Kreislaufprobleme bei Querschnittlähmung
Im menschlichen Organismus fällt die Steuerung des Kreislaufs unter die Aufgaben des vegetativen Nervensystems. Autonom, d. h. ohne willentliche Kontrolle, reguliert das vegetative Nervensystem neben dem Kreislauf auch die Atmung, den Stoffwechsel, die Körpertemperatur, das Herz und weitere Organe oder Organsysteme. Bei einer Querschnittlähmung kann das Zusammenspiel ins Ungleichgewicht geraten, die Folge können Kreislaufprobleme sein.

Das vegetative Nervensystem setzt sich aus dem Sympathikus und seinem Gegenspieler, dem Parasympathikus, sowie dem enterischen Nervensystem zusammen. Während Sympathikus und Parasympathikus in der Feinregulierung der Körperfunktionen genau aufeinander abgestimmt arbeiten und dem Zentralnervensystem unterliegen, ist das enterische Nervensystem u. a. für den Magen-Darm-Trakt zuständig. Auch bei der Steuerung des Kreislaufs funktionieren Sympathikus und Parasympathikus in ihren typischen Rollen: Der Sympathikus vermittelt anregende, leistungssteigernde Reize, während der Parasympathikus die Erholung fördert, z. B. einen niedrigen Blutdruck oder langsamen Puls.
Dominanz des Parasympathikus ruft bei Querschnittlähmung Kreislaufprobleme hervor
Diese antagonistische Wirkungsweise gerät durch eine Verletzung des Rückenmarks ins Ungleichgewicht. Die Nervenbahnen des Sympathikus verlassen das Rückenmark in Höhe der Thorakalsegmente und Lumbalsegmente (T1 bis L1/L2). Die Bahnen des Parasympathikus verlaufen dagegen im Bereich des Sakralmarks (S2 bis S4), sowie als Hirnnerv (Nervus vagus) vom Kopf aus in fast alle Organe. Damit sind sie weniger breit auf das Rückenmark verteilt. Sie sind weniger von Verletzungen betroffen. Und sie gewinnen dadurch bei einer Querschnittlähmung leicht die Oberhand. Eine Verletzung im mittleren Bereich des Rückenmarks beeinflusst lediglich die Funktionen des Sympathikus. Das heißt, dass wichtige anregende Impulse, etwa zur Steigerung von Herztätigkeit und Blutdruck, Durchblutung und Stoffwechselaktivität fehlen. „Die vegetative Lähmung ist der gefährlichste Aspekt einer Querschnittlähmung (…) mit für den Patienten gefährlichen Nebenwirkungen“ (Zäch/Koch, 2006).

Orthostatische Hypotonie
Bezogen auf Kreislaufprobleme bei Querschnittlähmung kommt es je nach Läsionshöhe neben der Autonomen Dysreflexie häufig zu extrem niedrigem Blutdruck. Dieser tritt plötzlich, z. B. verursacht durch einen Lagewechsel, auf. Das kann neben Schwindel, Schwächegefühl oder Augenflimmern auch zu Bewusstlosigkeit führen. Normalerweise würde der Sympathikus sofort ein Zusammenziehen der Gefäße und die Herzfunktion anregen und damit den Blutdruck wieder in Schwung bringen. Bei einem Lähmungniveau über T6 ist er jedoch so geschwächt, dass er dem Parasympathikus nicht mehr ausreichend begegnen kann (Zäch/Koch, 2006).
Für derartige Kreislaufprobleme bei Querschnittlähmung gibt es einige Behandlungsmöglichkeiten. Kompressionsstümpfe und kreislaufaktive Medikamente können bei einer orthostatischen Hypotonie helfen, der Aktivität des Parasympathikus entgegenzuwirken. Physiotherapeutische und ernährungsbezogene Maßnahmen, wie salzreiche Kost (Lehnert, 2003) gehören ebenso zur Behandlung.
Für weitere Informationen siehe: Blutdruck im Keller? Hypotonie und orthostatische Dysregulation bei Querschnittlähmung
Informationen zu der ebenfalls zu den Kreislaufstörungen zählenden Autonomen Dysreflexie sind in dem Beitrag Was geschieht bei einer Autonomen Dysreflexie? zu finden.
Thermoregulation
Die Aufrechterhaltung der eigenen Körpertemperatur funktioniert u. a. über eine Zentralisierung des Kreislaufs. Die sympathisch gesteuerte Verengung der Gefäße bei Kälte wirkt sich im Normalfall auf den Kreislauf und dieser auf die Körpertemperatur aus – sie steigt. Dieser Mechanismus ist bei einem vegetativen Ungleichgewicht gestört, als einer von vielen, die zur Thermoregulation nötig sind. Betroffenen ist die Temperaturregulation in den gelähmten Körperregionen daher nicht möglich. Siehe auch: Temperaturdysregulation
Für weitere Informationen siehe auch Beitrag Querschnittlähmung und Bluthochdruck
Ein Leser kommentierte: „Hallo, meine Frage richtet sich hauptsächlich an langjährige Tetraplegiker und med. Fachleute. Ich bin 56 Jahre männlich, seit 40 Jahren durch Unfall Tetraplegie C 4/5 inkomplett, unterhalb C6 komplett. Zu Beginn meiner Behinderung hatte ich den typisch tiefen „Tetrablutdruck“, so 90/60. Mit den Jahren wurde der Blutdruck höher und ist jetzt so 130/80 wenn ich im Rollstuhl sitze. Allerdings habe ich bemerkt, dass er im Liegen auf Werte bis so 180/90 ansteigt.
Deshalb nehme ich jetzt abends Blutdrucktabletten. Ich kann mir nicht erklären, woher dieser hohe Blutdruck im liegen kommt. Allerdings hat ja ein Tetra nicht die normale Nachtabsenkung des Blutdrucks. Evtl. hat mir dieser Umstand ja eine Hypertonie beschert. Wenn ich im Rollstuhl sitze versackt das Blut ja eher in den Beinen, so das ich dadurch wohl nur im liegen einen hohen Blutdruck habe? Es wäre toll, wenn sich Tetras melden, die ähnliches bei sich beobachtet haben, oder Mediziner die mir dazu eine Auskunft geben können.“
Ein Leser antwortete: „… bei mir ist die Symptomatik ähnlich. Hoher Querschnitt C4 seit 30 Jahren, leider ist nach der Brindley-Operation völlig willkürlich doch die Hypertonie vorhanden. Bin ratlos, kardiologisch ist alles geklärt. Bin mittlerweile auch völlig verzweifelt und kann bei kein Reim darauf machen. Die Ärzte auch nicht. Vielleicht können Sie mich kontaktieren unter XXX (E-Mail-Adresse der Redaktion bekannt).“
Update der Redaktion: Die Thematik wurde zeitnah in einem eigenen Beitrag aufgegriffen: Querschnittlähmung und Bluthochdruck
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