Patient mit Querschnittlähmung – das unbekannte Wesen

Im Grunde sind Menschen mit Querschnittlähmung ja auch nur Menschen – außer, wenn sie ins Krankenhaus kommen. Dann verwandeln sie sich offenbar in Sekundenschnelle in eine unbekannte Lebensform, die nie zuvor eine Ärztin oder ein Krankenpfleger gesehen hat. Ein „gewisses Grundmisstrauen“ kann da nicht schaden, findet Werner Pohl, Journalist und Peer bei der FGQ. Von ihm stammt die folgende Kolumne über querschnittgelähmte Störfaktoren im Krankenhausbetrieb.

Rätsel im Klinikalltag: Was dieses Wesen wohl neben der eigentlichen Behandlung braucht?

Krankenhausaufenthalte, so es sich denn nicht um plan- und vorhersehbare Aktionen handelt, kommen gerne spontan und zur Unzeit. Das bringt mit sich, dass man sich, selbst wenn das Ungemach im heimischen Bereich seinen Anfang nimmt, das Krankenhaus nicht aussuchen kann, in dem man landet. Auf dem Land mag das nächste Stadtkrankenhaus automatisch das Ziel sein, im städtischen Bereich ist die Auswahl oft größer. Das kann den Fortgang der Dinge zum Lotteriespiel machen.

Grundsätzlich, das sei unterstellt, ist die Qualität unserer medizinischen Versorgung gut. Wer aber ohnehin schon mit speziellen Lebensumständen zurechtkommen muss, hat eine faire Chance auf ernüchternde Erfahrungen als Störfaktor im eingespielten Klinikbetrieb.

Tut´s weh?

Querschnittgelähmte Menschen etwa führen ein Leben, in dem manches anders vonstattengeht als bei Herrn und Frau Jedermann. Man möchte zwar unterstellen, dass das Gros der in einem Krankenhaus arbeitenden Menschen über mehr medizinisches Wissen verfügt als der Rest der Menschheit. Wenn man dann aber als komplett Querschnittgelähmter bei einer Verletzung der unteren Extremitäten gefragt wird, ob’s weh tut, ist ein Stirnrunzeln durchaus berechtigt.

Aber selbst wenn es nicht um spektakuläre Unfälle oder Krankheiten geht, die einem einen Krankenhausaufenthalt bescheren, können Probleme auftauchen, die man in Krankenhäusern eigentlich nicht erwarten möchte, etwa Krankenzimmer mit nicht barrierefreien Nasszellen.

Erhöhter Pflegebedarf kann zum Problem werden

Bei mehrtägigen Aufenthalten kann der erhöhte Pflegebedarf, den man in den eigenen vier Wänden gut organisiert hat, rasch zum Problem werden. Patienten, die über die Versorgung ihrer Erkrankung hinaus noch weitere Zuwendung benötigen, strapazieren das System. Solange es einen nicht so übel erwischt hat, dass man zu Willensäußerungen nicht mehr in der Lage ist, ist man gut beraten, alle Prozeduren, die einem angedient werden, wachsam und mit einem gewissen Grundmisstrauen zu begleiten.

Anzunehmen, in einem Krankenhaus seien alle Involvierten informiert und wüssten schon, was zu tun ist, mag zwar verlockend sein, wäre aber leichtsinnig. Unlängst musste eine Freundin, hochgelähmte Tetraplegikerin, für einige Tage unverhofft ein Bett im Hospital beziehen. Dieses war immerhin, ihrer Situation angemessen, mit einer Wechseldruckmatratze ausgestattet. Als sie wegen einiger Untersuchungen in einen anderen Teil des Krankenhauses verbracht werden sollte, trennten die Pflegekräfte das Bett kurzerhand von der Stromversorgung, um sich auf den Weg zu machen. Erst ihr Einschreiten verhinderte die Aktion. Es braucht wenig Phantasie sich auszumalen, welche Folgen der mehrstündige Verbleib auf einer stromlos zusammengesunkenen Matratze hätte haben können.

Krankenhaus-Personal am Limit

In vielen – wenn nicht den meisten – Krankenhäusern arbeitet das Personal am Limit. Man kann deswegen vielleicht nicht erwarten, dass alles absolut reibungslos läuft. Wer etwas mehr als andere darauf angewiesen ist, dass nichts schiefgeht, sollte deswegen schlicht und einfach wachsam sein, immer bereit, das Ausnahmehafte seines Zustands zu erklären und sich nötigenfalls auch (so’s denn geht) querstellen.

Das hat nichts mit Personal-Bashing zu tun. Vernünftigerweise sollte man die Verantwortung für seine ureigensten Belange ohnehin nie aus der Hand geben. Das sollte man ja als querschnittgelähmter Mensch verinnerlicht haben. Warum vielerorts Krankenhausschaffende Wissenslücken haben, was den Umgang mit diesem Thema betrifft, die Frage stellt sich allerdings.


Der Text von Werner Pohl wurde in der Zeitschrift RehaTreff (Ausgabe 3/2024) erstveröffentlicht. Der-Querschnitt.de dankt dem Autor und der Redaktion herzlich für ihre Zustimmung zur Zweitveröffentlichung!


Quer Schnittchen ist eine fiktive Figur. Die Kolumnenbeiträge sind inspiriert von Gesprächen der Redaktion mit querschnittgelähmten Menschen. Alltagstipps, eine witzige Begebenheit, eine emotionale Begegnung, eine ärgerliche, aber typische Situation: Was die Leserschaft von Der-Querschnitt.de beschäftigt, greifen die Redakteurinnen gerne an dieser Stelle auf.

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