Leben mit Querschnittlähmung: Mit Shorty und Gamaschen einmal um die Insel rum

Acht Jahre war Tetraplegiker Sebastian Tobler nicht mehr Schwimmen – nun hat er sich wieder ins Wasser gewagt. Und zwar richtig: Er durchquerte ohne fremde Hilfe den Greyerzer See. 1.500 Meter nonstop. Schön für uns: Das Projekt dokumentierte er in einem wundervollen, lässigen Video.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

PHA+PGlmcmFtZSB3aWR0aD0iMTAwJSIgaGVpZ2h0PSIzMTUiIHNyYz0iaHR0cHM6Ly93d3cueW91dHViZS1ub2Nvb2tpZS5jb20vZW1iZWQvRVV5UDFjV3RwbTQiIHRpdGxlPSJZb3VUdWJlIHZpZGVvIHBsYXllciIgZnJhbWVib3JkZXI9IjAiIGFsbG93PSJhY2NlbGVyb21ldGVyOyBhdXRvcGxheTsgY2xpcGJvYXJkLXdyaXRlOyBlbmNyeXB0ZWQtbWVkaWE7IGd5cm9zY29wZTsgcGljdHVyZS1pbi1waWN0dXJlIiBhbGxvd2Z1bGxzY3JlZW49IiI+PC9pZnJhbWU+PC9wPg==

1500 Meter in einer Stunde, ohne Zwischenstopp, ohne fremde Hilfe, mit eingeschränkter, beziehungsweise nicht mehr vorhandener Kontrolle über Muskeln und Motorik: Das war die Herausforderung, der Tobler, seit 2013 Tetraplegiker, sich stellen wollte: „Die Idee kam mir, weil ich eine Aktivität im Freien machen wollte, wenn es sehr heiß ist. Ich habe mich für das Schwimmen in Seen entschieden. Wir haben sechs Seen, die nur 40 Minuten von unserem Haus entfernt sind“, beantwortet Tobler eine entsprechende E-Mail-Anfrage von Der-Querschnitt.de.  „Meine Erfahrung als Fußgänger geht auf die Zeit vor meinem Unfall im Juli 2013 zurück. Ich schwamm etwa zehnmal im Jahr im Schwimmbad und jedes Training umfasste 3000 Meter. Als Tetraplegiker schwamm ich im Spitalschwimmbad des Schweizer Paraplegiker-Zentrums in Nottwil, 1000 Meter in 40 Minuten bei einer Wassertemperatur von 28 Grad.“

„Kaltstart“ in persönliche Challenge

Danach schlief sein Interesse an dieser Sportart ein, acht Jahre lang schwamm der Schweizer überhaupt nicht mehr – bis er eine neue Herausforderung suchte und fand: „Mein Ziel war es, die Insel Ogoz im Lac de Gruyère zu umrunden. Das heißt, eine 1500 m lange Schleife.“

Körperlich fühlte der Tetraplegiker sich relativ gut vorbereitet, auch wenn er bis dahin nur im Trockenen Sport getrieben hatte: „Ich wusste, dass dies theoretisch möglich war, weil ich das ganze Jahr über ein Training von mehr als 12 Stunden pro Woche durchhalte. Ein Training mit dem Go-Tryke und speziellen Übungen“, erzählt der Ingenieur, der ganz maßgeblich an der Entwicklung dieses E-Bikes/E-Trikes beteiligt war, das laut Eigenbeschreibung den gesamten Körper aktiviert: Arme und Beine werden zum Treten verwenden, invalide Gliedmaßen in Bewegung gebracht (für mehr Informationen zu Toblers Entwicklung siehe externer Link: Go-Tryke)

Aber irgendwann musste er doch von der Straße ins Wasser wechseln. Für die Vorbereitung nahm er sich reichlich Zeit: „Ich habe dafür 6 Wochen mit 6 Trainingseinheiten in 3 verschiedenen Seen geblockt und jedes Mal 2 Personen, die mich begleiten, um mich anzuleiten und mir bei Problemen zu helfen.“

Und die ersten Probleme kamen bald: „Das erste Mal, als ich mit Plättchen an den Händen und Protektoren an den Füßen schwimmen ging, schwamm ich 1500 Meter in drei Abschnitten von 500 Metern. Dort merkte ich, dass meine Beine mich nach unten zogen.“

Mit Trial-and-Error zum Erfolg

Weil dem Ingenieur nichts zu schwör ist, fand er mit der Trial-and-Error-Methode bald eine Lösung: „Beim nächsten Mal hatte ich Neoprenstreifen, um meine Beine hochzulegen, und schwamm 2000 m in zwei Abschnitten von je 1000 m. Die Bänder waren unbequem, also bestellte ich mir für das nächste Mal Neopren-Gamaschen. Das Wasser war mit 25 bis 26 Grad sehr warm und ich blieb jedes Mal zwischen 60 und 75 Minuten im Wasser.“

Unbeirrt führte er seine nasse Versuchsreihe weiter: „Beim dritten Mal schaffte ich 2000 Meter in zwei Abschnitten von 1000 Metern, aber unter schwierigen Bedingungen: Die Wassertemperatur betrug 23 Grad und die Strömung führte mich vom Ufer weg. Ich entschied mich für einen kurzen Anzug, um die Arme frei zu haben und die Neoprengamaschen tragen zu können … und beim vierten Mal fühlte ich mich bereit, die Insel Ogoz zu umrunden!“

Auftrieb und Kälteschutz

Tobler ist seit 2013 Tetraplegiker; die Fähigkeit seines Körpers, die Temperatur autark zu regulieren, ist daher eingeschränkt (siehe auch Beitrag Temperaturdysregulation bei Querschnittlähmung).

Für ihn schien es vertretbar, im relativ warmen Wasser nur mit einem Shorty zu schwimmen. Andere Extrem-Sportler, wie Silke Pan, ziehen den Ganzkörperanzug an und vor – aber sie ist auch gerne einmal in bitterkalten Bergseen unterwegs: Extremsportlerin Silke Pan: „Wenn ein Ereignis meinen Lebensweg kreuzt, dann habe ich sicher auch die Kraft, das durchzuziehen!“

Für alle anderen, die es ein bisschen gemäßigter mögen, bieten u.a. die Beiträge Schwimmen mit Querschnittlähmung: Optimales Training für den Körper und die Seele sowie Ab ins Wasser! Hilfsmittel für querschnittgelähmte Wasser(sport)fans einen ersten Überblick.