Akute Querschnittlähmung: Mentale Strategien, Nahziele und Fernziele
Wie soll man damit umgehen, ab jetzt querschnittgelähmt zu sein? Die Autoren der Patientenleitlinie „Akute Querschnittlähmung: Was ist für Betroffene wichtig zu wissen?“ nennen einige mentale Strategien und geben Menschen mit frisch eingetretener Querschnittlähmung und ihren Angehörigen Empfehlungen für diese Extrem-Situation. Dabei stützen sie sich auf die Erfahrungen anderer, die schon seit längerer Zeit querschnittgelähmt sind.

Die Patientenleitlinie erschien parallel zur S3-Leitlinie (externer Link) „Diagnostik und Therapie der akuten Querschnittlähmung“ und baut auf dieser auf. Immer wieder verlässt das Autoren-Team die zu Grunde liegende S3-Leitlinie. Auf diese Weise kommen die Autoren ihrer Zielgruppe – Menschen mit frisch eingetretener Querschnittlähmung und ihre Angehörigen – entgegen.
So ist auf Seite 18 zu lesen: „Da die S3-Leitlinie vor allem die Akutversorgung der Querschnittlähmung thematisiert, möchten wir in diesem Kapitel auch die weiteren Schritte und Ziele nach der Akutphase beleuchten. Weil es in der S3-Leitlinie zu diesem Thema keine spezifischen Empfehlungen gibt, haben wir in diesem Kapitel Themen aufgegriffen, die in enger Zusammenarbeit mit Betroffenen und deren Vertretern als besonders wichtig identifiziert wurden. Wir möchten Ihnen hier die Erfahrungen und Ratschläge der Betroffenen vorstellen, damit Sie davon profitieren können. So können Sie die Planung Ihrer Behandlung besser verstehen und aktiv mitgestalten.“
Die bange Frage: Wie geht es weiter?
Vielen Menschen drängt sich kurz nach Eintritt der Querschnittlähmung die Frage auf, wie es weitergehen wird. Im Hinterkopf ist da immer auch die Hoffnung, dass die Einschränkungen fast vollständig abklingen könnten.
Hier bleibt den Autoren nur, dem Patienten und seinen Angehörigen zu Geduld zu raten. „Vielleicht haben Sie bereits festgestellt, dass Ihr Behandlungsteam bei diesen Fragen sehr vorsichtig antwortet und eher versucht, keine Vorhersage (Prognose) zu geben.“ Das liege daran, dass die Untersuchung der Schädigungsgrade (siehe dazu auch Formen der Querschnittlähmung: Klassifizierung und Ausprägungen – Der-Querschnitt.de) in den ersten Tagen nach dem Eintritt der Querschnittlähmung „sehr unzuverlässig im Hinblick auf die neurologische Erholung sein kann.“ Eine genaue Vorhersage, inwiefern Ihr Bewegungsapparat sich erholen wird, ist wenn überhaupt nur eingeschränkt möglich.
In der akuten Phase: keine Aussagen über die Zukunft
Auch für die Ärzte ist diese Ungewissheit eine Herausforderung. Zusätzliche Untersuchungen, zum Beispiel durch eine MRT, könnten anfangs nur eingeschränkte Informationen liefern. Eine genaue Prognose, wie weit der Bewegungsapparat sich erholen wird, ist nur eingeschränkt möglich, betont die Patientenleitlinie. Deshalb sollten Ärzte die Prognose in diesem frühen Stadium aufgrund der Unsicherheiten auch nicht an Patienten und Angehörige kommunizieren, betont die Patientenleitlinie.
Noch belastender ist die Ungewissheit natürlich für den Menschen mit frisch eingetretener Querschnittlähmung und seine Lieben. Sie müssen akzeptieren, dass jede akute Querschnittlähmung individuell ganz unterschiedlich ist. Und dass es Zeit braucht, um den Verlauf und die Genesung richtig einzuschätzen zu können.
Nicht mit anderen vergleichen
Während der Akutphase werden frisch querschnittgelähmte Menschen meist im Akutkrankenhaus, bzw. in auf der Intensivstation betreut. Danach wechseln sie in die Behandlungs- und Rehabilitationsphase. (Für weiterführende Informationen siehe Dauer und Phasen der Rehabilitation bei Querschnittlähmung – Der-Querschnitt.de.)
Allmählich zeigt sich das Ausmaß der künftigen Beeinträchtigungen. Entsprechend gibt es für jeden Patienten ganz individuelle Ziele. Die Patientenleitlinie legt deshalb frisch querschnittgelähmten Menschen einen Rat ans Herz, der von Menschen stammt, die schon länger querschnittgelähmt sind: „Nicht mit anderen Betroffenen vergleichen, sondern sich auf die eigenen Ziele und die persönliche Situation konzentrieren!“ Schließlich gleicht keine Querschnittlähmung der anderen.
Nahziele und Fernziele
Dennoch ist es möglich, gewisse Ziele zu formulieren. Die Autoren der Patientenleitlinie unterschieden hierbei zwischen Nah- und Fernziele. Diese individuellen Ziele können Betroffenen helfen, ihren Fortschritt strukturiert und realistisch zu gestalten.
Ein Nahziel könnte sein, innerhalb weniger Tage oder Wochen in der Lage zu sein, im Bett eigenständig eine andere Position einzunehmen. Ein anderes Etappenziel könnte es sein, die Arme und Schultern zu trainieren, um sich besser abstützen zu können. „Solche kurzfristigen Erfolge sind entscheidend, da sie Ihnen schnell Fortschritte zeigen und Ihnen Motivation sowie Selbstvertrauen geben“, betonen die Autoren der Patientenleitlinie.
Fernziele hingegen können erst Monate oder noch später nach Eintritt der Querschnittlähmung erreichbar sein. Auch dies hängt von der Lähmungshöhe und den individuellen Einschränkungen ab. Zu den Fernzielen kann das eigenständige Transferieren vom Rollstuhl auf das Bett oder Toilette zählen, aber auch die Fähigkeit, sich selbst im Bett zu drehen.
Auch an dieser Stelle geben die Leitlinien-Autoren einen bestärkenden Rat: „Wichtig ist, dass jeder Fortschritt als Schritt zu mehr Selbständigkeit gesehen wird, unabhängig vom endgültigen Ziel.“
Wie umgehen mit Rückschritten?
Doch nicht immer entwickelt sich alles wie erhofft. Manchmal müssen Menschen mit frischer Querschnittlähmung auch Rückschritte verkraften. Die Patientenleitlinie wertet sie als natürlichen Teil des Behandlungsverlaufs. „Rückschritte bedeuten nicht, dass Sie versagen, sondern dass Ihr Körper Zeit braucht, um sich anzupassen und zu erholen. Jeder Rückschritt bietet die Möglichkeit, daraus zu lernen und Strategien zu entwickeln, um künftig besser damit umzugehen.“
Akzeptanz
„Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg und seine eigene Geschwindigkeit. Fokussieren Sie sich auf Ihre eigenen Fortschritte und erkennen Sie diese an. Feiern Sie auch die kleinen Erfolge, denn sie sind die Bausteine für größere Erfolge in der Zukunft“, gibt die Leitlinie Betroffenen und ihren Angehörigen mit auf den Weg. Denn nur wer beides akzeptiere – die Fortschritte genauso wie die Rückschritte – könne sich eine positive Einstellung erarbeiten und seine Motivation aufrechterhalten. „Indem Sie Ihre Erfolge würdigen und aus Rückschritten lernen, stärken Sie Ihre Belastbarkeit (Resilienz) und fördern Ihre langfristige Genesung und Lebensqualität. Vertrauen Sie auf Ihren Weg und bleiben Sie engagiert.“
Zum Weiterlesen
Die vollständige Leitlinie für Patientinnen und Patienten zur S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der akuten Querschnittlähmung“ von Messer S., Oeser A., et al. (in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie; Deutschsprachige Gesellschaft für Paraplegiologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie) kann hier heruntergeladen und nachgelesen werden (externer Link): Patientenleitlinie „Akute Querschnittlähmung: Was ist für Betroffene wichtig zu wissen?“.
Einen Überblick über die Leitlinie gibt der Beitrag „Patientenleitlinie „Akute Querschnittlähmung: Was ist für Betroffene wichtig zu wissen?“
Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Die genannten Produkte, Therapien oder Mittel stellen keine Empfehlung der Redaktion dar und ersetzen in keinem Fall eine Beratung oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch medizinische Fachpersonen.
Der-Querschnitt ist ein Informationsportal. Die Redaktion ist nicht dazu berechtigt, individuelle Beratungen durchzuführen.