ICF: Wichtiger Klassifizierungsfaktor bei Rehabilitation und Teilhabeplanung
Die Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health, ICF) definiert die Folgen von Krankheiten und Behinderungen in Bezug auf Körperfunktionen, Aktivitäten und Teilhabe. Für Menschen mit Querschnittlähmung und anderen Behinderungen ist die ICF ein wichtiger Bezugspunkt im Rehabilitationsprozess und bei der Bedarfsermittlung im Eingliederungshilferecht.

Die ICF ist eine Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation WHO und gehört damit zur „WHO-Familie der Internationalen Klassifikationen“, so das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Im Gegensatz zur ICD (International Classification of Diseases) stehen bei der ICF die Auswirkungen auf die Lebensumstände eines Menschen im Mittelpunkt, der gesamte Lebenshintergrund wird miteinbezogen. Damit spiegelt die ICF auch den neuen Behinderungsbegriff wider, der einen Wirkungszusammenhang zwischen einem Gesundheitsproblem und der daraus folgenden Einschränkung der Teilhabe hergestellt, dem sogenannten bio-psycho-sozialem Modell von Behinderung folgend.
Der neue Behinderungsbegriff findet seinen Widerhall auch im neunten Sozialgesetzbuch („Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“). Dort heißt es beispielsweise: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können …“
Mit Hilfe der ICF kann die aktuelle Funktionsfähigkeit und die Teilhabemöglichkeiten jedes Menschen (oder ihre Beeinträchtigung) in einer einheitlichen und standardisierten Sprache beschrieben werden. Die Klassifizierung nimmt nicht nur Bezug auf die Behinderung/gesundheitliche Einschränkung, sondern berücksichtigt auch das jeweilige Umfeld (Arbeitsplatz, Zuhause). Klassifiziert werden nur im weitesten Sinne gesundheitliche Faktoren. Bei anderen möglicherweise einschränkenden Faktoren wie Geschlecht, wirtschaftliche Situation, Ethnie oder Religion kann die ICF nicht angewandt werden.
Wichtiger Faktor im Rehabilitationsprozess …
Der Vorteil für Betroffene und medizinische Fachpersonen: Anhand einheitlicher Kategorien zur Klassifizierung können Teilhabebeeinträchtigungen relativ klar benannt und dokumentiert werden, was z.B. den Informations- und Entscheidungsfluss während eines Rehabilitationsprozess erleichtern kann, in den zahlreiche Fachleute und Institutionen involviert sind. Die Nutzung der ICF kann, so die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, z. B. konkret die zielführende Begründung von Reha-Empfehlungen erleichtern, da sie auch in den Vorgaben der Reha-Träger berücksichtigt ist.
Der G-BA sieht das ähnlich. In seiner Richtlinie über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha-Richtlinie) wird die Nutzung der ICF als „konzeptionelles Bezugssystem für die Verordnung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ genannt. Schließlich umfasse eine medizinische Rehabilitation einen ganzheitlichen Ansatz im Sinne des bio-psycho-sozialen Modells der Weltgesundheitsorganisation (WHO), um den im Einzelfall bestmöglichen Rehabilitationserfolg im Sinne der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere in Familie, Arbeit und Beruf zu erreichen. Und auch die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) betont, dass die ICF alle Versorgungsmaßnahmen auf das Erreichen einer funktionalen Gesundheit des Betroffenen in seinem individuellen Lebenskontext fokussiere. Im Rahmen der ICF stellten Hilfsmittel Kontextfaktoren dar, die zum Ausgleich fehlender oder eingeschränkter Körperfunktionen und -strukturen verwendet werden könnten. „Ziel der optimalen Gestaltung der Kontexte und damit der Hilfsmittelversorgung ist eine Verbesserung der Möglichkeit von Aktivitäten und damit der Teilhabe. Mit Hilfe der ICF kann es gelingen, die Ziele und die Realität der Hilfsmittelversorgung zu beschreiben und kommunizierbar zu machen.“
… und bei der Schaffung individueller Teilhabe
Der Weg in die Teilhabe – und die damit verbundenen Eingliederungshilfen – sollte sich an der ICF-Klassifizierung des Einzelnen orientieren. In SGB IX heißt es in § 118 (Instrumente der Bedarfsermittlung): „Der Träger der Eingliederungshilfe hat die Leistungen … unter Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsberechtigten festzustellen. Die Ermittlung des individuellen Bedarfes des Leistungsberechtigten muss durch ein Instrument erfolgen, das sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit orientiert.“ Neun Lebensbereiche werden genannt: Das Instrument hat die Beschreibung einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe in den folgenden Lebensbereichen vorzusehen:
Wie dies umgesetzt wird, bleibt den jeweiligen Bundesländern überlassen, die häufig eigene Bedarfsermittlungsinstrumente verwenden. Die Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz nennt folgende länderspezifischen Instrumente, die auch auf der ICF basieren:
- Baden-Württemberg: BEI_BW: Download von der Website des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
- Berlin: Teilhabeinstrument Berlin (TIB): Download des Dokuments im PDF-Format. (PDF-Dokument, 1.6 MB)
- Brandenburg: ITP Brandenburg: Download auf der Website des Landesamts für Soziales und Versorgung Brandenburg.
- Hessen: ITP Hessen: Download der Formulare und Handreichungen von der Website des Landeswohlfahrtsverbands Hessen.
- Mecklenburg-Vorpommern: ITP M-V: Download von der Website des Kommunalen Sozialverbands Mecklenburg-Vorpommern.
- Niedersachsen: B.E.Ni: Download von der Website des Niedersächsischen Landesamts für Soziales, Jugend und Familie
- Nordrhein-Westfalen: BEI_NRW: Download des Dokuments im PDF-Format. (PDF-Dokument)
- Sachsen: ITP Sachsen: Download von der Website des Kommunalen Sozialverbands Sachsen.
- Thüringen: ITP Thüringen: Download von der Website des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie
Die vier Komponenten der ICF-Klassifizierung
In der ICF werden Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit unter vier Aspekten betrachtet, wobei sich das Gesamtbild wie ein Puzzle aus zahlreichen Faktoren aus allen vier Komponenten zusammensetzt. Auf den Seiten des Bundesinsituts für Arzneimittel und Medizinprodukte kann man in der ICF online recherchieren, sie als PDF (inhaltsgleich mit der Buchausgabe) herunterladen oder als Buchausgabe kostenpflichtig bestellen: BfArM – ICF.
1. Körperfunktionen (Komponente b / bodyfunctions). In dieser Komponente sind u.a. folgende Funktionen enthalten:
- Sinne und Schmerz
- Stimme und Sprechen
- Immun- und Atmungssystem
- Verdauung, Stoffwechsel und endokrines System
- Urogenital- und reproduktives System
- Bewegung und Mobilität, Gelenke, Knochen, Reflexe und Muskeln
- Haut und Hautanhangsgebilde
2. Körperstrukturen (Komponente s / bodystructures). Gemeint sind hier anatomische Teile des Körpers (Organe, Gliedmaßen), deren Schädigung oder deren Fehlen zu Funktionsbeeinträchtigungen führen können.
3. Aktivitäten und Partizipation (Komponente d / daily activities). Hier werden Einschränkungen im täglichen Leben betrachtet, u.a.:
- Allgemeine Aufgaben und Anforderungen (z.B. tägliche Routine, Umgang mit Stress und anderen psychischen Anforderungen)
- Kommunikation (z.B. Konversationsmöglichkeiten, Gebrauch von Kommunikationsgeräten und -techniken)
- Mobilität (z.B. Körperposition ändern und halten, Gehen und sich fortbewegen, sich mit Transportmitteln fortbewegen)
- Selbstversorgung (z.B. Sich waschen, Körperteile pflegen, Toilette benutzen, sich kleiden, Essen, Trinken)
- Häusliches Leben (z.B. Beschaffung von Lebensnotwendigkeiten, Übernahme von Haushaltsaufgaben)
- Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen
- Bedeutende Lebensbereiche (z.B. Erziehung, Bildung, Arbeit und Beschäftigung, wirtschaftliches Leben)
- Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben (z.B. Erholung und Freizeit, Religion und Spiritualität)
Wie dies umgesetzt wird, bleibt den jeweiligen Bundesländern überlassen, die häufig eigene Bedarfsermittlungsinstrumente verwenden.
4.Umweltfaktoren (Komponente e / environmental factors). Materielle, soziale und einstellungsbezogene Faktoren, die die Welt beeinflussen, in der der Betroffene lebt. Produkte und Technologien
- Produkte und Technologien (Produkte, Instrumente, Ausrüstung oder Technologie, die speziell an die Bedürfnisse behinderter Menschen angepasst oder für diese entworfen wurde)
- Natürliche und vom Menschen veränderte Umwelt
- Unterstützung und Beziehungen (Menschen, aber auch Tiere. Betrachtet wird die physische und emotionale Unterstützung, die Mensch oder Tier bieten)
- Einstellungen (beobachtbare Auswirkungen von Sitten, Bräuchen, Weltanschauungen, Werten, Normen, religiösen Überzeugungen)
- Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze
Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Unter keinen Umständen ersetzt er jedoch eine rechtliche oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch eine juristische Fachperson oder Menschen mit Qualifikationen in den entsprechenden Fachbereichen, z.B. Steuerrecht, Verwaltung. Der-Querschnitt.de führt keine Rechtsberatung durch. Ob und in welchem Umfang private Krankenkassen die Kosten für Hilfsmittel, Therapien o.ä. übernehmen, ist individuell in der jeweiligen Police geregelt. Allgemeingültige Aussagen können daher nicht getroffen werden.