Homeoffice als berufliche Chance für Menschen mit Behinderungen
Die COVID-19-Pandemie hat für ein „soziales Massen-Experiment der Telearbeit“ gesorgt, wie eine OECD-Studie es formulierte. Denn die Anteile der Erwerbstätigen, die von zuhause arbeiten, stiegen weltweit rapide an. Für mobilitätseingeschränkte Menschen, wie zum Beispiel Menschen mit Querschnittlähmung, sei Homeoffice vielfach „die Voraussetzung, um überhaupt arbeiten zu können“, konstatiert das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW).

Durch Homeoffice-Optionen würde Arbeiten „insofern erleichtert, als dass der Arbeitsweg teilweise wegfällt, die Arbeitszeit und die Pausen flexibler gestaltet werden können und zum Beispiel die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Therapien oder individuellen Terminen zwischendurch gegeben ist.“
Wichtig seien für Beschäftigte mit und ohne Behinderungen gleichermaßen die empirisch belegten Erfolgsfaktoren für gelingendes Homeoffice: Informationsfluss, Führungsqualität, technische Ausstattung, Ergonomie und Raumumgebungsqualität sowie digitale Kompetenz der Beschäftigten selbst.
Risikofaktor: Soziale Isolation
Risiken in Sachen Homeoffice sieht das Institut in Aspekten wie soziale Isolation durch den fehlenden persönlichen Kontakt zu Teammitgliedern und Vorgesetzten. Diese „scheinen für Menschen mit Behinderungen eine große Belastung zu sein.“ Als Alternative zu Büroarbeitsplatz und Homeoffice nennt das Wirtschaftsforschungsinstitut „Third Places“ („Dritte Orte“), z.B. Begegnungsstätten wie Bibliotheken oder Gemeindezentren außerhalb der familiären und der beruflichen Umgebung, die als Arbeitsort genutzt werden könnten. Diese Orte wären für Menschen mit Behinderungen insofern besonders hilfreich, weil dadurch einerseits das Pendeln reduziert würde, andererseits der soziale Austausch mit anderen Personen stattfinden könne.
Impulse für neue Arbeitsleben
In seinem Report „Menschen mit Behinderungen im Homeoffice – Erleichterung für die Inklusion? Eine Gegenüberstellung von Deutschland und einigen angelsächsischen Ländern Bericht“ stellt das Institut der Deutschen Wirtschaft die Situation in Deutschland derjenigen in einigen ausgewählten angelsächsischen Ländern gegenüber, die teilweise auf eine lange Forschungstradition zu Inklusion und beruflicher Teilhabe zurückschauen können, z.B. die USA und Kanada. Der Blick ins Ausland könne, so das IW, „häufig neue Perspektiven eröffnen und innovative Impulse für die Arbeitsleben liefern.“
Der Report steht (externer Link) hier zum Download bereit.
Über 250.000 Schwerbehinderte im Homeoffice
Die Zahl der Menschen mit Behinderung, die zuhause arbeiten, steigt. Wenn auch nicht so deutlich, wie bei den Erwerbstätigen ohne Behinderungen:
- Waren beispielsweise laut IW in Deutschland vor der Pandemie im Jahr 2019 nur 12,9 Prozent aller Erwerbstätigen im Homeoffice, so stieg der Anteil im ersten Pandemiejahr 2020 um 8 Prozentpunkte auf 20,9 Prozent.
- Auch bei den Erwerbstätigen mit einer anerkannten Behinderung gab es einen Sprung. Allerdings betrug dieser nur 7 Prozentpunkte, und die Werte lagen auf einem niedrigeren Niveau: 9,4 Prozent im Jahr 2019 und 16,5 Prozent im Jahr 2020.
Dennoch sei die Anzahl der erwerbstätigen Personen mit Behinderung, die von zuhause arbeitet, beachtlich: Im Jahr 2020, also im ersten Jahr der Pandemie, hat insgesamt knapp jede fünfte Person mit einer Behinderung oder Schwerbehinderung (16,5 Prozent und 17,0 Prozent) regelmäßig im Homeoffice gearbeitet. In absoluten Zahlen waren im Jahr 2020 von den 2,84 Millionen Erwerbstätigen mit einer anerkannten Behinderung rund 469.000 im Homeoffice. Von den 1,6 Millionen Erwerbstätigen mit einer Schwerbehinderung, also Grad der Behinderung (GdB 50 bis 100, waren laut Destatis (Statistisches Bundesamt) im Jahr 2020 rund 273.000 im Homeoffice (für Informationen zum GdB siehe auch Beitrag Schwerbehindertenausweis).
Den Grund für die dennoch relativ betrachtet kleinere Zahl von Menschen mit Behinderung, die im Homeoffice arbeiten, sieht das Institut vor allem in der im Durchschnitt geringeren Eignung der Berufe oder Tätigkeiten der Beschäftigten mit Behinderungen für das Homeoffice: Im OECD-Durchschnitt eigneten sich im Jahr 2019 nur 34 Prozent aller Berufe von Beschäftigten mit Behinderungen für das Homeoffice, aber 39 Prozent der Berufe von Beschäftigten ohne Behinderungen.
„Großer Gewinn“
Bedenke man, dass in den meisten OECD-Ländern etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter Behinderungen haben, so wäre es ein großer Gewinn, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen Homeoffice Barrieren überwinden und zur Brücke in Beschäftigung werden kann. Damit könnte die Arbeit im Homeoffice tatsächlich erfolgreich zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt beitragen.
Ein positiver Effekt, der sich nicht nur bei den Erwerbstätigen mit einer Behinderung bemerkbar macht, ist die beschleunigte Digitalisierung durch die Corona-Krise. In einer Befragung gaben fast zwei Drittel (61 Prozent) an, dass ihre Berufstätigkeit durch Corona stärker digitalisiert worden sei. Für viele Beschäftigte mit einer Behinderung ist der Digitalisierungsschub förderlich für die Inklusion. Beispielsweise begrüßten zahlreiche mobilitätseingeschränkte Personen, dass sie während der Pandemie von zuhause arbeiten konnten (siehe auch Beitrag Dank Corona bessere Job-Chancen für Menschen mit Behinderung).
In der Studie „Menschen mit Behinderungen im Homeoffice – Erleichterung für die Inklusion? Eine Gegenüberstellung von Deutschland und einigen angelsächsischen Ländern“ weist das IW u.a. auch darauf hin, dass gerade digitale Hilfsmittel stärker bekannt gemacht und genutzt werden sollten, damit hierdurch mehr Menschen mit Behinderung die Chance haben, am Arbeitsleben teilzuhaben Aufgrund des Digitalisierungsschubs, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, sei zwar sehr stark auch in digitale Hilfsmittel investiert worden, aber der Gebrauch von digitalen Hilfsmitteln im Homeoffice durch Beschäftigte mit Behinderungen sei immer noch zu wenig erforscht. „Wenn Arbeitgeber in dieser Hinsicht eine solide Kosten-Nutzen-Analyse und den Nachweis von Effektivität solcher Hilfsmittel bekämen, wäre beiden Seiten – Betrieben und Beschäftigten – geholfen.“
Weiterführende Informationen zum Thema Jobsuche mit Behinderung u.a. in den Beiträgen Mit Querschnittlähmung auf Arbeitssuche: Anreize für potenzielle Arbeitgeber, Ab in den ersten Arbeitsmarkt! „Budget für Arbeit“ und „Budget für Ausbildung“ sollen dabei helfen. Tipps zur passenden Büro-Einrichtung in den eigenen vier Wänden gibt es u.a. in den Beiträgen Höhenverstellbar und mit Handbremse: Bürostühle für Menschen mit Querschnittlähmung sowie Das rollstuhlgerechte häusliche Arbeitszimmer.