Gelesen: Wie man einen Traum aufgibt, um ein Leben zu gewinnen

Vielen Menschen mit traumatischer Querschnittlähmung fällt es schwer die Diagnose zu akzeptieren. Doch was, wenn die Unfähigkeit zur Akzeptanz nicht beim Betroffenen selbst liegt, sondern bei den Eltern? Tennisprofi Nico Langmann erzählt von seinem Leben mit Querschnittlähmung als Kind, Jugendlicher und Erwachsener.

Aus dem Inhalt

Du musst wieder gehen können: Mit dieser Maxime ist Nico Langmann aufgewachsen. Seit einem Autounfall im Alter von zwei Jahren ist er querschnittgelähmt – was seine Eltern nicht akzeptieren wollten.

Jahrelang kämpfte er gegen den Rollstuhl, in russischen Reha-Zentren ebenso wie bei brasilianischen „Wunderheilern“: ein Kampf, den er nicht gewinnen konnte. Heute ist Langmann nicht nur einer der besten Tennisspieler der Welt, sondern auch ein Mutmacher – trotz eines zweiten Schicksalsschlages in seiner Jugend, trotz einer Welt, die nicht für Menschen wie ihn gebaut und in der Diskriminierung Alltag ist.

 „Du musst keine Grenzen akzeptieren, die dir jemand anderes auferlegt. Du kannst deinen eigenen Weg finden, über all die Hürden hinweg – oder unter ihnen hindurch oder an ihnen vorbei.“
Nico Langmann

Hartnäckig bestehen Langmanns Eltern darauf die Fortschritte, die bei einer inkompletten Querschnittlähmung im Laufe der Rehabilitation und mit entsprechendem Training, durchaus möglich sind, als Zeichen für eine mögliche Heilung zu sehen. Als Kind lernt Langmann sie mit Tricks zufriedenzustellen, von denen nur er selbst weiß, dass er sie anwendet. Welche Bürde die Erwartungshaltung seiner Eltern war, was klar wird, wenn er seine Erfahrungen mit dem Blasenmanagement schildert.

Er schreibt: „Ich habe eine Reflexblase: Ab einem gewissen Füllstand leert sie sich. Als Kind habe ich nicht gemerkt, wann das passiert.“ Also trug er Windeln, weil seine Eltern keinen Sinn darin sahen eine besser Lösung zu suchen. Er würde ja bald geheilt sein. „Für mich ist das natürlich wahnsinnig peinlich, gerade in der Schule darf niemand sehen, wie meine Windeln unter meinen Hosen hervorlugen.“ Als er schließlich Harndrang wahrnimmt, und lernt die Blase durch Triggern zu entleeren, schickt seine Mutter ihn alle drei Stunden auf die Toilette, als ob es hierbei um Training ginge. Auch in der Schule soll er auf die Toilette gehen, was wegen der Gegebenheit vor Ort nicht möglich ist. Über seine „Erfolge“ lügt er, bis der Bluff auffliegt. „Warum lügst du?“ wird er angeherrscht. „Tu endlich, was man dir sagt!“ Und auch zuhause ist sein Ganz zur Toilette ein Großereignis. Seine Eltern und sein Bruder folgen ihm aufs Klo und beobachten, wie er sich auf den Bauch klopft und uriniert. Dieser Erfolg reicht nicht. Sein Vater sagt: „Das Ziel muss schon sein, dass es funktioniert wie bei den anderen.“

Klaren Tisch machen.

Mit 17 Jahren kommt Langmann zu einer Erkenntnis, die sein Leben fundamental veränderte. Jahrelang hatte er Zeit und Energie und Schmerzen investiert, nur um einem unerreichbaren Ziel hinterherzujagen. Bis ihm aufging: „Ich könnte auch einfach so glücklich sein, wie ich bin“. Er schreibt damals in sein Tagebuch: „Was würde sich denn ändern, wenn ich plötzlich wieder gehen könnte? Ich wäre immer noch Schüler, Tennisspieler, umgeben von vielen Freunden, einem tollen Bruder und Eltern, die mich sicher weiter unterstützten, auch wenn ich einen anderen Weg wähle, als sie es sich vorgestellt haben. ‚Ich will gar nicht mehr gehen können.‘ Das klingt gut. Für mich.“

Sein Bruder reagiert gelassen. „Cool, dass du so denkst“, sagt er. Mit Langmanns Mutter sieht es schon schwieriger aus, immerhin war sie es, die 15 Jahre lang auf eine großes Ziel hingearbeitet hat und viel Zeit mit ihm, aber weg vom Rest der Familie bei den Therapien im Ausland investiert hat. Der Streit um seine Entscheidung wird zu einem Gespräch, das beide auf eine gemeinsamen Nenner bringt und ihr Verhältnis zueinander nachhaltig verbessert.

Davor mit seinem Vater seine Erkenntnis zu teilen, hat Langmann Angst, denn dieser ist bis zum heutigen Tag davon überzeugt, dass alles und jeder mit der richtigen Methode geheilt werden können. Die Langmanns einigen sich schließlich darauf, dass sie nicht einer Meinung sind. Und sein Vater hat gelernt dies nicht persönlich zu nehmen.

Klaren Tisch gemacht zu haben, bedeutet für Langmann eine große Erleichterung. „Keine Lügen mehr, keine Schauspielerei, keine Versagensängste. Ich bin ein glücklicher Mensch, mit realistischen, erreichbaren Zielen.“

Langmann hat als Kind eine Behandlung erfahren, die mit dem Selbstbewusstsein von manch anderen kurzen Prozess gemacht hätte. Trotzdem (oder vielleicht auch deswegen) schafft er es, ein erfolgreicher, glücklicher Erwachsener zu werden, der gelernt hat, dass es für jedes Problem Lösungen gibt. Realistische Lösungen. Die Forschung arbeitet daran, Rückenmarksverletzungen zu heilen. Die Ansätze sind vielversprechend, doch bei Menschen haben sie noch keinen nachhaltigen Erfolg gezeigt. Für Betroffene muss es also nicht heißen „Geheilt werden!“, sondern „ein gutes Leben führen – trotz Querschnittlähmung“. Dies hat Langmann – als Tennisprofi, Stiftungsgründer und Mann – geschafft.

Das Buch

  • Wie man einen Traum aufgibt, um ein Leben zu gewinnen
  • Von: Nico Langmann
  • Seiten: ca. 200
  • ISBN:978 3 7106 0687 8
  • Preis: ca. 24 Euro (Stand: April 2024)

Über Nico Langmann

Nico Langmann, geboren 1997, ist Rollstuhltennisprofi. 2024 steht er auf Platz 15 der Weltrangliste. Durch einen Autounfall ist er seit dem Alter von zwei Jahren querschnittgelähmt. Aus einem Hobby heraus entstand eine Tennisprofi-Karriere, die ihn unter anderem zu den Paralympics nach Rio de Janeiro und nach Tokio führte.

Im Herbst 2022 gründete er die Nico Langmann Foundation, die mobilitätseingeschränkten Kindern, die in Österreich leben, den Zugang zum Sport durch die Bereitstellung von Sportrollstühlen bzw. Sportgeräten ermöglicht.

Unterstützt werden Kinder, die von Geburt an, wegen Erkrankung oder unfallbedingt mobilitätseingeschränkt sind, und damit Familien, die sich Sportrollstühle nicht leisten können. Die Nico Langmann Foundation vergibt keine Gelder, sondern stellt mit den Spendengeldern ausschließlich Sportrollstühle bzw. Sportgeräte für einen Zeitraum bereit.

Nico Langmann Foundation › Kindern, Zugang zu Sport ermöglichen. (externer Link)