglich darum, mit mir eine “Mobilisierung” in den Rollstuhl zu erreichen. Auf die bange Frage, ob denn nicht vielleicht eine vage Chance besteht, wieder laufen zu können, erhielt ich die gereizte Antwort “Da geht eh nichts mehr”.
Selbst als ich nach ca. 2 Monaten durch ständiges Üben (außerhalb des Krankenhauses an einem Geländer) schon ein paar zaghafte Schritte machen konnte, war in der Reha ausschließlich Rolli-Training angesagt.
Sowohl dem Pflegepersonal als auch der Stationsärztin war es komplett egal, ob man auf die Beine kommt oder nicht. Ja, ich hatte sogar den Eindruck, dass motorische Fortschritte von Patienten auf der Station ganz und gar unerwünscht waren. Vielleicht weil man dann nicht mehr so abhängig vom Personal war oder die routinierte Standardpflege nicht mehr so angewendet werden konnte wie bei denjenigen, die gänzlich auf den Rollstuhl angewiesen waren.
Wie dem auch sei: Heute kann ich wieder – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – ohne Hilfsmittel ca. 2 km am Stück laufen, an guten Tagen etwas mehr, an schlechten weniger.
Ich genieße es übermaß, auch wenn es mitunter sehr mühsam ist, auf eigenen Beinen überall hinzukommen. Meinen Beruf als Lehrer kann ich wieder voll ausüben.
Deshalb mein Rat an alle diejenigen, die sich derzeit im QS-Zentrum befinden und gerne wieder laufen wollen: Laßt Euch ja nicht entmutigen, und gebt Euch mit dem Rolli-Training allein nicht zufrieden!
Ihr habt mehr Potential zum laufen, als man es Euch vielfach einzureden versucht (ca. 35-40 %). Ihr müßt bloß dranbleiben, es jeden Tag immer wieder versuchen, die Beine zu bewegen und dieses auch bei der Reha immer wieder beim Personal energisch einfordern.
Zieht Euch am Barren hoch und versucht dort, eine Zeitlang zu stehen, damit Euer Kopf dieses Standgefühl wieder lernt, das hat mir seinerzeit sehr geholfen. Danach dann Laufband und Standübungen im Schwimmbad bei hohem Wasserstand (damit es Euch trägt).
Viel Glück dabei wünscht Euch
Salieri“
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