Sex mit einer hohen Querschnittlähmung? Aber ja!

FGQ-Peer Maria-Cristina Hallwachs lebt seit einem Badeunfall im Alter von 18 Jahren mit einer Tetraplegie. Sie wird dauerhaft beatmet. Das Thema Sexualität hat sie einige Jahre nach dem Unfall für sich wiederentdeckt. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen und wie das mit dem Sex so funktioniert, wenn man nur noch den Kopf bewegen kann und unterhalb des Kinns nicht mehr viel spürt.

„Mensch, es gibt ja noch eine andere Art der körperlichen Berührung, die nicht-pflegerische, zärtliche, erotische Berührung.“

Ist Sexualität für dich ein Thema wie jedes andere auch?

Maria-Cristina Hallwachs: Sexualität ist im Allgemeinen ja leider oft ein schwieriges Thema. Man schämt sich, darüber zu sprechen. Da ist es egal, ob man querschnittgelähmt ist oder nicht. Der Unterschied ist nur, dass ich mit meiner Querschnittlähmung darüber sprechen muss. Dabei täte es doch allen gut, mehr darüber zu reden.

Über was musst du denn vor oder beim Sex reden?

Maria-Cristina Hallwachs

Maria-Cristina Hallwachs: Das fängt bei mir schon ganz früh an. Ich kann zum Beispiel nicht jemanden spontan umarmen, küssen oder durch Körpersprache ausdrücken, dass ich mich zu jemandem hingezogen fühle. Ich muss dann sagen: „Hej, kannst du mich mal umarmen?“ Und beim Sex selbst kann natürlich auch einiges schiefgehen, da ist es gut, wenn man vorher darüber geredet hat. Zum Beispiel ist es mir schon passiert, dass sich der Blasenschließmuskel durch die ungewohnte Manipulation geöffnet hat. Da war der andere halt nass.

Wie gehst du mit so einer Situation um?

Maria-Cristina Hallwachs: Wir konnten darüber lachen, das hat ja auch eine gewisse Komik. Ich hatte meinen Partner schon darauf vorbereitet, dass das passieren kann. Weil ich die Blase eben nicht kontrollieren kann. Es hilft, wenn mein Partner ein bisschen in das Medizinische einsteigt. Das ist natürlich nicht so romantisch. Auch ein nasses Bett killt jede Romantik, aber damit muss man halt klarkommen. Wir haben dann gesagt: „Okay, wir probieren es ein andermal wieder. Das hat jetzt keinen Sinn.“

Ohne Humor geht’s nicht. Was wünschst du dir noch von deinem Partner?

Maria-Cristina Hallwachs: Er sollte auf jeden Fall experimentierfreudig sein. Denn es gibt keine Anleitung, wie man als hochgelähmter Mensch Sex hat. Das muss man selbst herausfinden und das geht nur übers Ausprobieren. Was fühle ich, wenn mein Partner mich da oder da berührt? Weil ganz viel übers Sehen läuft, kann man zum Beispiel mit Spiegeln arbeiten. Toll ist es auch, wenn mein Partner ein bisschen Ahnung von Pflege hat – denn wenn meine Assistentin kommen muss, um mich abzusaugen, während wir beide im Bett liegen … na ja, das ist dann nicht so prickelnd.

Hattest du das Thema Sexualität nach dem Unfall erstmal abgehakt?

Maria-Cristina Hallwachs: Sagen wir so: Es stand nicht mehr oben auf meiner Prioritätenliste. Ich hatte zu dem Zeitpunkt meinen ersten Freund, Fabrice. Von ihm habe ich mich noch im Krankenhaus getrennt. Ich wollte nicht, dass er aus Mitleid bei mir bleibt. Für die Männer in der Reha war Sex sofort ein wichtiges Thema: Kann ich noch? Geht da noch was? Es ist zwar ein Klischee, aber meine Erfahrung sagt: Für Männer ist Sexualität oft direkt nach dem Unfall ein sehr großes Thema.

Wann hast du die Sexualität für dich wiederentdeckt?

Maria-Cristina Hallwachs: Das war ein langer Prozess. Zuerst musste ich meinen veränderten Körper akzeptieren lernen. Und auch den Gedanken zulassen, dass andere ihn attraktiv finden können. Aber eigentlich ging es mir nicht um Sex an sich, sondern um Beziehung, um Freundschaften. Ich wollte einfach jemanden kennenlernen und mich ihm seelisch nahefühlen. Die körperliche Nähe ergibt sich dann von ganz allein. Der springende Punkt für mich war: Wo lerne ich einen möglichen Partner kennen?

Und wo war das?

Maria-Cristina Hallwachs: Ich bin bewusst auf die Suche gegangen, habe Inserate bei Zeitungen geschaltet und Singlebörsen im Internet besucht. Das hat funktioniert. Ich habe dort zwei Männer getroffen, einen Rettungssanitäter mit einer leichten Inkontinenz und später einen Mann aus der Schweiz ohne Behinderung. Einen weiteren Partner habe ich im ganz normalen Leben kennengelernt. Er arbeitete für einen Hersteller für medizinische Hilfsmittel und hat sich um meinen Zwerchfellstimulator gekümmert, wir kannten uns also schon lange. Irgendwann wurde daraus eine Liebesbeziehung, auch körperlich.

Als zur seelischen auch die körperliche Nähe kam – wie war das für dich?

Maria-Cristina Hallwachs: Für Menschen mit hohem Pflegebedarf wie mich ist es manchmal schwierig mit der körperlichen Nähe. Denn mich berührt sowieso so oft irgendjemand, weil es halt einfach notwendig ist. Und dann das Gefühl wieder zurückzubekommen: Mensch, es gibt ja noch eine andere Art der körperlichen Berührung, die nicht-pflegerische, zärtliche, erotische Berührung – das ist gar nicht so einfach! Das musste ich erstmal wieder lernen.

Welche Berührung spürst du denn noch?

Maria-Cristina Hallwachs: Ich spüre vom Kinn abwärts sehr wenig. Wenn mich jemand sanft streichelt, spüre ich das nicht. Wenn mich jemand etwas fester anfasst, dann schon. Das ist natürlich ein Dilemma bei der körperlichen Liebe – man möchte ja keinen Boxkampf ausführen! Aber selbst wenn ich es nicht spüre: Wenn ich sehe, dass mich jemand streichelt, dann ist das trotzdem angenehm und schön. Vieles läuft über das Sehen und den Kopf. Die taktilen Reize kommen dann quasi über den Umweg „Augen“ in meinem Gehirn an. Zuzulassen, dass auch das schön sein kann, habe ich erst lernen müssen.

Das heißt, beim Geschlechtsverkehr kannst du deinen Partner eigentlich gar nicht spüren?

Maria-Cristina Hallwachs: Nein, nicht direkt, aber ich spüre körperliche Signale wie erhöhten Blutdruck, Adrenalin, erhöhte Temperatur. Vom Geschlechtsakt an sich bekomme ich nicht viel mit. Aber ich kann es trotzdem genießen, wenn ich merke, dass es meinem Partner gefällt. Auch das bespreche ich mit ihm: „Es ist für mich nicht dasselbe wie für dich.“ Oft fällt es mir schwer, das Denken auszuschalten: Passt mein Partner auch gut auf, dass er mich nicht verletzt? Ist meine Hand vielleicht irgendwo blöd eingeklemmt? Bricht er mir im Eifer des Gefechts am Ende noch das Bein? Ich muss meinem Partner völlig vertrauen, denn ich habe ja durch meine fehlende Sensorik keinerlei Kontrolle. Diese Anspannung, die ich erlebe, stört beim Sex eher.

Lebst du momentan in einer Beziehung?

Maria-Cristina Hallwachs: Nein, ich bin Single. Und ich wüsste auch gerade nicht, wo ich einen Partner in meinem Alltag zeitlich unterkriegen sollte. Aber ich bin nicht traurig. Es ist gut so, wie es ist. Gleichzeitig bin ich offen: Vielleicht tritt ja irgendwann wieder jemand in mein Leben!


Das Interview mit Maria-Christina Hallwachs führte Eva Mündlein. Der Text wurde in Ausgabe 3/2025 der Zeitschrift „Der Paraplegiker“, dem Mitgliedermagazin der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e.V., erstveröffentlicht. Die Redaktion von Der-Querschnitt.de bedankt sich herzlich für die Zustimmung zur Zweitveröffentlichung.