Ab in den Windkanal – raus aus dem Flieger: Skydiving und Fallschirmspringen mit Querschnittlähmung
Als jungen Soldaten packte Andrea Pacini die Leidenschaft fürs Fliegen und Fallschirmspringen. Nach einem Unfall querschnittgelähmt, verliebte er sich bei einem Tandemsprung erneut in seine alte Leidenschaft. Heute ist der Paraplegiker wieder aktiver Fallschirmspringer. Inzwischen hat er über 300 Solo-Sprünge absolviert. Zudem leitet er seit 2017 bei AeroGravity in Mailand, einem der größten vertikalen Windkanäle der Welt, das „DisabilityProject“. Es macht Indoor Skydiving für Menschen mit einer Behinderung wie Querschnittlähmung möglich.

Als Paraplegiker absolvierte Pacini zunächst zahlreiche Tandem-Sprünge. Dann wollte er wieder autark springen. 2018 – neun Jahre nach seinem Unfall – bestand er die offizielle Prüfung zum zivilen Fallschirmspringer.
Ohne diesen Schein darf niemand alleine mit einem Fallschirm fliegen. Pacini hat eine italienische AFF-Lizenz, so wie man sie auch in Deutschland erwerben kann. Anders als bei der sogenannten konventionellen Ausbildung ist bei der AFF-Methode bereits der erste Sprung ein Freifallsprung, bei der konventionellen Ausbildung ist es frühestens der siebte Sprung. „AFF“ steht übrigens für Accelerated Freefall, übersetzbar mit „beschleunigter Freifall“.
Pacinis Weg soll es auch anderen ermöglichen, zu fliegen.
„Volare!“
Da der autarke Sprung sein großes Ziel war, gründete er mit einigen Unterstützern und Freunden die Organisation „Obiettivo Volare“ („Fliegen ist das Ziel“). Gemeinsam ebneten sie den Weg zur Ausbildung.
Pacini begann seine Vorbereitung mit einigen Trainings in Windkanälen. Um während des Fliegens mehr Stabilität und Balance zu haben, entwickelte er zusammen mit Orthopäden eine Oberschenkel-Bein-Orthese. Diese legt er im Windkanal und bei seinen Fallschirmsprüngen an. „Wenn ich fliege, verwende ich immer ein spezielles orthopädisches System, um meine Beine in einer korrekten Flugposition zu halten. Wir verwenden dieses System auch im Aero Gravity für die Leute, die in unserem Windkanal fliegen werden. Insgesamt haben wir drei verschiedene orthopädische Systeme zur Verfügung“, erklärt er auf Nachfrage.
„Während meiner Sprünge im Freien trage ich zusätzlich zu meinem speziellen orthopädischen System einen Karabinerhaken“, erklärt er diese Technik. „Nach ungefähr 50 Sekunden im freien Fall öffne ich meine Kappe und benutze den Karabinerhaken, um meine Beine anzuheben. Dazu befestige ich ihn zwischen dem orthopädischen System und meinem Gurtzeug. Dank dieser Vorgehensweise und dieses Equimpents kann ich auf meinem Hintern landen.“ Zusätzlich nutzt er einen Fallschirmsprunganzug mit spezieller Polsterung am Hinterteil, um die Landungen zu dämpfen.
Und das tut er oft. Seit er die Lizenz in der Tasche hat, hat Pacini bereits über 300 Sprünge absolviert. Und wird deshalb als derzeit aktivster italienischer Springer mit Paraplegie gehandelt. Fallschirmspringen, aber auch Skydiving sind trotz seiner Querschnittlähmung sein Lebensinhalt geworden. Dass er seine Leidenschaft derart leben kann, hat er seinem Willen, seiner Ausdauer und natürlich auch dem Unterstützerteam von „Obiettivo Volare“ zu verdanken.
Nicht nur mit Querschnittlähmung: Skydiven und Fallschirmspringen für möglichst viele möglich machen
Das Projekt hat übrigens Ziele, die weit über Pacinis ganz persönliche Interessen hinausgehen. Vielmehr soll mit ihm ein „institutionalisierter Weg“ geschaffen werden, damit auch andere Menschen mit Behinderung autark Fallschirmspringen können. Welche Steps Interessierte mit Behinderung letztendlich auf dem Weg zur Lizenz nehmen müssen, schildert Pacini in einem seiner zahlreichen Videos:
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Mehr InformationenSkydiving als Vorstufe – oder Alternative – zum Fallschirmspringen mit Querschnittlähmung
Wer allerdings das 4.500-Meter-Gefühl gerne ein bisschen mehr in Bodennähe hätte, kann dank Pacinis Engagement im Windkanal Schwerlosigkeit und freien Fall kennenlernen. 2017 war während seines Trainings für die Fallschirm-Lizenz der erste Kontakt zum Windkanal-Center entstanden. Seither arbeitet Pacini bei AeroGravity und betreut dort das „Disability Project“.
Alle Menschen sollen dort fliegen können. Egal, ob sie kognitive, sensorische oder motorische Einschränkungen haben. Über 600 Menschen haben das Angebot bereits wahrgenommen. Vor dem Takeoff steht jeweils eine intensive Beratung mit Pacini, um die individuellen Bedürfnisse auszuloten. Und damit sicherzustellen, dass sie den Aufenthalt im Luftstrom sicher und entspannt genießen können. Für Menschen mit Querschnittlähmung und ähnliche Handicaps wurden beispielsweise orthopädische Orthesen entwickelt, die ein relativ kontrolliertes Fliegen im Zylinder möglich machen – gut zu sehen im Mittelteil des offiziellen Videos zum Disability Project:
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Mehr InformationenNicht nur Spaß, sondern Wettkampfsport
Indoor Skydiving ist nicht nur ein Spaß, sondern kann auch Wettkampfsport sein. Das haben die Mailänder ebenfalls bereits offiziell bewiesen. Eine Delegation des „Aero Gravity Disability Projects“ gewann beim „Windtunnelhandifly“ Gold und Silber und stellte die beste Sportlerin des Wettbewerbs. Der Contest wurde im Mai 2022 in einem Windkanal bei Marseille ausgetragen.
Mehr von und über Pacini, über seine Aktivitäten beim Skydiving und Fallschirmspringen mit Querschnittlähmung und seine sportlichen Erfolge auf seinen Social-Media-Kanälen:
Instagram: Pacio84, Facebook: Obiettivo Volare, Web: www.obiettivovolare.com.
Bei Interesse an einem Flug im vertikalen Windkanal kann über (externer Link) Flight for disabled people | AERO GRAVITY direkt Kontakt mit dem Veranstalter, beziehungsweise mit Pacini, aufgenommen werden. Eine 3-Minuten-Sause kostet ab 64 Euro pro Person.
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