Suchtmittel? Gesunde Ernährung? So gehen querschnittgelähmte Menschen mit ihrem Körper um
Achten Menschen mit Querschnittlähmung besonders sorgfältig oder besonders wenig auf ihren Körper? Ein Forschungsprojekt untersuchte die Ernährungsgewohnheiten und den Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsum von Rückenmarksverletzten – und verglich diese Daten mit den Gewohnheiten der Gesamtbevölkerung.

Das Wissenschaftsteam um Dr. Christine Fekete arbeitete sich durch eine lange Liste von Aspekten, die Aufschluss über das Körper- und Gesundheitsbewusstsein von Menschen mit Querschnittlähmung geben können. Angefangen mit dem Konsum von Suchtmitteln über die (alkoholfreie) tägliche Trinkmenge bis hin zur Größe der Gemüse- und Obstportionen – erwiesenermaßen Schlüsseldeterminanten für Erkrankungsanfälligkeit und frühe Sterblichkeit (Fekete, Nutrition).
Im Rahmen der großangelegten SwiSCI-Studie der Schweizer Paraplegiker-Forschung wurden 511 Rückenmarkverletze zu ihren Gewohnheiten im Guten wie im Schlechten befragt. Anschließend wurden diese Angaben mit den Daten verglichen, die eine Schweizer Gesundheitsbefragung für die Gesamtbevölkerung geliefert hatte. Heraus kamen Vergleichszahlen und Fakten, die sich vermutlich auf alle Westeuropäer übertragen lassen.
Genügend trinken? Kein Problem!
Ausreichend zu trinken ist gerade für Menschen mit Querschnittlähmung wichtig, um den Körper gesund zu erhalten und z. B. Blasenentzündungen zu vermeiden (mehr Informationen dazu im Beitrag Trinkverhalten bei Querschnittlähmung). Zumindest die Schweizer Befragten haben diese Tatsache jedoch offenbar nur zum Teil verinnerlicht: 11,7 % gaben an, weniger als einen Liter täglich zu trinken, 23,5 % setzten ihr Kreuzchen bei 1 bis 1,5 Liter, 37,5 % tranken sogar regelmäßig mehr als 2 Liter am Tag (Fekete, Ernährung).
Der statistisch betrachtet durchschnittliche querschnittgelähmte Mensch, hat das Forschungsteam berechnet, nahm am Tag 2,02 Liter Flüssigkeit zu sich. Damit gluckerten in seinem Bauch 0,36 Liter mehr Wasser, Saft oder Tee als beim Durchschnittsschweizer, der nur 1,66 Liter trank (Fekete, Nutrition). In dieser Kategorie also ein klarer Punktsieg für die Para- und Tetraplegiker.
Obst und Gemüse? Viele Vitamin-Muffel!
Ein Unentschieden gab es beim Obst- und Gemüsekonsum – wobei angemerkt werden muss, dass es bei diesen Nahrungsmitteln bei beiden Gruppen in Zukunft gerne ein bisschen mehr sein dürfte.
Für Menschen mit Querschnittlähmung werden drei bis vier Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag empfohlen, um eine gute Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen zu sichern und die Peristaltik (Transport des Stuhls im Darm) und die Stuhlkonsistenz positiv zu beeinflussen (siehe auch Beitrag 14 Regeln zur Ernährung bei Querschnittlähmung). Ein Wert, den laut SwiSCI-Befragung nur 19,1 % erreichten. Das Gros (46,1 %) aß immerhin 3 bis 4 Portionen Obst und Gemüse am Tag, 25,3 % kamen auf 1 bis 2 Portionen, 9,1 % nahmen sogar weniger als 1 Portion Obst und Gemüse am Tag zu sich.
Wobei der Querschnittgelähmte offenbar lieber Obst als Gemüse isst: 1,44 Portionen Obst (statt der empfohlenen 2). Wenig, aber immer noch mehr als beim Durchschnitts-Gesamtschweizer, der sich nur 1,32 Portionen munden ließ. Dafür griff letzterer eher zu Gemüse: 1,58 Portionen am Tag – die Querschnittgelähmten nur zu 1,46. (Fekete, Nutrition) Beide Gruppen also eher Vitamin-Muffel …
Alkohol und Tabak: Moderat und dennoch zu viel?
Fast ein Viertel der befragten Rückenmarksverletzen (24,9 %) bezeichnete sich bei der Befragung als aktiver Raucher. In diesem Punkt gibt es kaum Unterschiede zum Durchschnittsschweizer (24,8 % aktive Raucher). Außer vielleicht, wenn man mögliche querschnitt-spezifische Folgeerkrankungen mit in die Waagschale wirft: Von einer Verschlimmerung neuropathischer Schmerzzustände bis zu einem erhöhten Risiko für Dekubitus ist alles möglich (siehe auch Beitrag Rauchen und Querschnittlähmung).
Beim Thema Alkohol zeigten sich die querschnittgelähmten Befragten dagegen relativ zurückhaltend: Während der durchschnittliche Querschnittgelähmte 6,3 Gramm Alkohol am Tag zu sich nahm, genehmigte sich der Durchschnittsschweizer mit 12,2 Gramm fast das Doppelte (Fekete, Ernährung).
Zur Orientierung: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nennt als Obergrenze für den sogenannten risikoarmen Konsum bei gesunden Frauen 10 bis 12 Gramm Alkohol am Tag (0,3 Liter Bier oder 0,125 Liter Wein), für Männer gilt maximal die doppelte Menge als risikoarm. (BZgA, Kompakt). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt für das Suchtmittel Alkohol bewusst keine empfehlenswerte Obergrenze, da „es wissenschaftlich belegt ist, dass ein vollständiger Verzicht auf Alkohol aus gesundheitlicher Sicht bei weitem am besten ist. Alkoholkonsum ist eng mit etwa 60 verschiedenen Diagnosen assoziiert, wobei es fast immer eine enge Dosis-Wirkungs-Beziehung gibt, d. h. je höher der Konsum, desto höher das Krankheitsrisiko.“ (WHO, Alkoholkonsum)
Sonderfall Cannabis
Auf den ersten Blick dramatisch anders sieht das Verhältnis bei Cannabis aus: Nur 1,2 % der Gesamtbevölkerung gaben an, in den letzten 30 Tagen Cannabis konsumiert zu haben. Bei den Rückenmarksverletzten waren es 7 % (Fekete, Ernährung). Alles verlotterte Kiffer? Wohl kaum. „Die Autoren vermuten, dass dies auf die spastik- und schmerzreduzierende Wirkung des Cannabis zurückzuführen ist“, konstatiert das SwiSCI-Forschungsteam (Brinkel, Cannabis). In Deutschland ist THC, der Cannabisbestandteil, der „high“ macht, rezeptierfähig. Er darf verschrieben werden, wenn dieselbe Wirkung mit anderen Stoffen nicht zu erreichen ist. Ähnliche Regelungen gelten in der Schweiz und in Österreich. Neben obengenannte Anwendungsbereichen werden Präparate auf Cannabis-Basis auch bei der Behandlung von Folgeerkrankungen bei Querschnittlähmung eingesetzt (siehe auch Beitrag Der Einsatz von Cannabis bei Querschnittlähmung).
Ob jeder angegebene Cannabis-Konsum ausschließlich therapeutischen Zwecken diente, ist nicht bekannt. Allerdings zeigten sich „starke Zusammenhänge zwischen Rauchen, Alkohol- und Cannabiskonsum: Raucher trinken generell mehr Alkohol und geben an, häufiger Cannabis zu konsumieren als Nicht-Raucher“, konstatiert die Studie. Ebenfalls wenig überraschend: Je mehr ein rückenmarksverletzter auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung Wert legte, desto weniger trank er oder sie Alkohol (Fekete, Ernährung).
Eine Frage des Alters und des Geschlechts
Das Schweizer Forschungsteam beließ es nicht bei den absoluten Zahlen. In einem weiteren Schritt ging es unter anderem um die Frage, ob Bildungsstand und Einkommen das Gesundheitsverhalten bei Personen mit Rückenmarksverletzung beeinflussen. Die Antwort ist einfach: Nein. Was auch das Forschungsteam wunderte: „Erstaunlicherweise fanden wir in den SwiSCI-Daten jedoch keine Zusammenhänge zwischen Bildung, Einkommen und dem Gesundheitsverhalten.“ (Fekete, Ernährung).
Dafür sorgten Alter und Geschlecht – wir zitieren- „erwartungsgemäß“ für Verhaltensunterschiede: Querschnittgelähmte Männer achteten weniger auf eine gesunde Ernährung und tranken noch dazu mehr Alkohol als Frauen. Das Alter wiederum scheint über Einfluss auf das bevorzugte Suchtmittel zu haben: Ältere rauchten seltener als Jüngere und konsumierten weniger Cannabis – dafür tranken sie mehr Alkohol (Fekete, Ernährung).
Fragen zur gesunden Ernährung bei Querschnittlähmung? Die Expertinnen des BZ für Ernährung und Verdauung Querschnittgelähmter der Manfred-Sauer-Stiftung beraten gerne bei Ernährungsproblemen und auch bei neurogenen Darmfunktionsstörungen. Telefontermine können jederzeit vereinbart werden.