Meine Querschnittlähmung und ich: Zwischen Klimaschutz und selbstbestimmter Mobilität
Man kann sich schon so seine Gedanken machen über die Frage, ob Menschen mit Querschnittlähmung wirklich ein eigenes Auto brauchen – und wenn ja: Wie viel?

Es ist nicht einfach, mit dem Rollstuhl öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Hier ein defekter Lift, da eine Haltestelle, an der man einen Teleporter bräuchte, um sich in den Bus zu beamen … dazu lange Wartezeiten beim Umsteigen. (Was nichts Rollstuhlfahrer-Spezifisches ist.)
Also bleibt für viele Menschen mit Querschnittlähmung das eigene Auto das bevorzugte Fortbewegungsmittel: Allzeit bereit, um einen Tag zu wuppen, der oft dichter getaktet ist als bei anderen. Denn zu Basics wie Arbeit und Einkaufen gesellen sich weitere Termine wie Physio-Therapie, Besuche bei Urologen, Orthopäden, Neurologen, Schmerztherapeuten, Rollstuhlwerkstatt und, und, und.
Eine Stunde Termin – drei Stunden An- und Abfahrt
Aufs Thema angesprochen, rechnet ein Paraplegiker vor, dass er ohne Pkw für eine Stunde Fitness- Training rund drei Stunden Fahrtzeit einrechnen müsste. Stünde dann noch ein Termin beim Urologen an (20 Kilometer in die andere Richtung), wäre der Tag eigentlich schon wieder vorbei. Ganz ohne zu arbeiten oder Zeit in körperlichen Routinen investiert zu haben. Sein Fazit: „Ohne eigenes Auto kommt ein querschnittgelähmter Mensch auf dem Land nicht klar“.
Trotzdem hat er sich die Frage gestellt, ob er sein Auto wirklich braucht. Bisher ohne praktikable Alternative. Eine seiner Fantasien: Mit anderen gemeinsam ein Auto anschaffen, das alle bedienen und nutzen können. Ein privates Handicapped Car Sharing, sozusagen. Was vermutlich zur Folge hätte, dass er sich vorher überlegen müsste, ob er das Auto wirklich braucht oder sein Ziel nicht doch mit eigenem Rollstuhl und eigener Kraft, gegebenenfalls mit E-Unterstützung, erreichen kann.
Jeder kann einen Beitrag leisten
So macht es ein anderer Befragter, der möglichst jede Strecke mit E-unterstütztem Handbike zurücklegt. Das Klima ist ihm ein Herzensanliegen, auf seine älteren Tage arbeitet er bei der Gründung einer „Special-Needs-for-Future“-Gruppe mit. Ein eigenes Auto als kompensatorisches Hilfsmittel zu nutzen, ist für ihn komplett okay und oft kaum vermeidbar, aber dann „kann ich immer noch auf der Autobahn den Tempomat auf 100 km/h stellen.“ Sein Fazit: „Auch mit einer schweren Behinderung kann man Beiträge zum Klima- und Artenschutz leisten“.
Für viele jüngere scheint das eigene Auto ohnehin kaum mehr Thema zu sein, hat der Ideengeber zu dieser Kolumne beobachtet. Für ihn war der 18. Geburtstag noch gekoppelt mit dem Wunsch nach einem eigenen Auto – heute kennt er immer mehr junge Menschen, die gar nicht erst auf die Idee kommen, Geld in ein Auto zu investieren. Bei querschnittgelähmten Menschen sehe das anders aus: „Da haben viele noch Benzin im Blut und geben einen großen Teil ihres Einkommens für ein dickes Auto aus. Oder träumen zumindest davon.“ Denn das eigene Auto bedeute für viele Freiheit und selbstbestimmte Mobilität (wie diese auch mit E-Antrieb gelingen könnte, schildert der Beitrag Rollstuhlgerechte Ladestationen: So sollten Stromtankstellen gestaltet werden – Der-Querschnitt.de.
Auf Augenhöhe mit allen anderen
Ein weiterer Aspekt: „Im Auto bin ich auf Augenhöhe mit allen anderen. Da sieht niemand, dass ich behindert bin.“ Und letztendlich sei für ihn der eigene Pkw schlichtweg eine Notwendigkeit (siehe oben): „Ohne könnte ich meine beruflichen, ehrenamtlichen und privaten Aufgaben nicht wahrnehmen. Gerade in Anbetracht der mangelhaften Barrierefreiheit des ÖPNV ist das eigene Auto meist alternativlos.“
Weshalb wir die oben aufgeworfene Frage mit einem klaren A + B + C beantworten.
Diese Kolumne erschien auch in der Herbstausgabe 2023 des „PARAplegiker. Das Magazin für den Querschnitt“, der Mitgliederzeitschrift der (externer Link) Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten Deutschland e.V. (FGQ).
Quer Schnittchen ist eine fiktive Figur. Die Kolumnenbeiträge sind inspiriert von Gesprächen der Redaktion mit querschnittgelähmten Menschen. Alltagstipps, eine witzige Begebenheit, eine emotionale Begegnung, eine ärgerliche, aber typische Situation: Was die Leserschaft von Der-Querschnitt.de beschäftigt, greifen die Redakteurinnen gerne an dieser Stelle auf.
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