Darmmanagement bei Querschnittlähmung: chirurgische Optionen
Eine Schädigung des Rückenmarks geht neben den Einschränkungen des Bewegungsapparates und der Sensibilitätsbereiche fast immer mit einer Beeinträchtigung der Blasen- und Darmfunktion einher. Die willkürliche Kontrolle des Beckenbodens und die damit einhergehende Kontinenzleistung sind eingeschränkt. Während sich der Fachbereich der „Neuro-Urologie“ zur spezifischen Behandlung der Blasenproblematik entwickelt hat, ist der Darm weitgehend ein Niemandsland ohne fachliche Zuordnung im Rahmen der Paraplegiologie.

Das Darmmanagement ist der Kern in der Behandlung der neurogenen Darmfunktionsstörung. Sie besteht aus zwei Säulen: Zum einen muss der Stuhl gut transportiert werden, sodass er im Enddarm landet und zum anderen muss die fehlende willkürliche Kontrolle des Schließapparates „überlistet“ werden.
Ziel: geplante Darm-Entleerung
Das Ziel ist, sowohl die Inkontinenzereignisse als auch die Verstopfungsproblematiken zu vermeiden. Eine zeitlich geplante Entleerung des Darmes können bespielsweise Ernährung, Medikamente, pflegerische Unterstützung, Hilfsmittel und Maßnahmen der Lebensführung herbeiführen. Im Anschluss an eine so erzielte Darmentleerung folgt ein Zeitintervall, in dem es vermutlich keine Stuhlentleerung geben wird und damit eine Kontinenz besteht. (Siehe auch Beitrag Darmmanagement: Diese sechs Punkte unterstützen eine geplante und regelmäßige Entleerung – Der-Querschnitt.de)
Wie aufwendig, umfangreich und in welchem Zeitintervall die abführenden Maßnahmen notwendig sind, hängt sowohl von der Lähmungsart als auch vom individuellen Ansprechen und von der Verträglichkeit der angewendeten Maßnahmen ab.
Die Behandlung der Darmproblematiken ist traditionell im Rahmen der pflegerischen Unterstützung angesiedelt. Die Maßnahmen sind strukturiert und etabliert in ihrer Anwendung und letztlich in einer fachübergreifenden Leitlinie zum „Neurogenen Darm“ wissenschaftlich geprüft und fixiert. (Siehe dazu auch Beitrag Fachpublikation: Neurogene Darmfunktionsstörung bei Querschnittlähmung – Der-Querschnitt.de.)
Sicherheit ist das Dogma
Ein unzureichendes Darmmanagement mit Inkontinenzereignissen hat für die betroffenen Patienten gravierende Folgen. Das Risiko von Harnwegsinfektionen und Hautläsionen im Dammbereich steigt in Folge der verstärkten bakteriellen Kontamination und der permanent feuchten Hautverhältnisse. Blähungen mit Unwohlsein oder anderen Bauchbeschwerden kommen hinzu.
Die Sorge einer ungewollten Darmentleerung führt zu einer Einschränkung an der gesellschaftlichen Teilhabe. Niemand verlässt das Haus mit der Sorge einer drohenden Darmentleerung, nimmt Termine wahr oder lädt Gäste ein. „Sicherheit ist nicht verhandelbar“ – diese Aussage eines Patienten, der täglich viele Stunden in seine Darmentleerung investiert, ist als ein Dogma des Darmmanagements aus Sicht der Betroffenen zu verstehen.
Mit zunehmender Lebenserwartung und erhöhtem Alter bei Eintritt der Rückenmarksschädigung kommen in den letzten Jahrzehnten die konservativen Möglichkeiten des Darmmanagements an Grenzen. Das bedeutet, dass das Dogma mit konservativen Maßnahmen allein nicht ausreichend zuverlässig erreicht werden kann.
Optionen der Chirurgie
Die chirurgisch operativen Maßnahmen haben eine geringe Evidenz, sind aktuell jedoch alleinige Option, wenn keine ausreichende konservative Einstellung der Darmentleerung möglich ist. Dies tritt besonders dann auf, wenn sich im Laufe des Lebens eine (physiologische) Verlängerung des Dickdarms entwickelt.
Hiervon ist vor allem das bewegliche Sigma, der letzte Teil des Dickdarms, betroffen. Durch die „Überlänge“ kann es zu Abknickungen im Darm kommen, wodurch sich der Darm nicht in einem Zug vollständig entleeren kann. Aus einer unvollständigen Entleerung folgt, dass der Darm in mehreren Anläufen entleert werden muss, wenn der Stuhlgang jeweils „nachgerutscht“ ist. Die Dauer für eine vollständige Darmentleerung kann sich dadurch erheblich verlängern. Der Umstand, dass diese Knickbildungen nicht regelmäßig oder gleichartig auftreten, führt zu sehr unterschiedlichen Abführzeiten, die im Vorfeld nicht planbar sind.
Stoma
Die am weitesten verbreitete operative Maßnahme ist die Anlage eines künstlichen Darmausganges durch Einnähen eines Dickdarmanteils in die Bauchdecke (Colostoma). Hierdurch wird der Stuhlgang ausgeleitet, bevor durch die verlängerte Darmschlinge eine Problematik entsteht.
Der Vorteil eines künstlichen Ausgangs ist, dass auch eine ungeplante Stuhlentleerung in einen Beutel auf dem Bauch erfolgt und nicht in die Hose geht. Bei ausreichender Handfunktion ist ein selbstständiges Wechseln der Beutel gut möglich. Die Sorge vor Inkontinenzereignissen bei der Einnahme von Abführmitteln kann dadurch deutlich geringer werden.
Auch wenn wissenschaftlich keine klare Aussage dazu besteht, welcher Darmabschnitt sich am besten zur Colostoma-Anlage eignet, wird einheitlich eine subjektiv deutliche Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen nach Anlage eines Stomas beschrieben.
Nicht jeder Patient ist jedoch bereit, sich auf ein Stoma einzulassen. Die Begradigung des Darmes durch Entfernung des mutmaßlich abknickenden Darmanteils kann ggf. eine erfolgreiche Neueinstellung des Darmmanagements mit konservativen Maßnahmen ermöglichen (siehe auch Beitrag Altern mit Querschnittlähmung: Auswirkungen auf den Darm – Der-Querschnitt.de).
Alternativen
Als weitere Maßnahme ist die Anlage einer sogenannten „antegraden Darmspülung“ optional. Klassisch wird hierfür der Blinddarm (Appendix) in die Bauchdecke eingenäht (Malonestoma oder MACE). Danach können Chirurgen einen Katheter über den Blinddarm einbringen und den Dickdarm über seine gesamte Länge leer spülen.
Weiterhin ist die Anlage einer Coecumfistel möglich. In diese Fall wird ein Kunststoffröhrchen in den Dickdarm eingebracht, über das, anstelle des Blinddarms, dann die Darmspülung erfolgen kann. Diese Technik scheint besonders dann sinnvoll, wenn ein schlaffer Beckenboden besteht, der eine Entleerung des Darms (Transanale Irrigation) erschwert.
Eine Darmabknickung im Bereich des Sigmas kann aber auch bei dieser Technik die Darmentleerung beeinträchtigen. Und: Nicht immer wird eine Dichtigkeit des Ballonkatheters erreicht.
Grundsätzlich kann das Darmmanagement durch chirurgische Eingriffe positiv beeinflusst werden. Die Durchführung konservativer Maßnahmen bleibt jedoch meist auch im Anschluss notwendig. Ebenso kann auch die Kombination verschiedener Verfahren erforderlich sein, um ein zuverlässiges und suffizientes Darmmanagement zu erreichen.
Der Text von Dr. Heiko Lienhard wurde in Ausgabe 4/2024 der Zeitschrift „Der Paraplegiker“, dem Mitgliedermagazin der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e.V., erstveröffentlicht. Die Redaktion von Der-Querschnitt.de bedankt sich herzlich für die Zustimmung zur Zweitveröffentlichung.
Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Die genannten Produkte, Therapien oder Mittel stellen keine Empfehlung der Redaktion dar und ersetzen in keinem Fall eine Beratung oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch medizinische Fachpersonen.
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