Hochseilgarten: Im Rollstuhl zwischen Baumwipfeln durch die Luft gleiten
In einigen Kletterparks oder Hochseilgärten können Rollifahrer in luftiger Höhe ihre Nerven kitzeln und Mut, Geschicklichkeit und Konzentration austesten. Statt bequem ausgebauter Pfade warten hier Seilrutsche und schmale Planken. Trotz der Sicherungssysteme sind Hochseilgarten und Kletterpark nichts für Bleistiftstemmer im Rollstuhl – Oberarmmuskulatur braucht`s nämlich auch.

Wer in seiner Freizeit einen Kletterpark besucht, will nicht relaxen, sondern Grenzen austesten. Es geht darum, die eigene Körperbeherrschung zu erfahren: eine Herausforderung, die Spaß macht, aber auch Herzklopfen.
Nur nach Voranmeldung
Hier einige Kletterparks, in denen auch Rollstuhlfahrer ihren Spaß haben können (die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, weitere Tipps sind herzlich willkommen).
Einziger Wermutstropfen: Für einen spontanen Tripp in die Höhe sind die Parks, die die Redaktion entdeckt hat, nicht geeignet. Rollstuhlfahrer können die Angebote nur nach Voranmeldung nutzen, nur in einem einzigen Park können auch Einzelpersonen im Rollstuhl den Thrill erleben, die anderen beiden Parks öffnen ihre Pforten nur für Gruppen.
Waldseilpark Rummelsberg
Der einzige Park, der auch von einzelnen Rollstuhlfahrern genutzt werden kann. Hier ist ein Teilabschnitt rollstuhlgerecht: fünf von 50 Stationen in bis zu 15 Metern Höhe über dem Waldboden barrierefrei. Rollstuhlfahrer müssen sich mindestens 5 Tage vor dem geplanten Besuch vorab anmelden, nur so können die Betreiber garantieren, dass immer genügend Trainer dabei sind, um Besucher zu sichern oder ab und an Hilfestellung zu leisten. Der Waldseilpark gehört zur Rummelsberger Diakonie (externer Link), die den Park nicht zuletzt für pädagogische Angebote nutzt. Im angeschlossenen Hotel und Restaurant „Anders“ (externer Link) wird ein integratives Ausbildungs- und Arbeitskonzept umgesetzt. Für Rollstuhlfahrer kostet die Eintrittskarte 5 Euro (Stand: August 2024).
Weiterführende Informationen: Waldseilpark Rummelsberg (externer Link).
Hochseilgarten Rüthen
Dieser Hochseilgarten der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg wurde in Zusammenarbeit mit der „Seilschaft Sauerland“ konzipiert. Er ermöglicht es auch Menschen im Rollstuhl, an vierzehn hohen Stationen „neue Erfahrungen in der dritten Dimension“ zu machen, so die Eigenbeschreibung. Zum Hochseilgarten gehört ein erlebnispädagogisches, inklusives Konzept, er ist nur für Gruppen (ab 12 Personen) nach Voranmeldung zugänglich.
Nähere Informationen gibt es bei der Seilschaft: Home – Seilschaft | Business, Bildung, Erfahrungspädagogik, Teamtraining, Angebote für Schulen (externer Link) und auf der Seite des Hochseilgarten Rüthen – Sauerland.com (externer Link).
Hochseilgarten und Kletterturm im Hotel FIT in Much
Der Klettergarten ist für Gruppen ab mindestens 12 Personen gedacht. Highlights: eine „Rolli-Brücke“ in acht Metern Höhe und eine Seilrutsche für Rollstuhlfahrer. Genutzt kann der Klettergarten nur nach Voranmeldung bei dem Kooperationspartner des Hotels, Natur bewegt e.V. Die Erlebnispädagogen brauchen ein paar Tage Vorlauf, da die Trainer auch an anderen Orten im Einsatz sind. Für die Benutzung der Rolli-Rutsche ist wichtig zu erwähnen, dass ein Durchgang je Teilnehmer anfangs ca. 20 Minuten dauert. Wer rutschen will, wird jeweils in den Rollstuhl gesetzt und gesichert, ins Seil eingeklinkt und von der Bodenmannschaft (mindestens 5 bis 7 Personen) hochgezogen, oben wird „umgeklinkt“, erst danach kann gerutscht werden.
Weiterführende Informationen: Hochseilgarten und Kletterturm im Hotel FIT in Much (externer Link).
Leider geschlossen
Leider geschlossen: Auch wenn im Netz noch viele tolle Erlebnisberichte zu lesen – der Skypark Schwäbisch Gmünd hat aktuell kein rollstuhlgerechtes Angebot mehr. Und auch der Klettergarten „Grenzenlos“ in Gütersloh ist geschlossen.
Manchmal mehr als nur Spaß – Klettern in der therapeutischen Arbeit
Weshalb Klettern durchaus auch im therapeutischen Kontext von Bedeutung ist, schildert auf Nachfrage von Der-Querschnitt.de Dr. Alexander Heimbeck. Er ist Dipl. Sportwissenschaftler und Leiter der Fachtherapie in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, die sich der Bewältigung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen widmet.
„Durch die Nutzung von Bewegung als Medium zur Vermittlung psychotherapeutischer Inhalte können sowohl im Klettergarten als auch im Hochseilgarten Impulse zu typischen Themenfeldern gesetzt werden. Themenfelder sind: Angst, Führung, Grenzen, Kommunikation oder Vertrauen in sich und andere etc. Da die Situation in der Höhe objektiv ungefährlich ist, vom Patienten aber subjektiv als angstbesetzt wahrgenommen wird, findet im Moment der Durchführung eine Problemaktualisierung statt: Der Patient wird in der angstbesetzten Situation mit entsprechend auftauchenden Themen so reagieren, wie er es sonst im Alltag tut. Mögliche Dysfunktionalitäten in bestehenden Handlungsmustern werden sichtbar und müssen akut bearbeitet werden.“
Konzentration wird geschärft
Auf die Frage, was beim Klettern/Schweben/Rollen in der Höhe in der Psyche eines Menschen geschehen kann, antwortet er aus seiner therapeutischen Erfahrung heraus: „Die subjektiv empfundene Bedrohung eines möglichen Absturzes schärft die Konzentration auf den Moment. Ähnlich wie in anderen Sportarten gibt es das so genannte Flow-Erleben. Das bedeutet unter anderem die volle Konzentration auf den Moment, auf die Sache. Das ist etwas, was viele Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen verloren haben. Typische Merkmale psychischer Erkrankungen wie z.B. Depressionen, Zwänge, Angstdiagnosen gehen einher mit Grübelgedanken und Grübelschleifen. Klettern gibt diesen Menschen die Hoffnung zurück, dass es möglich ist, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.“
Flow-Erlebnis
Bei entsprechender Übungsauswahl durch den Therapeuten bewusst herbeigeführt, „passiere“ das Flow-Erleben oft automatisch. „Dies kann dann in der Umsetzung des Themas Achtsamkeit beim Klettern bewusst trainiert werden. Gefühle so anzunehmen, wie sie sind, ist ein Thema der Achtsamkeit. Therapeutisches Klettern bietet darüber hinaus die Möglichkeit, unangenehme Gefühle bewusst zu exponieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Klettern ist dabei geeignet, über das so genannte inibitorische Lernen eine Vielzahl von fein abgestuften Möglichkeiten zu bieten, den Umgang mit Gefühlen zu erlernen, die im Alltag meist vermieden werden. Der Vorteil des Kletterns gegenüber anderen Ansätzen liegt darin, dass die Kletterwand einen sehr hohen Aufforderungscharakter hat und viele Menschen eine hohe intrinsische Motivation haben, weil sie da hoch wollen. Was liegt da näher, als sich mit den Themen zu beschäftigen, die einen daran hindern, das Ziel zu erreichen?“
Baumwipfelpfade
In Deutschland gibt es außerdem mehrere „Baumwipfelpfade“, die zum Teil gut ausgebaute Wege für Rollstuhlfahrer anbieten. Das bringt allerdings nur für Menschen mit Höhenangst Nervenkitzel mit sich. Alle anderen rollen hier bequem über nahezu ebene Wege mit beruhigendem Geländer und genießen den Blick in die Bäume.
Detaillierte Informationen zu derzeit über 20 Baumwipfelpfaden in Deutschland, Österreich, Schweiz und Tschechien finden sich auf: www.baumwipfelpfad-baumkronenpfad.info/