Schwangerschaft bei Querschnittlähmung

Anders als bei Männern, deren Zeugungsfähigkeit mit Eintritt einer Querschnittlähmung in der Regel nachlässt, hat eine Rückenmarksverletzung keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit einer Frau und wird der Erfüllung eines Kinderwunsches – sofern die Frau im gebärfähigen Alter ist – nicht im Wege stehen.

Bild133701320 Copryright auremar, 2013 Mit Genehmigung von Shutterstock.com

Fruchtbarkeit und Empfängnis

Eine traumatisch bedingte Querschnittlähmung geht – unabhängig von der Höhe der Verletzung – häufig mit einem Ausbleiben der Menstruation während der ersten zwei bis zwölf Monate nach Eintritt der Querschnittlähmung einher. Diese vorübergehende Amenorrhö stellt allerdings keinen Schutz vor Schwangerschaft dar, da der Eisprung nach wie vor stattfinden kann. Sollte kein Kinderwunsch bestehen, ist bei sexueller Aktivität daher eine (individuell bevorzugte) Form der Verhütung unbedingt angezeigt (Ducharme/Gill, 2006).

Eine Querschnittlähmung beeinträchtigt die Fruchtbarkeit von Frauen und ihre Fähigkeit zur Empfängnis auf keine Weise: Die Follikel sind bereits vorgeburtlich in den Eierstöcken angelegt, Eireifung und Eisprung sind hormonell gesteuert und der Transport der Eizelle durch die Eileiter in die Gebärmutter wird durch deren Peristaltik und durch die Bewegung der Flimmerhärchen gewährleistet.

Schwangerschaft

Frauen mit Querschnittlähmung können eine ganz normale Schwangerschaft erleben. Zur Sicherheit von Mutter und Kind sollte aber eine enge Zusammenarbeit zwischen Gynäkologe, Paraplegiologe und Hebamme stattfinden (für Hilfe beim Suchen und Finden barrierefreier Praxen siehe: Ärzte ohne Barrieren), da auf verschiedene Faktoren speziell geachtet werden muss:

  • Medikamente: Überprüfung auf fruchtschädigende Wirkung
  • Thromboseprophylaxe: angepasste Physiotherapie, Hochlagern der Beine, angepasste Stützstrümpfe
  • Hilfsmittelanpassung: Kinderbett und Wickeltisch müssen ggf. unterfahrbar sein
  • Autonome Dysreflexie: Je näher der Geburtstermin rückt, umso größer ist die Gefahr einer autonomen Dysreflexie
  • Geburtstermin anpassen: Querschnittgelähmte Frauen entbinden früher (Kämpfer, 2012)
  • Dekubitusprophylaxe: Verbreiterung des Rollstuhls und Anpassung des Sitzkissens bei Gewichtszunahme, Routine der Gewichtsverlagerung und Druckentlastung anpassen
  • Vorsicht: verstärkte Tendenz zu Blasenentzündungen und Anämien (Ducharme/Gill, 2006)
  • Harndrang: Während der Schwangerschaft kein ein häufigeres Katheterisieren notwendig sein. Der erhöhte Bedarf an Kathetern muss beim Kostenträger beantragt werden. Oft ist hierzu eine entsprechende Bestätigung des Mehrbedarfs durch den Gynäkologen notwendig.

Zudem ist zu beachten, dass die Durchführung des in intermittierenden Selbstkatheterismus mit fortschreitender Schwangerschaft schwieriger werden kann und in den letzten Wochen ggf. eine Fremdkatheterisierung erfolgen sollte oder sogar muss. Darüber hinaus kommt es, genau wie bei nicht behinderten Frauen, zu einer Veränderung der Blasenkapazität im weiteren Verlauf der Schwangerschaft. Dadurch wird die Häufigkeit des Katheterisierens steigen. Da generell während einer Schwangerschaft die Gefahr von Blaseninfektionen erhöht ist, sollten beim Katheterisieren besondere hygienische Vorsicht walten lassen.

Wehen und Geburtsbeginn

Bild 32195230 copyright wavebreakmedia, 2013 Mit Genehmigung von Shutterstock.com

Bei fehlender Sensibilität kann die Wehentätigkeit durch ein Abtasten des Abdomen (der Bauch wird bei Wehen hart, der Uterus wölbt sich nach vorne)  kontrolliert werden. Andere Symptome, wie Spastik, Druckgefühl, Kopfschmerzen oder Temperaturwahrnehmungen, sind möglich und müssen als solche erkannt werden (Kämpfer, 2012). Den Beginn der Geburt können betroffene Frauen auch dann feststellen, wenn durch die Querschnittlähmung bedingt keine Kontraktionen der Gebärmutter zu spüren sind, z. B. durch leichte Blutungen oder durch den
Abgang des Fruchtwassers.

Aufgrund des Risikos vorzeitiger Wehen werden ab der 32. Schwangerschaftswoche wöchentliche Vorsorgeuntersuchungen empfohlen. Sobald sich der Muttermund zu öffnen beginnt, sollte die werdende Mutter zur Überwachung in ein Krankhaus gehen und Bettruhe einhalten (Durcharme/Gill, 2006). Gewöhnlich entbinden querschnittgelähmte Frauen – Paraplegikerinnen fünf bis sechs Tage; Tetraplegikerinnen ca. 24 Tage – vor dem errechneten Termin (Kämpfer, 2012).

Entbindung

Grundsätzlich ist eine vaginale Geburt auch dann möglich, wenn die Mutter nicht aktiv pressen kann, da im Uterus ein autonomes Reizleitungssystem aktiv wird, das die Geburt entscheidend beeinflusst. Durch die meist vollständige Entspannung der Bauch- und Beckenbodenmuskulatur bei einer schlaffen Lähmung wird der Geburtsvorgang erleichtert. Bei einer spastischen Lähmung hingegen, kann der Durchgang durch den Beckenboden für das Kind erschwert sein. Sollte es zu Verzögerungen bei der Austreibungsphase kommen, kann die Entscheidung für eine vaginale, instrumentelle Entbindung (z. B. mit Saugglocke) getroffen werden.

Bei einer tiefen Querschnittlähmung ist ein Kaiserschnitt nicht unbedingt notwendig und unterscheidet sich in seiner Indikation nicht von der bei Frauen ohne Rückenmarksverletzung. Ausnahmen sind eine hohe Paraplegie und Tetraplegie mit beeinträchtigter Atemfunktion und autonomer Dysreflexie (Kämpfer, 2012).

Siehe auch: Entbindung bei Müttern mit Querschnittlähmung

Stillen

Im Falle einer Verletzung über Th6 ist es möglich, dass die Milchproduktion nachlässt und ca. sechs Wochen nach der Geburt des Kindes aufhört. Eine häufige Stimulation der Brustwarzen kann dem entgegenwirken. Bei Frauen, die eine eingeschränkte Sensibilität im Bereich der Brust und der Brustwarzen haben, kann sich die Milchproduktion als schwierig erweisen, wenn dieser Mechanismus durch die Verletzung beeinträchtigt wurde (Ducharme/Gill, 2006).

Eltern sein

Ein Kind in die Welt zu bringen, das eigene Leben neu auszurichten, das überwältigende Gefühl Mutter oder Vater zu sein, stellte jedes neue Elternteil – ob Rollstuhlfahrer oder Fußgänger – vor Herausforderungen, deren Ausmaß im Vorfeld durch keine noch so detaillierte Schilderung oder noch so genaue Beobachtung abzusehen ist. Frischgebackene Eltern berichten oft, noch nie zuvor so viel Freude, aber auch noch nie zuvor so viel Angst empfunden zu haben.

Bild 70091143 copyright Hannamariah, 2013 Mit Genehmigung von Shutterstock.com

Eine Rückenmarksverletzung hat keinen Einfluss auf die eigenen Qualitäten als Mutter, wird aber einige Zusatzmaßnahmen erforderlich machen, die über die Anpassung der Hilfsmittel (unterfahrbares Kinderbett, unterfahrbarer Wickeltisch, Positionierung aller notwendigen Produkte zur Versorgung des Kindes in guter Reichweite) hinausgeht. Je nach Höhe der Verletzung wird ein eigenständiges Versorgen, das Hochnehmen, Tragen, Füttern, Baden und Wickeln des Kindes schwierig bis unmöglich sein und dieser Aspekt der Betreuung wird vom Partner oder von einer dritten Person übernommen werden müssen. Doch selbst wenn eine querschnittgelähmte Mutter solche Hilfen in Anspruch nehmen muss, so ist sie nicht zu ersetzen und kann trotz Rückenmarksverletzung viel wertvolle Zeit mit dem Kind verbringen und an (fast) allen Aspekten seiner Kindheit teilhaben. Für einen Erfahrungsbericht siehe: Unendlich viel Sonnenschein – vom Alltag als Mutter mit Handicap.

Durch sein Verhalten – weinen, wenn unzufrieden; friedlich sein, wenn alles okay ist – wird ein Kind seine Eltern immer sehr deutlich wissen lassen, ob sie „es gut machen“ oder nicht. Und es wird ihnen immer die Chance zur Verbesserung geben. Ob Mama oder Papa im Rollstuhl sitzen, wird ihm egal sein. Und letztendlich ist diese Meinung die einzige, die zählt.

Seit 2014 versorgt die englischsprachige  Website www.sciparenting.com Mütter und Väter im Rollstuhl mit Informationen zum Thema Elternschaft mit Querschnittlähmung. Für einen Ableger in deutscher Sprache siehe: Paramama: Website für Mütter mit Querschnittlähmung.

Siehe auch: Vater werden trotz Querschnittlähmung