Soll Wege und Wartezeiten sparen: Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel ohne ärztliche Verordnung
Für Hilfsmittel und/oder Pflegehilfsmittel brauchen Menschen mit Querschnittlähmung (und andere Menschen mit Pflegestufe) nicht mehr zwingend eine ärztliche Verordnung. In der häuslichen Versorgung genügt mitunter eine sogenannte Empfehlung einer Pflegefachkraft. Die Neuregelung hat einige Vorteile: Die Fachkraft kennt das häusliche Umfeld meist besser als der behandelnde Arzt – und weiß, was zum selbstbestimmten Leben oder für die Pflege fehlt. Und die Betroffenen oder ihre Angehörigen sparen sich einen Arzttermin.

Das Leben von Menschen mit Querschnittlähmung kann also in einigen Aspekten einfacher werden. Zu verdanken haben sie dies einem Gesetz mit einem umso sperrigeren Namen: Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG). Dieses Gesetz erweitert seit Anfang 2022 die Zuständigkeiten von qualifizierten Pflegefachkräften. Wozu auch die Berechtigung gehört, zu bestimmen, welche Hilfsmittel, beziehungsweise Pflegehilfsmittel Menschen benötigen – sofern sie zuhause Pflegeleistungen erhalten.
Fachkräfte können nun Hilfsmittel beziehungsweise Pflegehilfsmittel empfehlen, die zur Linderung von Beschwerden beitragen, ein selbstbestimmtes Leben fördern oder schlichtweg die Pflege erleichtern. Dazu zählen unter anderem Bade- und Duschhilfen, Kranken- und Behindertenfahrzeuge, Krankenpflegeartikel, Lagerungs-, Mobilitäts- und Toilettenhilfen und Pflegehilfsmittel zum Verbrauch.
Lange Liste von Hilfsmitteln
Es sind erstaunlich viele (Pflege-)Hilfsmittel, die unter diese neue sogenannte Vermutungsregelung fallen. „Vermutungsregelung“ deshalb, weil bei diesen Produkten vermutet werden darf, dass sie erforderlich, beziehungsweise notwendig sind für die Versorgung eines Menschen mit Pflegegrad.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und Pflegekassen hat die gesetzlichen Regelungen in neuen Richtlinien konkretisiert. In den Anhang wurde auch eine detaillierte Auflistung aller Hilfs- und Pflegehilfsmittel gepackt, die nun auf Empfehlung genehmigt werden können. Die Liste kann auf den Seiten des GKV-Spitzenverbandes eingesehen und/oder heruntergeladen werden: Im entsprechenden Beitrag („Richtlinien zur Empfehlung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln durch Pflegefachkräfte gemäß § 40 Absatz 6 Satz 6 SGB XI“) findet sich ein Link, der zur PDF-Version der Richtlinien führt. In Anhang II des Dokuments (Seite 16 bis 30) werden die Hilfs- beziehungsweise Pflegehilfsmittel genannt, für die eine Empfehlung ausgesprochen werden kann.
Sich schnell mal von der Pflegekraft einen schicken neuen Duschstuhl empfehlen zu lassen, ist jedoch nicht so leicht möglich: Sind entsprechende Hilfsmittel bereits im Haushalt vorhanden, muss erst geprüft werden, ob sie nicht angepasst oder repariert werden können. Denn, so der GvK, das Recht der Kranken- beziehungsweise Pflegekasse auf eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit bleibt – und ein Vetorecht bei „offensichtlicher Unrichtigkeit der Empfehlung durch die Pflegefachkraft“ gibt es auch.
Bisher benötigten Betroffene mit Bedarf an (Pflege-)Hilfsmitteln eine Verordnung eines Fach- oder Hausarztes, im Rahmen der Pflegebegutachtung gaben (und geben natürlich immer noch) der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachterinnen und Gutachter konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung ab, was einem Antrag auf diese Leistungen gleichkommt. (Weiterführende Informationen zu diesem Thema gibt es in den Beiträgen auch Medizinische Hilfsmittel beantragen, Pflegegutachten und Gutachterbesuch sowie MDK: Entsender von Gutachtern, aber auch Kontrollinstanz für Pflegeheime und Kliniken.)
Schneller und einfacher
Nun können auch Pflegefachkräfte während ihres Einsatzes im häuslichen Umfeld des Betroffenen konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abgeben, womit laut Bundesgesundheitsministeriums „eine zusätzliche Prüfung der Notwendigkeit der Versorgung durch die Pflege- oder Krankenkasse“ entfällt. „Diese Regelungen dienen der Vereinfachung des Antragsverfahrens, damit die Versicherten wichtige Hilfsmittel zur Förderung ihrer Selbstständigkeit schneller und einfacher erhalten.“
Ein bisschen Bürokratie bleibt
Wer eine entsprechende Empfehlung der Pflegekraft seines Vertrauens erhalten hat, muss diese binnen zwei Wochen an den Leistungserbringer (zum Beispiel Apotheke oder Sanitätshaus) weiterleiten. Dieser stellt dann bei der Kranken- oder Pflegekasse den entsprechenden Antrag – und dann sollte innerhalb von drei Wochen das Okay kommen.
Damit das reibungslos klappt, rät der VdK den Fachkräften dazu, möglichst konkret und ausführlich zu beschreiben, in welchen Situationen das Hilfsmittel benötigt wird. Das entsprechende Formular kann u.a. auf den Seiten des GKV-Spitzenverbandes im Anhang der entsprechenden Verordnung heruntergeladen werden: Richtlinien zur Empfehlung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln durch Pflegefachkräfte gemäß § 40 Absatz 6 SGB XI GKV-Spitzenverband
Um es noch einmal zu betonen: Die Regelung gilt nur im Rahmen einer häuslichen Versorgung von Pflegebedürftigen. Ganz konkret und ausschließlich bei:
- häuslicher Pflege nach § 36 SGB XI (Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben bei häuslicher Pflege Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Sachleistung),
- häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V (Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung, meist für bis zu vier Wochen),
- außerklinischer Intensivpflege nach § 37c SGB V sowie
- Beratungseinsätzen nach § 37 Absatz 3 SGB XI
Und noch eine Regelung gilt es zu beachten: Es dürfen nur Fachkräfte eine Empfehlung aussprechen, die nach dem Pflegeberufegesetz qualifiziert sind. Aber immerhin: Sie benötigen keine neue Zusatzqualifikation.
Das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) steht auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums zum Download bereit: Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz.
Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Unter keinen Umständen ersetzt er jedoch eine rechtliche oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch eine juristische Fachperson oder Menschen mit Qualifikationen in den entsprechenden Fachbereichen, z.B. Steuerrecht, Verwaltung. Der-Querschnitt.de führt keine Rechtsberatung durch.