Inklusion in Kinder- und Jugendsendungen: Sechs Charaktere im Rollstuhl
Nirgendwo funktionieren Inklusion und Integration besser als in Schulen und Kindergärten. Vielleicht weil Kinder noch keine Vorurteile kennen. Oder Vergleiche ziehen, bei denen alle, die nicht so sind wie sie selbst, bemitleidet werden müssen. Kinder- und Jugendsendungen liefern dabei gute Beispiele.

Die Zeiten sind vorbei, in denen Heidis Freundin Clara behütet und umsorgt wurde, bis sie ihre ersten zögernden Schritte machte, nachdem ihr Rollstuhl zerstört worden war. In den Serien, die Kinder heute sehen oder hören, müssen Behinderungen nicht überwunden werden. Sie sind ebenso ein Teil der betreffenden Figur wie ihre Haarfarbe oder ihr familiärer Hintergrund. Häufig sind Charaktere im Rollstuhl „nur“ Nebenfiguren, aber als solche wichtig und beim jungen Publikum der Sendung nicht weniger beliebt.
Alles neu für Lina
In der deutschen Mini-Fernsehserie „Alles neu für Lina“ ist es der Vater der Familie, der im Rollstuhl sitzt.
Die Tatsache, dass Linas Vater querschnittgelähmt ist und die Gründe dafür, werden nicht thematisiert. Es ist einfach so. Und während Kinder, die die Serie sehen, verfolgen, wie sich ein kleines Mädchen in einer neuen Nachbarschaft in der Großstadt zurechtfindet, erleben sie ganz nebenbei wie ihr Vater ihr bei dieser Eingewöhnung hilft. Dass er dabei im Rollstuhl mobil ist, macht für Lina – und daher auch für den Zuschauer – keinen Unterschied.
Für mehr Informationen siehe: Serie: „Alles neu für Lina„
Avatar – der Herr der Elemente
Die Trickserie „Avater – der Herr der Elemente“, spielt in einer fiktiven Welt vor dem Eintreten der Technisierung. Die Mission der Protagonisten ist es, ihre Welt davor zu retten von der Feuernation überrannt zu werden, die alle anderen Nationen unterjochen will. In „Avatar“ gibt es mehrere Charaktere mit Beeinträchtigungen. Eine der Hauptfiguren ab Staffel zwei ist blind, eine Nebenfigur hat Armprothesen – und es gibt einen Jungen im Rollstuhl.
Teo sitzt nach einer nicht näher ausgeführten Begebenheit in seiner Kindheit im Rollstuhl. Sein Vater, ein Mechaniker, hatte diesen für ihn gebaut und so ausgerüstet, dass Teo mit dem Rollstuhl nicht nur fahren sondern auch fliegen kann. Mit dem bei Bedarf entfaltbaren, lenkbaren Gleitdrachen ist er ebenso gut in der Luft unterwegs, wie andere Figuren ohne Gehbehinderung.
Bezeichnend für alle Charaktere mit Behinderung in „Avatar“ ist, dass keinerlei Fokus auf ihre Beeinträchtigungen gelegt wird, sondern auf die Strategien, mit denen sie sie (erfolgreich) ausgleichen. Mitleid ist etwas, das sie weder erhalten noch erwarten – geschweige denn brauchen.
Dennis und Fletscher
Rollstuhlfahrerin Rubi ist zwar nicht Titelheldin aber dennoch Hauptfigur in der Trickserie „Dennis und Fletscher“ (ein Spin-Off des berühmten Comics „Dennis“ aus den 50er Jahren), in der der Junge Dennis, sein Hund Fletscher und ihre Freunde Abenteuer erleben.
Wichtiges Mitglied der Gang ist neben Torte und JJ Keyboarderin Rubi. Der Sender Toggo beschreibt sie mit folgenden Worten: „Rubi braucht einen Rollstuhl, aber das hindert sie an fast gar nichts! Sie kann sogar richtig coole Stunts mit ihrem Rolli machen. Zusätzlich hat sie ihn mit allen möglichen Extras ausgestattet: ein Geländeantrieb, Solarzellen, GPS – sogar ein kleiner Kühlschrank ist eingebaut. Mit ihrem Tablet steuert Rubi all ihre Erfindungen.“
Ihr technisches Talent hat Rubi von ihrem Vater, einem Erfinder, geerbt. Und das ist es auch, was ihren Charakter in der Serie ausmacht. Sie stattet sich und ihre Freunde mit allem möglichen technischen Schnickschnack aus und hilft Dennis so u. a. einen Widersacher bei einem großen Seifenkistenrennen auszustechen – das Dennis im Rollstuhl bestreitet. Ihre Gehbehinderung ist niemals ein Thema.
Glee
Glee ist eine Jugendserie, in der es um High-School Schüler, ihre Sorgen, Nöte und Beziehungen und ihr Engagement im Schulchor geht. Mit dabei ist der querschnittgelähmte Artie Abrams, der sich von seiner Gehbehinderung nicht davon abhalten lassen will wie ein Engel zu singen und seinen Traum, ein Musical-Darsteller zu werden, zu verwirklichen.
In der Serie werden Arties Behinderung und Hoffnungen auf die Heilung von Querschnittlähmung immer mal wieder thematisiert. Trotzdem ist die Figur nicht bloßer Mitleidsträger sondern wichtiger Bestandteil der Show und der Dynamik der Charaktere untereinander. Und auch in Sachen „Beziehungen“ kommt Artie nicht zu kurz.
Elea Eluanda
In der Hörspielserie Elea Eluanda geht es um Freundschaft und Zauberei. Die Titelheldin ist ein Mädchen, das bei einem Unfall ihre Eltern verlor und seither querschnittgelähmt ist.
Elea erlebt zusammen mit ihren Freunden Ravi und Zechy (eine magische Trösteeule) ihre Abenteuer sowohl in der richtigen Welt als auch in der magischen Welt Arambolien.
In der realen Welt lebt Elea bei ihrer Tante und besucht eine Schule, an der Barrierefreiheit durchaus gegeben zu sein scheint. Sie ist sehr schlau aber auch in gewisser Weise aufmüpfig, weshalb sie und Mathelehrer Bartels kein sehr harmonisches Verhältnis haben. Dem ungeliebten Lehrer die Meinung zu sagen, ist etwas was sich viele Kinder sicherlich wünschen, im Gegensatz zu Elea aber nicht trauen würden. Dies alleine kann sie bei Hören beliebt machen, zudem ist sie – wie es sich für eine Titelheldin gehört – freundlich, hilfsbereit und eine Sympathieträgerin, weil sie nicht nur ihre Eltern verloren hat, sondern sich nach dem Unfall auch ihre beste Freundin Tessa gegen sie wendet.
Es ist allerdings so, dass Elea bei ihren Besuchen in der Welt Arambolien nicht querschnittgelähmt ist. Ein glückliches und erfolgreiches Leben kann man im Rollstuhl aber auch führen, ohne sich in Traumwelten „gesund“ wünschen zu müssen.
Die drei Fragezeichen
Für viele der älteren Leser, gehörten die ??? – Erster Detektiv: Justus Jonas, Zweiter Detektiv: Peter Shaw, Recherchen und Archiv: Bob Andrews – zur Kindheit, denn die Bücher um die drei Jungdetektive gibt es schon seit den 60er Jahren und das erste Hörspiel erschien 1979.
In jeder Folge müssen die drei Jugendlichen einen neuen, spannenden Fall lösen. Über dreißig Jahre nach dem ersten Abenteuer der ??? trat zum ersten Mal Jelena Charkova auf. Sie ist eine wiederkehrende Nebenfigur – die querschnittgelähmt ist und z. B. in den Hörspielen „Botschaft von Geisterhand“, „Toteninsel“ oder „Tödliches Eis“ vorkommt.

Jelena ist seit einem Verkehrsunfall Paraplegikerin und sitzt im Rollstuhl. Da sie sehr schlau ist, sind sie und ihr messerscharfer Verstand eine wahre Herausforderung für Justus Jonas (der argwöhnt, dass an seinem „Wer ist der Klügste?“-Stuhl gesägt wird). Außerdem ist sie mit ihren großen Augen und honigblonden Haaren eine Gefahr der romantischen Art – und zwar für Bob. Weder für Justus noch für Bob spielt der Rollstuhl in ihren Beziehungen zu Jelena je eine Rolle.
In Nebensätzen wird allerdings erwähnt, dass sie bei ihren Nachforschungen mit ihrem Rollstuhl manchmal an ihre Grenzen stößt. Grund dafür ist mangelnde Barrierefreiheit; ein Fall, der wirklich mal gelöst werden müsste.
Auch in unserer Kolumne „Quer-Schnittchen“ macht man sich Gedanken zum Thema. Siehe dazu: Meine Querschnittlähmung und ich: Heterosexuelle, hellhäutige Menschen ohne Behinderung.
Ein Leser hat die Redaktion darauf aufmerksam gemacht, dass es auch der Weihnachtsklassiker „Anna“ aus dem Jahr 1987 zum Thema passt. Hier ist es Nebenfigur Rainer, der dauerhaft im Rollstuhl mobil und romantisch an Hauptfigur Anna interessiert ist. Spoiler: Er kriegt am Ende das Mädchen.
Vielen Dank für den Hinweis!