Gelesen: Die hohe Kunst der Akzeptanz – „Aufstehen und mit dem Leben tanzen“

Mit 28 Jahren, auf dem Weg zur Arbeit, wurde Silvia Steinberg von einem Bus erfasst. Die Folge: Eine inkomplette Querschnittlähmung: „Dieses Ereignis war für mich ein schmerzhafter Wendepunkt. Ich war aufs Elementarste mit mir selber konfrontiert, meinem Körper, meinen Gefühlen, Gedanken, Vorstellungen vom Leben und der Frage, wie es für mich weitergeht“. So beschreibt die Theologin in einem sehr ergreifenden, reflektierten und Mut machenden Buch ihren Weg durch diese Krise hinaus und zurück ins Leben.

Steinberg will mit ihrem Buch Mut machen

Steinberg ist als Resilienz- und Gesundheitscoach tätig. Ihr scheint es gelungen zu sein, den Unfall im Jahr 1995 und seine Folgen nicht nur als traumatischen Einschnitt ins Leben zu sehen, sondern auch als Impulsgeber für einen neuen Weg. In ihrer Autobiografie „Aufstehen und mit dem Leben tanzen“ verwebt sie Tagebucheinträge aus der Zeit auf der Intensivstation und in der Rehabilitationsklinik mit sehr reflektierten Betrachtungen ihrer jetzigen und damaligen Lebenssituation.

Keine Beschönigungen

Nichts in diesem Buch ist brachial-positiv oder beschönigend. Gerade die Schilderungen der ersten Tage und Wochen mit Querschnittlähmung sind sehr intensiv:

Ich trank den ersten Schluck Wasser aus einem Schnabelbecher. Ich verschluckte mich, hustete. Egal – ich lebe!
Ich atmete wieder selbstständig. Alles wird gut“
Dann stand die Zeit für mich still.
Ich war gelähmt!
Tag und Nacht waren gleich. Nachts konnte ich nicht schlafen, tags nicht wach sein. 24 Stunden Lähmung,
Ich hörte mich schreien.
„Warum ich? Wozu das Ganze?“
Als ich keine Worte mehr hatte, hörte ich sie – die Stille.

Annahme als Stärke

Der Unfall zwang sie, in sich hineinzuhören und die Frau zu entdecken und neu kennenzulernen, die nun in einem Intensivbett lag: „Ich verdiente mein eigenes Geld und war froh, selbstbestimmt mein eigenes Leben zu führen. Und nun war meine Wirbelsäule gebrochen, ich war gelähmt und brauchte bei der Körperpflege, der Ausscheidung und der Mobilität professionelle Hilfe.“ Beim ersten Geduscht-Werden fühlt sie sich in die Hilflosigkeit ihrer frühen Kindheit zurückversetzt. Aber sie musste und wollte lernen, die Hilfestellungen anzunehmen. „Sich helfen zu lassen, ist für mich heute eine Stärke“.

Das Weihnachtswunder

Das Leben mit dem neuen Körper, der anfängliche Haß – so formuliert es Steinberg – auf die gelähmten Gliedmaßen, der permanente Schmerz, die zerplatzen Zukunftsträume – mit all dem musste die junge Frau zurechtkommen. Genauso wie mit niederschmetternden medizinischen Prognosen: „Das [mit dem Laufen] wird nichts. Seien Sie mit dem zufrieden, was jetzt da ist!“, bekommt sie kurz vor Weihnachten von einem Oberarzt gesagt. Welche Fehleinschätzung!

An Heiligabend kommt das Gefühl zurück. Zunächst nur in zwei Zehen, später in den ganzen Beinen. Heute kann Steinberg wieder selbstständig gehen, mit Trekkingstöcken auch lange Wanderungen unternehmen.

„Mach was draus!“

Doch die Querschnittlähmung und das Trauma des Unfalls bleiben. Sie entwickelte Perspektiven und Strategien, um mit der neuen Situation umzugehen und akzeptieren zu lernen – vielleicht sogar, um Dankbarkeit zu spüren. Eine Begegnung mit einem Tetraplegiker ist für sie einer der Schlüsselmomente: „Ich hatte nur eine inkomplette Lähmung im Lendenbereich. Er hatte einen kompletten Querschnitt und seine Handfunktion war eingeschränkt. … Durch ihn lernte ich: Schau auf das, was du hast und kannst, und mach was draus!“ Erst dadurch, dass sie ihre Situation akzeptierte, konnte sie wieder handeln – ein Motto, das ihr auch ihre Psychologin nahegelegt hatte.

Im Telefoninterview führt die Autorin diesen Gedanken weiter aus: „Wenn ich in der Krankenrolle bleibe, kann das auch ein sekundärer Krankheitsgewinn sein und dafür sorgen, dass ich nichts mehr mache. Krankheit kann auch Mittel zum Zweck sein, indem ich Aufmerksamkeit und Beachtung durch meine Umwelt bekomme.“

Hilfe zur Selbsthilfe

Steinberg ist einen anderen Weg gegangen. Sie hat sich beruflich umorientiert und schenkt nun ihre Aufmerksamkeit und Beachtung denen, die ihr in den schweren Monaten nach dem Unfall ganz besonders geholfen haben: Dem Pflegepersonal in Kliniken. Im Krankenhaus, so schreibt sie, habe sie das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ kennengelernt. Aber sie habe „noch viel mehr gelernt, was mein Leben verändert hat. Eine wichtige Erfahrung war Wertschätzung im Umgang miteinander. … Ich habe aber auch die Erschöpfung in den Gesichtern wahrgenommen, den ständigen Zeitdruck, die hohe körperliche und psychische Belastung durch die Pflegearbeit und das Gefühl, nicht allen gerecht werden zu können.“ Nun bietet sie für diesen Personenkreis Aus- und Fortbildungen in den Bereichen Selbstsorge und Resilienz an – „Ich helfe ihnen, sich selbst zu helfen“.

Schließlich kennt sie Lösungsstrategien für den Umgang mit großen Belastungen und traumatischen Erfahrungen aus eigener Erfahrung sehr gut. Und genau davon handelt ihr Buch, mit dem sie allen Mut machen will, sich Schritt für Schritt dem Leben zu öffnen: „Ich habe Erkenntnisse gewonnen, darunter auch die, dass es möglich ist, mit einem Geh-Handicap durchs Leben zu tanzen“.

Zu Autorin und Buch


Silvia Steinberg hat Theologie studiert, heute arbeitet sie als selbstständiger Coach und Gesundheitsberaterin. „Ich begleite und unterstütze Menschen, die ihre ureigenen Fähigkeiten und Kompetenzen entdecken, ihr Leben verändern oder ihre ureigene Lebensaufgabe finden wollen.“ Mehr zu ihr und ihrer Arbeit auf ihrer Homepage creavi.de

„Aufstehen und mit dem Leben tanzen“ (gebundene Ausgabe)
Erscheinungsdatum: 17.07.2023
Verlag Tredition
Seitenzahl 80
ISBN 978-3-347-94980-5, Preis: 20,00 Euro