Internationaler WHO-Bericht zu Querschnittlähmung

Ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fasst die wissenschaftlichen Fakten und die neuesten Erkenntnisse zum Thema Querschnittlähmung zusammen und spricht Initiativen an, die helfen sollen, die Situation von Menschen mit Querschnittlähmung im Sinne der UN-Konventionen zu verbessern und zu stärken.

Ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fasst die wissenschaftlichen Fakten und die neuesten Erkenntnisse zum Thema Querschnittlähmung zusammen und spricht Initiativen an, die helfen sollen, die Situation von Menschen mit Querschnittlähmung im Sinne der UN-Konventionen zu verbessern und zu stärken.

Jährlich erleiden weltweit zwischen 250.000 und 500.000 Menschen eine Rückenmarksverletzung, die zu einer Querschnittlähmung führt. Die Hauptursachen sind Verkehrsunfälle, Stürze und Gewalttaten. Die Lebenserwartung von Querschnittgelähmten ist mehr oder weniger stark verkürzt (siehe: Lebenserwartung und Todesursachen bei Querschnittlähmung) und es kann mit individuell variierender Wahrscheinlichkeit zu Folge- und Begleiterkrankungen kommen (siehe: Komplikationen, Folge- und Begleiterkrankungen bei Querschnittlähmung).

Zudem hat eine Querschnittlähmung erhebliche finanzielle Konsequenzen für Betroffene und die Gesellschaft. Menschen mit Querschnittlähmung sind in ihrer Lebensführung oft auf die Hilfe anderer angewiesen und finden zahlreiche Hindernisse auf ihrem Weg zu Ausbildung, Beruf und in anderen wichtigen Lebensbereichen. Mit den richtigen gesellschaftspolitischen Antworten ist es Menschen mit einer Rückenmarksverletzung jedoch möglich, diese Hindernisse überall auf der Welt zu überwinden und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Überblick der WHO

Der Begriff Querschnittlähmung bezieht sich auf Schädigungen des Rückenmarks, die durch Traumata (z. B. durch Stürze und Verletzungen im Straßenverkehr) oder nicht traumatische Ursachen wie Tumore, degenerative und vaskuläre Erkrankungen, Infektionen, Toxine oder Geburtsfehler verursacht werden.

Das Ausmaß der querschnittbedingten Beeinträchtigung hängt von der Schwere der Verletzung und der Lokalisierung im Rückenmark ab. Eine Querschnittlähmung führt zu einem vollständigen oder unvollständigen Verlust der sensorischen und/oder motorischen Funktionen unterhalb der Lähmungshöhe. Bei einer Paraplegie bleiben die Armfunktionen erhalten, bei einer Tetraplegie sind sie beeinträchtigt. Störungen des autonomen Nervensystems, die verschiedene Funktionen betreffen, können auf jeder Verletzungsebene auftreten.

Eine unsachgemäße Behandlung der mit einer Rückenmarksverletzung verbundenen Beeinträchtigungen und Folgeerkrankungen führt häufig zu einer vorzeitigen Sterblichkeit.

Die Einschränkungen, die eine Querschnittlähmung mit sich bringt, werden durch Vorurteile, negative Einstellungen und physische Barrieren für die grundlegende Mobilität noch verstärkt und schränken die Unabhängigkeit und volle gesellschaftliche Teilhabe ein.

Die WHO erwähnt explizit, dass viele Hindernisse bei der Ausübung von Aktivitäten und der Teilnahme an sinnvollen Lebensbereichen nicht auf die Behinderung selbst zurückzuführen sind, sondern auf unzureichende oder unangemessene medizinische Versorgung, den Zugang zu Rehabilitations- und Hilfstechnologien, eine hohe wirtschaftliche Belastung und auf Barrieren im physischen, sozialen und politischen Umfeld. So haben z. B. weltweit nur 5-35 % der Menschen Zugang zu einem Rollstuhl.

Querschnittlähmung weltweit

Schätzungen zufolge leben im Jahr 2021 weltweit etwa 15,4 Millionen Menschen mit einer Para- oder Tetraplegie.

Die Lebenserwartung von Menschen mit Querschnittlähmung korreliert stark mit neurologischen Beeinträchtigungen und vermeidbaren Folgeerkrankungen. Menschen mit Querschnittlähmung sterben oft früher aufgrund von Faktoren des Gesundheitssystems wie unzureichendem Zugang zu oder schlechter Qualität von Gesundheitsdiensten. Die Sterblichkeitsrate im Krankenhaus ist bei Menschen mit Querschnittlähmung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen fast dreimal so hoch wie in Ländern mit hohem Einkommen.

Vorurteile, negative Einstellungen und Mobilitätsbarrieren hindern viele Menschen an der vollen Teilhabe an der Gesellschaft. Kinder mit Querschnittlähmung werden seltener als ihre Altersgenossen eingeschult, und wenn sie einmal eingeschult sind, kommen sie seltener weiter. Erwachsene mit Querschnittlähmung sind mit ähnlichen Hindernissen bei der wirtschaftlichen Teilhabe konfrontiert, wobei die Arbeitslosenquote bei über 60 % liegt.

Viele Menschen mit Querschnittlähmung, ihre Betreuer und Familien sind mit erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen konfrontiert. Auch wenn die vorhandenen Daten die globalen Kostenschätzungen für Fälle von Rückenmarksverletzungen begrenzen, ist die wirtschaftliche Belastung erheblich. Die indirekten Kosten (z. B. Verdienstausfall) übersteigen häufig die direkten Kosten, die im ersten Jahr nach Auftreten der Rückenmarksverletzung am höchsten sind, wobei ein Großteil der Kosten vom Betroffenen selbst getragen wird.

Ursache, Risikofaktoren und Prävention weltweit

Traumatische Querschnittlähmung durch Stürze und Verkehrsunfälle sind die häufigste Ursache, gefolgt von Gewalt (einschließlich Selbstverletzung und Selbstmordversuch) und arbeitsbedingten oder sportlichen Verletzungen. Natur- und/oder humanitäre Katastrophen können zu einem Anstieg von Fällen von Rückenmarksverletzungen führen. Auch nichttraumatische Rückenmarksverletzungen nehmen zu, vor allem in der alternden Bevölkerung, da Krankheiten wie Tumore sowie degenerative und vaskuläre Erkrankungen, die das Rückenmark schädigen können, zunehmen.

Es gibt wirksame Maßnahmen, um viele Ursachen traumatischer Rückenmarksverletzungen zu verhindern. Dazu gehören Verbesserungen der Straßeninfrastruktur, der Fahrzeuge und des Verhaltens der Menschen im Straßenverkehr, um Verkehrsunfälle zu vermeiden, Fenstersicherungen zur Verhinderung von Stürzen, Maßnahmen zur Eindämmung des schädlichen Alkoholkonsums und des Zugangs zu Schusswaffen, um Gewalt zu verringern, sowie Strategien zur Verhinderung von häuslicher Gewalt und Selbstmord (einschließlich einer angemessenen psychiatrischen Versorgung). Zur Vorbeugung nichttraumatischer Rückenmarksverletzungen gehören die frühzeitige Diagnose und Behandlung des zugrunde liegenden Gesundheitszustands.

Die Vorbeugung, Frühdiagnose und Behandlung von Folgeerkrankungen im Zusammenhang mit Querschnittlähmung sind für die Erhöhung der Lebenserwartung von wesentlicher Bedeutung.

Initiativen der WHO

Die WHO arbeitet im gesamten Spektrum der Primärprävention von Querschnittlähmung, der Verbesserung der Traumaversorgung, der Stärkung der Gesundheits- und Rehabilitationsdienste und der Förderung der Integration von Menschen mit Querschnittlähmung. Zu den wichtigsten Initiativen gehören die folgenden:

  • Der Intersectoral global action plan on epilepsy and other neurological disorders 2022–2031 befasst sich mit den Herausforderungen und Lücken bei der Versorgung von Menschen mit neurologischen Erkrankungen wie Rückenmarksverletzungen, die weltweit bestehen, und sorgt für eine umfassende, koordinierte Reaktion über alle Sektoren hinweg.
  • Die WHO unterstützt den United Nations Decade of Action for Road Safety 2021–2030, dessen Ziel ist es, die Zahl der Toten und Verletzten im Straßenverkehr bis 2030 um mindestens 50 % zu senken. Dazu gehört die Einberufung eines globalen Netzwerks von Leitern nationaler Verkehrssicherheitsbehörden, die Erstellung globaler Statusberichte und die Bereitstellung technischer Unterstützung.
  • Die WHO unterstützt die Bemühungen zur Bekämpfung von Verletzungen und Gewalt auf vielfältige Weise. Zu den Aktivitäten gehören neben anderen Maßnahmen die fachliche Unterstützung der Länder und die Überwachung der Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung in Bezug auf Verletzungen, Gewaltprävention, psychische Gesundheit und Substanzkonsum durch globale Statusberichte über Straßenverkehrssicherheit, Gewaltprävention und Alkohol und Gesundheit sowie durch Weltberichte über Suizidprävention.
  • 2017 rief die WHO die Initiative Rehabilitation 2030 ins Leben, die den Schwerpunkt auf die Stärkung des Gesundheitssystems legt und die Akteure weltweit auffordert, Führung und Umsetzung zu verbessern, ein starkes multidisziplinäres Rehabilitationsteam zu entwickeln, die Finanzierung der Rehabilitation auszuweiten und die Datenerhebung und Forschung zur Rehabilitation zu verbessern. Das WHO Package of interventions for rehabilitation, Module 4 Neurological conditions bietet spezifische Leitlinien für evidenzbasierte und wesentliche Rehabilitationsmaßnahmen bei Querschnittlähmung. Zudem gründete die WHO die World Rehabilitation Alliance (WRA), die die Rehabilitation 2030 Initiative voranbringen soll.
  • Die WHO stellt spezielle Leitlinien zur Versorgung von Menschen mit Querschnittlähmung in den Publikationen Emergency Medical Teams bereit, und arbeitet in Notfällen häufig mit den Mitgliedstaaten und Partnern zusammen, um die Versorgung von Menschen mit akuter Rückenmarksverletzung zu verbessern.

Zum vollständigen Bericht der WHO und weiterführenden Links geht es hier: Spinal cord injury (who.int)

Zum ersten WHO-Bericht geht es hier: Querschnittlähmung – Internationale Perspektive (externer Link)