Hier kommt Mila – Das Kinderbuch von Kristina Vogel
Die seit 2018 querschnittgelähmte Radrennsportlerin Kristina Vogel engagiert sich seit ihrem Unfall in sozialen und politischen Initiativen für Barrierefreiheit und Inklusion. Ihr 2024 erschienenes Kinderbuch „Hier kommt Mila!“ ist Teil dieses Engagements.

„Hier kommt Mila!“ ist ein Vorlesebuch für Kinder ab vier Jahren über Freundschaft und darüber, wie leicht es ist, gemeinsam Hindernisse aus dem Weg zu schaffen.
Aus dem Inhalt
Mila kommt in einen neuen Kindergarten und sehr gut zurecht, wenn man ihr keine Barrieren in den Weg räumt. Mila sitzt nämlich im Rollstuhl. Und die anderen Kinder merken schnell, dass ein wenig Kreativität gefragt ist, damit alle zusammenspielen und am Stuhlkreis teilnehmen können oder auch ein Ausflug in den Zoo trotz defektem Fahrstuhl gelingen kann. Gemeinsam mit ihren neuen Freunden schafft Mila es sogar, den Kinderspielplatz so umzubauen, dass wirklich alle Kinder ihre Freude daran haben.
Wie liest es sich?
Leser merken sofort, dass hier keine Autoren am Werk sind, die in Rollstuhlfahrern arme Hascherl sehen, denen aus reiner Herzensgüte geholfen werden muss. Denn Mila braucht keine Hilfe. Mila hilft anderen! An ihrem ersten Tag im Kindergarten schafft es Maksim nicht sein geliebtes Kuscheltier aus einem für ihn zu hohen Fach zu holen. Da ist Mila zur Stelle und verwendet einen Greifarm, um an den Plüschelefanten zu gelangen und Maksim glücklich zu machen.
Es gibt aber auch Einblicke in die Barrieren, denen Menschen, die im Rollstuhl mobil sind, im Alltag ausgesetzt sind – denn mit Mobilität hat sich was, als die Kindergartengruppe bei einem Ausflug feststellen muss, dass der Aufzug an der U-Bahn-Haltestelle außer Betrieb ist. Und auch der Spielplatz, den Mila, ihre Freunde und Familie besuchen, ist nicht gerade rollstuhlgerecht.
Auch die Illustrationen von Lily Baron sind mehr als gelungen. Action! ist das Wort, das Wort, das sich schon beim Betrachten des Covers aufdrängt. Denn Mila ist die treibende Kraft in ihrer Geschichte, und das zeigen auch die farbenfrohen Bilder, die den Text von Kristian Vogel begleiten. Milas Rollstuhl hat einen Speichenschutz, auf dem die Sterne funkeln. Mit wehenden Zöpfen kippt sie an und ihre neuen Freunde jubeln ihr zu. Diese sichtbare Selbstbestimmung zieht sich durch das Buch und zeigt kleinen Lesern eine Welt, in der ein Kindergartenkind, das im Rollstuhl mobil ist, den Ton angibt.
Das Buch
- Hier kommt Mila!
- Autorin: Kristina Vogel
- Illustratorin: Lily Baron
- Seiten: 32
- ISBN: 978-3-95728-836-3
- Preis: 16 Euro (Stand: September 2024)
- Für Kinder ab 4
Über die Autorin
Kristina Vogel ist mit zwei Olympiasiegen und 17 Weltmeistertiteln im Bahnradsport die erfolgreichste Bahnsprinterin der Welt. Seit dem Trainingsunfall, bei dem sie sich 2018 eine Querschnittlähmung zuzog, engagiert sie sich in sozialen und politischen Initiativen für Barrierefreiheit, ist bei der Bundespolizei Trainerin und hält Vorträge. Als Expertin ist sie bei zahlreichen Sportevents für ZDF und Eurosport aktiv. Sie möchte Barrieren abbauen – sowohl im Alltag als auch in den Köpfen der Menschen.
Interview mit Kristina Vogel
Der Verlag stellte folgendes Interview zur Verfügung:
Liebe Kristina Vogel, vielen Dank für Ihre Zeit.
Der 26. Juni ist ein besonderer Tag in Ihrem Leben, denn an diesem Tag
erscheint nicht nur Ihr erstes Kinderbuch…
Kristina Vogel (KV): In der Tat ist heute der 6. Jahrestag meines Unfalls – oder wie ich ihn nenne: mein „Happy Life Day“. Das heißt, heute seit sechs Jahren sitze ich im Rollstuhl und mein Leben hat sich total verändert. Darum finde ich es besonders schön, diesen Tag mit etwas Positivem zu verbinden. Und was könnte es denn Schöneres geben, die Veröffentlichung meines Bilderbuchs, in dem Kinder lernen können, was Inklusion heißt?!
Was hat Sie dazu bewogen ein Buch für Kinder zu schreiben?
KV: Es passiert regelmäßig, dass Kinder interessiert an meinem Rollstuhl sind und die Eltern die Kids
förmlich weiterzerren mit den Worten „Du sollst nicht gaffen!“. Genau das ist der falsche Ansatz, wie
ich finde. Es zeigt leider, dass Menschen mit Behinderung häufig nicht als „normal“ angesehen werden.
Was an dieser Stelle vielleicht sehr hart und trocken klingt, ist für die Zukunft von elementarer
Bedeutung: Dinge, die wir als nicht „normal“ ansehen, finden in unserer Realität keinen Platz. Das
bedeutet am Ende: Ausgrenzung und Diskriminierung.
Das heißt aber auch, wenn Kinder von Anfang an lernen, was Inklusion bedeutet und dass Vielfalt,
Verschiedenheit und Anderssein zu einer Gemeinschaft dazugehören, hat das später auch Platz in ihren
Köpfen. Sie denken dann zum Beispiel ganz selbstverständlich daran, dass Städte und Gebäude
barrierefrei geplant werden müssen. (Das kostet auch nicht mehr, wenn man es vom Anfang an
einplant!) Sie werden wissen, dass Menschen mit Behinderung weder „dumm“ oder weniger liebenswert
sind. Einfach nur anders.
Und vielleicht hilft das Kinderbuch bei den Antworten auf Fragen rund um das Thema Inklusion, die die
Eltern leider noch nicht haben.
Was war für Sie besonders bei der Arbeit an diesem Projekt?
KV: Für mich ist das mein erstes Kinderbuch. Es war sehr spannend, meine Ideen in Schriftform
umzusetzen und zwar so, dass sie Kinder verstehen: Leicht, blumig aber durchaus mit Dingen zum
Nachdenken.
Als dann der Text zum Leben erweckt wurde durch die Illustratorin und die ersten Skizzen zu sehen
waren, da strahlte mein Herz wirklich. Ich könnte mir noch tausendmal die Wimmelszene anschauen,
oder wie der Ameisenbär versucht, etwas vom Eis zu ergattern.
Die kleine Protagonistin Mila weiß mit ihren 4 oder 5 Jahren schon ganz gut, was sie will. Was
mögen Sie besonders an ihr?
KV: Mila ist klug, aufgeweckt, bunt, auf eine charmante Art frech und zeigt sich dennoch verletzlich.
Ich wollte zeigen, dass man als Mensch mit Behinderung, oder hier sogar als Kind im Rollstuhl, auf
keinen Fall immer nur hilfsbedürftig ist. Sie hat einfach andere Hindernisse im Leben als jedes Einzelne
der Kinder in diesen Buch. Viel mehr geht es um Freundschaft, darum dass und wie man voneinander
lernt und füreinander einsteht.
Was denken Sie, wie spricht man am besten mit Kindern über das Thema Behinderung?
KV: Es gibt Menschen, die man anders beschreiben würde, als sich selbst: Mit braunen Haaren, mit
dunklerer Haut oder eben im Rollstuhl sitzend. „Andersartigkeit“ gehört zum Leben dazu – ansonsten
wäre es ziemlich langweilig, wenn wir alle gleich wären oder aussähen, oder etwa nicht? Das bedeutet,
dass man voreinander keine Scheu oder Angst haben muss, sondern fragen darf und auch zuhören
muss. Ich glaube, dass Kinder mehr verstehen, als wir ihnen manchmal zutrauen. Und sie stellen Fragen
oder teilen ihre Beobachtungen ganz selbstverständlich.
Dazu habe ich ein witziges Beispiel: Das Kind eines meiner Freunde fragte mich über meine Behinderung. Ich erklärte, dass ich nicht gehen kann und meine Beine nicht spüre. Das Mädchen bemerkte dann recht keck: „Cool, dann jucken dich Mückenstiche ja gar nicht!“
Was wünschen Sie sich für die (großen und) kleinen Leser:innen dieses Buches? Und was für
eine inklusivere Gesellschaft?
KV: Ich hoffe, dass wir offenerer miteinander umgehen und voneinander lernen.
Ich hoffe, dass wir so viel Negatives aus der Welt schaffen können und uns eine Art
„Begegnungsintelligenz“ schaffen. Für mich ist das die Lösung, wie wir Diskriminierung und
Ungleichberechtigung aus der Welt schaffen können. Und – vielleicht ist das etwas sehr groß gefasst –
dann gäbe es einfach deutlich weniger Hass und Streit auf der Welt.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Eine Reporterin des Senders VOX begleitet sie bei der Buchpräsentation von „Hier kommt Mila!“ im Juli 2024.