Spina bifida – Angeborene Querschnittlähmung
In seltenen Fällen kommt es durch Missbildungen der Wirbelsäule während der embryonalen Phase zu angeborenen Querschnittlähmungen. Die Spina bifida, d. h. die Fehlbildung des Neuralrohrs, ist die Ursache für das Querschnittssyndrom: Die Verschlussstörung des Neuralrohres in der Embryonalzeit führt zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Querschnittlähmung, welche bei der Geburt vorliegt (Zäch/Koch, 2006).

Bei einer Spina bifida (lat. spina = Stachel, bifidus = gespalten) schließt sich das Neuralrohr, das in der weiteren Entwicklung zum Rückenmark wird, nicht wie vorgesehen. Es bleibt ein Wirbelspalt offen. Das allein muss keine Beeinträchtigungen bedeuten und kann, wie bei der Spina bifida occulta, völlig unbemerkt bleiben. Zu einer Querschnittlähmung kommt es erst, wenn Nerven durch die Fehlbildung in Mitleidenschaft gezogen werden: Bei der Meningomyelocele (MMC) treten das Rückenmark (Myelon) und Rückenmarkshäute (Meningen) durch den Spalt in der Wirbelsäule in einer sichtbaren Blase nach außen. Daher ist diese Form der Spina bifida im Sprachgebrauch mit einem „offenen Rücken“ assoziiert. Die Öffnung des Rückens muss sofort nach der Geburt operativ geschlossen werden.
Ursachen für Spina bifida
Wieso eine Spina bifida entsteht, ist derzeit nicht abschließend geklärt. Als mögliche Ursachen gelten genetische Veranlagung, Folsäuremangel der Mutter während der Schwangerschaft oder eine Störung des Folsäurestoffwechsels. Eine erhöhte Gefahr scheint auch gegeben zu sein, wenn die Mutter übergewichtig ist oder Diabetes hat (Koch/Geng, 2021).
Formen von Spina bifida
Es werden folgende Ausprägungen von Spina bifida unterschieden:
- Spina bifida occulta (occulta = verborgen, nicht sichtbar)
Diese Form der Spina bifida ist dadurch gekennzeichnet, dass sich nur ein zweigespaltener Wirbelbogen findet, ohne dass das Rückenmark mit seinen Rückenmarkshäuten (Meningen) beteiligt ist. Sie ist darum nicht von außen sichtbar. Die Spina bifida occulta ist recht häufig und wird oft nur zufällig bei Röntgenaufnahmen oder einer Untersuchung des Rückens festgestellt. In der Regel hat sie medizinisch keine besondere Bedeutung; eine Behandlung ist nicht nötig.
- Spina bifida aperta (aperata = offen, sichtbar)
Es gibt drei Formen der Spina bifida aperta:
- Meningozele (leichte Form)
Hierbei wölben sich die Rückenmarkshäute durch einen Wirbelbogenspalt unter der Haut vor. Die dabei entstehende Blase ist sichtbar und kann operativ entfernt werden. Zu Beeinträchtigungen kommt es i.d.R nicht. - Myelomeningozele (schwerere Form)
Hier liegt eine Spaltbildung in der Wirbelsäule vor, durch den Teile des Rückenmarks, der Rückenmarkshäute und Nerven in einer Blase sichtbar nach außen hervortreten. Häufig kommt es zu neurologischen Ausfällen und somit Lähmungen. verlieren die Nervenstränge an der betroffenen Stelle ihren Schutz, und es kommt zu Schädigungen. Ein operativer Eingriff ist möglich und notwendig. - Myeloschisis (schwere Form)In diesem Fall ist das Nervengewebe an der betroffenen Stelle sichtbar freigelegt (und nicht von Haut oder Bindegewebe bedeckt). So gut wie immer kommt es zu neurologischen Störungen und somit Lähmungen. Es besteht zudem eine Infektionsgefahr im Mutterleib, da sich Gehirn- oder Rückenmarksflüssigkeit in der Plazenta mit Fruchtwasser mischen kann.
Folgen von Spina bifida
Die Folgeerscheinungen einer Spina bifida sind abhängig von ihrer Ausprägung (s. o.). Die neurologischen Störungen nehmen mit den Schweregrad der Missbildung zu und führen in vielen Fällen zu einer kompletten, schlaffen Querschnittlähmung mit allen Folge-, Langzeit- und Begleiterkrankungen, z. B. Verlust von Motorik und Sensibilität unterhalb der Läsionshöhe sowie Störungen von Blasen-, Darm-, und Sexualfunktion.
Häufig kommt es zusätzlich zu der Querschnittlähmung auch zu einer Arnold-Chiari-Typ-II-Malformation, bei der das Kleinhirn im Hinterhauptloch an der Schädelbasis eingeklemmt ist, und einem Hydrocephalus (Wasserkopf), bei dem zu einer krankhaften Erweiterung der Flüssigkeitsräume im Gehirn kommt, was zu zusätzlichen Komplikationen führen kann. Die Flüssigkeit wird mittels eines sog. Shunts abgeleitet.
Bei über 70% der Betroffenen hat die Spina bifida keinen Einfluss auf Verhalten und Intelligenz. Die anderen haben Hirnfunktionsstörungen (Verhalten, Wahrnehmung, Erleben, Intelligenz) verschiedenster Schweregrade.
Ebenfalls ist es möglich, dass Kinder mit Spina bifida Deformitäten der Wirbelsäule, wie z. B. Skoliose, entwickeln. Regelmäßige orthopädische Kontrollen sind unbedingt notwendig.
Tethered-Cord-Syndrom
Bei jeder Form der Spina bifida kann ein Tethered-Cord-Syndrom vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine Fixierung des Rückenmarks im Lumbal-/Sakralbereich, in der Regel unterhalb L3. Das dem Namen nach „gefesselte Rückenmark“ ist nicht wie vorgesehen in der Lage, sich dem Wachstum anzupassen. Als Folge einer Spina bifida liegt es häufig durch Vernarbung nach der operativen Erstversorgung vor. Durch eine Zugbelastung des im Wirbelkanal nicht mehr frei beweglichen Rückenmarks wird das Nervengewebe zusätzlich geschädigt.
Ein Tethered Cord muss keine Symptome zeigen. Wenn sie jedoch eintreten, dann i. d. R. mit dem Wachstum oder im Erwachsenenalter. Mögliche Symptome sind: Lendenstrecksteife, Schmerzen, neurogene Fuß- bzw. Beindeformität, fortschreitende Skoliose, motorische und sensorische Defizite, Muskelatrophie, Hyporeflexie, Muskelzuckungen, autonome Dysregulation, Spastik sowie Störungen des Gewebes mit der Gefahr von Dekubitus.
Um ein Fortschreiten der Symptomatik zu verhindern, kann das Rückenmark chirurgisch von seiner Fixierung gelöst werden (Untethering).
Spina bifida
Angeborene Querschnittlähmungen kommen im Vergleich mit den traumatischen und krankheitsbedingten Rückenmarksverletzungen sehr selten vor. In Mitteleuropa tritt eine Spina bifida durchschnittlich bei einem von 1.000 Kindern auf. Gesicherte Zahlen liegen nicht vor, doch Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil von angeborenen Querschnittlähmungen bei unter einem Prozent der Gesamtzahl liegt. Mädchen sind etwas häufiger von Spina bifida betroffen als Jungen.
Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V. (ASBH)
In Deutschland können sich betroffene Familien in der Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V. (ASBH) organisieren. Ziel der ASBH ist „die Schaffung und Verbesserung der Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben und für die ungehinderte Entfaltung der Persönlichkeit von Menschen mit Spina bifida und/oder Hydrocephalus in allen Lebensbezügen sowie die Unterstützung der Personen, die durch ihre Verantwortung für diesen Personenkreis mit betroffen sind.“
Familien finden hier Hilfe, Ratgeber und Möglichkeiten zum Austausch mit anderen Betroffenen. Auch gemeinsame barrierefreie Reisen und Freizeitgestaltung ist möglich. Daneben schult die Arbeitsgemeinschaft ehrenamtliche Mitarbeiter in der Beratertätigkeit oder in der Öffentlichkeitsarbeit. Zu ausführlichen Informationen siehe: Gemeinschaft schafft Wege: Selbsthilfe in der ASBH
Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Die genannten Produkte, Therapien oder Mittel stellen keine Empfehlung der Redaktion dar und ersetzen in keinem Fall eine Beratung oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch medizinische Fachpersonen.