Hinter Gittern: Auch Rollstuhlfahrer können ins Gefängnis kommen 

Rollstuhlfahrer im Gefängnis – kein Widerspruch in sich. Auch Menschen, die im Rollstuhl sitzen, können inhaftiert werden, sie sind keinesfalls in jedem Fall haftunfähig oder müssten zwingend vorzeitig wegen „guter Führung“ entlassen werden.

Der Anteil weiblicher Gefangener beträgt in Deutschland unter zehn Prozent, genauer rund um fünf bis sieben Prozent der inhaftierten Personen, so dass es gerechtfertigt ist, nur von dem Rollstuhlfahrer und nicht auch von der Rollstuhlfahrerin zu sprechen. Die Autorin ist als Rechtsanwältin u.a. im Rahmen des Strafvollzuges tätig und hat bereits mehrere Mandanten im Rollstuhl vertreten. Dabei sind die Gründe für die Nutzung eines Rollstuhles sehr unterschiedlich.

Da war H., der als Kind Kinderlähmung hatte, und von seiner Wohnung aus einen Raubüberfall koordinierte, sich dann zum Tatort bringen ließ, um nach dem Rechten zu schauen und schließlich verurteilt und in Strafhaft genommen wurde.

D., verurteilt wegen Gewaltstraftaten, war auf zwei Beinen unterwegs, stürzte aber auf der Flucht vor der Polizei in die Tiefe und erlitt eine inkomplette Querschnittlähmung mit allen damit verbundenen Unannehmlichkeiten und nutzt ganz überwiegend den Rollstuhl als Fortbewegungsmittel.

L. befindet sich aufgrund des vielfachen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen seit Jahren in der Sicherungsverwahrung. Ihm wurde die Diagnose Multiple Sklerose (MS) gestellt, inzwischen nutzt er ausschließlich einen Elektrorollstuhl.

Die Tatsache, dass jemand im Rollstuhl sitzt, führt nicht dazu, dass er haftunfähig wäre. Das bedeutet, gegen ihn wird nach rechtskräftiger Verurteilung ebenso durch die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung eingeleitet, wie gegen jeden anderen, der auf zwei Beinen unterwegs ist.

Je nach Bundesland und Strafhöhe erfolgt die Vollstreckung entweder im geschlossenen oder im sog. offenen Vollzug. Beides ist möglich und nicht von der Behinderung abhängig. Dabei muss man sich den geschlossenen Vollzug so vorstellen, wie man sich „Knast“ vorstellt: Hohe unüberwindbare Mauern, Wachtürme, Gitter vor den Fenstern. Teilweise sind die Anstalten noch aus der Jahrhundertwende. Offener Vollzug lässt sich hingegen einem Landschulheim vergleichen. Eine Flucht wäre möglich, hier wird auf die Freiwilligkeit zu bleiben gebaut.

Rollstuhlgerechter Haftraum

Inzwischen verfügen die JvAs (Justizvollzugsanstalten) über Zellen, offiziell „Haftraum“ genannt, die für Rollstuhlfahrer geeignet sind, da sie größer sind, z.B. durch Zusammenlegung von zwei Hafträumen, und über barrierefreie WCs und Duschen verfügen. Dies setzt aber voraus, dass der Inhaftierte selbst einigermaßen mobil ist und nicht gepflegt werden muss. Selbst anziehen, waschen etc. wird vorausgesetzt.

Wer hierzu nicht in der Lage ist, wird in das jeweilige Justizvollzugskrankenhaus des Bundeslandes verlegt. Dies sind spezielle Krankenabteilungen für männliche und weibliche Gefangene im Gefängnis. Hier steht jedoch die Pflege und Versorgung im Vordergrund. Eine entlohnte Arbeit und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Tat und damit die Vorbereitung auf ein Leben nach der Haft finden dort nicht statt.

Grundsätzlich ist ein Gefängnis aber kein barrierefreier Ort. Selbst wenn der Staat verpflichtet ist, z.B. für die Versorgung mit Hilfsmitteln zu sorgen und diese auch zu bezahlen (während der Inhaftierung im geschlossenen Vollzug ruht die Krankenversicherung) gibt es regelmäßig Orte, die unerreichbar bleiben, z.B. eine Arbeitsstelle, die Kirche oder die Büros der Sozialarbeiter.

In der Regel sind die Mitinhaftierten, mögen sie auch Mörder, Räuber und Kinderschänder sein, behinderten Mitgefangenen gegenüber sehr hilfsbereit. Es ist nicht selten, dass jemand auf dem Rücken mehrere Treppen hinauf zum Gottesdienst getragen wird etc. Die Vollzugsbeamten würden hier oft gern helfen, dürfen dies aus versicherungsrechtlichen Gründen aber nicht.

Die Frage nach der vorzeitigen Entlassung aus dem Gefängnis

Soweit es um die Frage der vorzeitigen Entlassung geht, ist Maßstab hier nicht die „gute Führung“ oder eine besonders bemitleidenswerte Situation, insbesondere aufgrund einer körperlichen Einschränkung, sondern die sog. Legalprognose. Entscheidend ist also die Frage, ob zu erwarten ist, dass der Inhaftierte zukünftig ein straffreies Leben führen wird. Maßstab hierfür ist insb. die Einstellung des Inhaftierten zur Tat im Rahmen der sogenannte Straftataufarbeitung und das Vorhandensein von Lösungsstrategien im Fall einer zukünftigen Konfliktsituation.

Dass die Haft an sich für jemanden, der im Rollstuhl sitzt, beschwerlich sein wird, und er damit „haftempfindlicher“ sein wird als andere, wird in diesem Rahmen nicht berücksichtigt. Dies wird man aber im Rahmen der ursprünglichen Verurteilung berücksichtigt haben.


Pamela Pabst ist Fachanwältin in der Kanzlei Pabst und Elling in Berlin. Ihr Schwerpunkt ist Straf- und Vollzugsrecht. Überwiegend nimmt Sie Termine vor dem Amtsgericht Tiergarten und dem Landgericht Berlin wahr, reist jedoch auch viel und gerne durch die gesamte Bundesrepublik, um Mandanten zu Ihrem Recht zu verhelfen. Für mehr Informationen siehe: Rechtsanwälte Pabst & Elling (pamelapabst.de) (externer Link).

Pabst ist die erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin Deutschlands. Sie war an der Konzipierung der Fernsehserie Die Heiland – Wir sind Anwalt beteiligt und ist das reale Vorbild für die Rolle der Protagonistin Romy Heiland.