Bewilligung von teuren Hilfsmitteln: richtig argumentieren
Die Bewilligung teurer medizinischer Hilfsmittel ist ein Dauerbrenner im Verhältnis zwischen querschnittgelähmten Menschen und Kostenträgern. Der-Querschnitt.de hat mit Julian Jakobsmeier, Fachanwalt für Medizinrecht, über die Hürden bei der Genehmigung von Roboterarmen gesprochen. Einerseits ein Thema, das relativ wenige Menschen mit Querschnittlähmung betrifft. Andererseits aber auch ein Thema, das Mechanismen in der Bewilligungspraktik aufzeigt – und Möglichkeiten, ihnen entgegenzuwirken.

Hoch entwickelte Roboterarme sind sehr teure Hilfsmittel und belasten das Budget der Kostenträger schnell mit mehreren Tausend Euro – „weshalb es derzeit auch einige Verfahren gibt, weil gesetzliche Krankenkassen deren Bewilligung abgelehnt haben“, sagt Jakobsmeier.
Der Rechtsanwalt bedauert, dass „viel zu wenige Menschen gegen eine Ablehnung Widerspruch einreichen. Dabei ist es durchaus denkbar, dass im Widerspruchsverfahren dem Widerspruch abgeholfen wird.“ Zu verlieren haben Betroffene ohnehin kaum etwas: Widerspruch einzulegen kostet nichts – außer vielleicht Überwindung und Nerven. (Siehe auch Beitrag Medizinische Hilfsmittel beantragen (2) – Keine Angst vor Widerspruch)
Einigung noch vor Urteilsspruch
Geht es nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren tatsächlich vor Gericht, kann der Kläger die Kosten dank einer Besonderheit im deutschen Sozialrecht ebenfalls in Grenzen halten: Für Prozesse vor Sozialgerichten muss man keinen Rechtsanwalt engagieren (siehe auch Beitrag Verfahren vor dem Sozialgericht). Wer sich dennoch von einem Anwalt unterstützen lassen will, kann eventuell Prozesskostenbeihilfe beantragen, sollte aber auf jeden Fall einen Blick ins Kleingedruckte einer eventuell bestehenden Rechtsschutzversicherung werfen, denn, so Jakobsmeier, „häufig sind dort auch Sozialgerichtsverfahren inkludiert, was vielen nicht bewusst ist.“ Selbst wenn der Kläger die Kosten alleine trägt, muss das „gar nicht so teuer“ werden, sagt Jakobsmeier, „denn im Sozialrecht richtet sich der Anwaltssatz nicht nach dem Wert des Gegenstandes.“
Die Chancen, dass es zu einer Einigung zwischen Kostenträger und Antragsteller kommt, bevor ein Urteilsspruch gefällt wird, stehen relativ hoch: „Zwar können bei der Hilfsmittelbewilligung ohnehin keine Präzedenzfälle geschaffen werden, weil jeweils nach einer Einzelfall-Bewertung entschieden wird und keinen generellen Anspruch zum Beispiel auf Roboterarme gibt“, sagt Jakobsmeier. „Aber gerade bei neuen Hilfsmitteln wollen Krankenkassen erst gar keine Urteile schaffen, auf die man sich in irgendeiner Form beziehen könnte“.
Wesentliche persönliche Vorteile herausstellen
Und so muss von Fall zu Fall geprüft werden, welche Gebrauchsvorteile ein Roboterarm für einen gelähmten Menschen bringen würde und ob er bewilligt werden kann.
Vereinfacht gesagt: Ein Antragsteller muss sehr überzeugend darlegen können, dass ihm ein sehr teurer Roboterarm wesentliche Vorteile bringen würde und ein Modell, das nur stationär am Tisch montierbar ist, nicht genügt. Wer zum Beispiel einen Roboterarm will, der sich auch am Rollstuhl montieren lässt und den er über die vorhandene Rollstuhlsteuerung oder über eine Mundsteuerung lenken kann, muss dies nachvollziehbar begründen.
Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zählen
Der Fachanwalt nennt einige Argumentationsmöglichkeiten, die alle in eine Richtung zielen: Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Je nach Stand der Umfeldsteuerung in der eigenen Wohnung könne es einem Tetraplegiker durch einen derartigen mobilen Arm möglich werden, auch ohne seine menschliche Assistenz eine Tür zu öffnen. Eine Frage der Selbstbestimmung – und der persönlichen Sicherheit, zum Beispiel im Falle eines Brands.
Die Grenzen dessen, was als nötig eingestuft wird und was nicht, sind dabei schwer zu ziehen, erläutert der Fachanwalt an einem Beispiel aus der Praxis: Ein querschnittgelähmter Mensch hatte einen Roboterarm beantragt, um selbstständig einen Becher Wasser oder feste Nahrung zum Mund führen zu können. Das Gegenargument der gesetzlichen Krankenkasse: Die Nahrung müsse nach wie vor von einem anderen zubereitet werden, von einer selbstständigen Versorgung könne nicht die Rede sein. Antrag abgelehnt. Eine Argumentation, der Jakobsmeier entgegenhält: „Das wäre so ähnlich, als ob man sagen würde: Ein Querschnittgelähmter darf nur dann einen Rollstuhl haben, wenn er sich in diesen ohne fremde Hilfe hineinsetzen kann“. Letztendlich bekam der Antragsteller den Roboterarm bewilligt.
Auf Gutachter-Besuch vor Ort pochen
Er rät deshalb dazu, Ablehnungsbescheide und die Begründungen von Gutachtern immer sorgfältig zu prüfen (siehe auch Beitrag MDK: Entsender von Gutachtern, aber auch Kontrollinstanz für Pflegeheime und Kliniken). Häufig seien Ablehnungsbescheide „sehr formelhaft“ oder verwiesen auf andere, wohnumfeldverbessernde Maßnahmen. „Auf solche Argumente kann man beim Widerspruch eingehen und klarstellen: Die helfen mir in der Wohnung, außerhalb aber nicht“, denn dann endet die selbstbestimmte Mobilität in dem Moment, in dem die Arztpraxis im ersten Stock liegt und der E-Rolli-Fahrer irgendwie den Aufzugsknopf drücken muss – oder eben warten muss, bis jemand kommt, der das für ihn erledigt. Jakobsmeier rät deshalb dazu, immer die persönlichen entscheidenden Vorteile in Sachen Selbstbestimmung – wenn möglich bereits beim Erstantrag – herauszuarbeiten. Themen könnten hier neben der Nahrungs- und Getränkeaufnahme auch der Wunsch sein, zumindest Teile der Körperpflege wieder selbst zu übernehmen.
„Leider gibt es keine Patentlösung für derartige Konflikte“, sagt der Anwalt, „jeder Fall muss individuell geprüft werden“. Auf keinen Fall sollten Antragsteller eine reine Schreibtischentscheidung akzeptieren, sondern immer auf einen Gutachter-Besuch beharren, so sein Tipp. Wer dem Gutachter vor Ort demonstrieren kann, dass er immer erst gegen den Türrahmen fahren und den Kopf am Holz reiben muss, um irgendwie die Lesebrille auf die Stirn hochzuschieben, hat ein gutes Argument für einen Roboterarm.
Nach Möglichkeit üben und trainieren
Der Termin vor Ort sollte, so Jakobsmeier, optimalerweise stattfinden, nachdem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, sich mit dem teuren Hilfsmittel und seiner Handhabung und Steuerung ausreichend vertraut zu machen. Sonst bestehe die Gefahr, dass der Gutachter nicht ganz zu Unrecht zu dem Schluss komme, dass der Betroffene das teure Teil „nicht adäquat nutzen könne“ und den Antrag ablehnt. Die Chance, mit einem neuen Hilfsmittel ausreichend zu üben, besteht durchaus: Häufig genehmigt die Krankenkasse einen Probelauf, häufig bieten auch Hersteller Leihgeräte kostenfrei für eine persönliche Testphase an: „Wer ohnehin gut mit seiner Rollstuhlsteuerung zurechtkommt, wird auch das recht schnell schaffen.“ Allerdings: Einen einklagbaren Rechtsanspruch auf den Probelauf gibt es nicht.
Ehrlich zu sich selbst sein
Und noch ein Hinweis ist dem Fachanwalt wichtig: „Die Technik entwickelt sich immer weiter, was ja super ist. Wer eine Kostenübernahme erreichen will, sollte sich das neue Hilfsmittel ganz genau anschauen und testen, ob es etwas für ihn ist. Danach sollte man ehrlich zu sich sein und sich fragen: Bringt mir das teure Gerät wirklich einen wesentlichen Vorteil in meinem Leben oder ist es nur ein Nice-to-have? Im ersteren Fall gilt: Dafür kämpfen!“
Für weitere Informationen siehe auch Beitrag Zur Kostenübernahme von Exoskeletten und Roboterarmen.