Leben mit Querschnittlähmung: Die Energie der Wellen spüren
Johannes Laing ist seit einem Unfall im Frühjahr 2014 querschnittgelähmt. Die große Leidenschaft des 38-Jährigen war und ist das Surfen. Er sagt: „Surfen ist eine Sportart, bei der nicht nur der Körper sondern auch der Geist gefordert ist – weil man sich im einem Element bewegt, das keine Fehler verzeiht.“

Johannes Laing ist seit einem Unfall im Mai 2014 querschnittgelähmt. Die Diagnose inkomplette Tetraplegie mit einer Lähmungshöhe von C 5/6, traf ihn zunächst hart, doch, so der Wahl-Mainzer, „seit ich das alles nicht mehr so persönlich nehme, finde ich es eigentlich ganz spannend.“
„Am Anfang stellte ich mir natürlich die Frage, wie es jetzt überhaupt weitergehen soll. Und wie komme ich klar, im Leben, im Alltag und mit der neuen Realität mit den Mitmenschen? In Deutschland gibt es leider viel zu wenig Begegnungsräume, wo Menschen ohne und mit Behinderung aufeinandertreffen können. Deshalb steche ich mit dem Rollstuhl immer heraus, bin immer etwas Besonderes. Leute sehen mich neugierig oder besorgt oder teilweise auch erschrocken an. In den USA ist das ganz anders. Leute im Rollstuhl gehören überall zum Gesamtbild. Da schaut keiner zweimal hin. Und auch was die Barrierefreiheit angeht, ist man dort sehr viel weiter. Man kommt als Rollstuhlfahrer einfach überall hin – ein Prinzip, dass ich gerne auf Deutschland übertragen können würde, doch Entscheidungsträger bin ja nicht ich…“
Bei allen anderen Aspekten seines Alltags helfen ihm die Fähigkeiten, die er auch bei seinem Beruf als Umweltingenieur für Wasserversorgung braucht. „Probleme muss man erkennen, analysieren – und dann beheben.“ So passt Laing z. B. gegebenes Material an seine Querschnittlähmung an oder erarbeitet Ersatzstrategien, die ihm das Leben erleichtern – nicht nur aber auch bei seiner großen Leidenschaft, dem Para-Surfen.
Para oder Adaptive Surfing ist ein Sport, der in Deutschland eher wenig verbreitet ist. Dies liegt laut Laing an der geographischen Lage der deutschen Küsten. „Während das Windsurfen an der Nord- und Ostsee oder am Mittelmeer durchaus möglich ist, braucht man für das Surfen ohne Segel deutlich höhere Wellen. Solch hohe Wellen gibt es aber nur im Pazifik und Atlantik, weshalb für Surfer in Europa gerade mal die politisch zu Spanien gehörenden Kanaren, die Atlantikküsten von Portugal, Spanien und Frankreich und bedingt auch die in Irland geeignet sind.
Laings Weg zum Surfen: „Ich liebe das Meer!“
Ich bin meine ersten sechs Lebensjahre in San Diego, Kalifornien aufgewachsen und war als Kind gefühlt ständig am Bodysurfen und Boogieboarden. Nach dem Umzug nach Deutschland fiel das dann weg… Erst während des Studium, als ich Anfang zwanzig war, habe ich bei einem Urlaub an der Atlantikküste dann das Surfen angefangen. Damals hatte ein Kumpel ein Board dabei und ich bin einfach mal drauf gesprungen.
Ein paar Jahre nach meinem Unfall machte ich dann Urlaub auf Hawaii und betrachtete da die perfekten Wellen, die auf den Strand rollten, und ich hab mir das Hirn zermartert, wie ich es schaffen könnte wieder zu surfen. Wie sollte das nur alles funktionieren, ohne Mobilität in den Beinen und mit eingeschränkter Handfunktion? Und dann, eines Morgens – ich glaube, ich wollte gerade einkaufen gehen – hab ich einen Typen im Rollstuhl gesehen und es war offensichtlich, dass er gerade aus dem Wasser vom Surfen kam. Ich bin sofort zu ihm hin und hab ihn mit den ganzen Fragen zugeballert, die ich mir die ganze Zeit gestellt habe. Fragen, die man pauschal natürlich nicht beantworten kann, weil ja jede Querschnittlähmung anders ist und was für ihn funktionierte, müsse für mich ja nicht zwangsläufig auch passend sein. Aber ererzählte mir von Accessurf, einer Non-Profit-Organisation mit etwa 100 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die seit zwanzig Jahren Menschen im Rollstuhl zum Surf-Erlebnis verhilft. Also wendete ich mich an Accessurf und ab da gab es kein Zurück mehr!
„In die erste Welle wurde ich noch geschoben“, erzählt Laing weiter. „Die Zweite hab ich dann schon alleine gepaddelt. Ich habe aufgrund des hohen Querschnittlähmung nur einen sehr schwachen Triceps und eine schlechte Handfunktion und paddle also nur mit einer Faust und kann die Arme nicht ganz durchziehen. Aber der Knoten war geplatzt und bin ich dann für den Rest des Urlaubs jeden Tag mit dem ersten Licht zusammen mit meinen neuen Freunden rausgepaddelt.“
Surfen mit Querschnittlähmung
Prinzipiell ist das Surfen auf alle Lähmungshöhen anpassbar. Man surft auf den Knien oder wie Tetraplegiker Laing im Liegen auf die Unterarme gestützt mit einer Haltung ähnlich wie beim Bodysurfen.
Die Erfahrung, die Laing nach Eintritt seiner Querschnittlähmung mit dem Surfen gemacht hat, bewertet er als durchweg positiv. „Wenn man mit der adaptiven Version eines Sports anfängt, bringt einen das zurück zu den Wurzeln. Man kann nicht mehr so surfen wie man es früher gemacht hat, oder wie man dachte, dass es “normal” sei. Man fängt wieder ganz vorne an und kann – und muss – sein Style dabei neu erfinden. Dabei muss man sich frei machen von allem, was man darüber zu wissen glaubte. Und man genießt die sportliche Herausforderung auf ganz neue Weise, denn man interagiert ja mit einer Kraft, die keine Fehler verzeiht. Dies wirkte auf mich wie eine emotionale Therapie!“
Dass es zu Laings Beruf gehört Probleme zu analysieren und zu beheben, kam ihm gerade recht, als er mit dem Hobby Para-Surfen anfing. Eine Frage, die sich ihm z. B. stellt, war: „Wie bringe ich das Brett zum Steg?“ Dazu hat Laing einen Gepäckträger am Rollstuhl angebracht, auf den er das Brett klemmt. Sein Rollstuhl ist außerdem mit einem Vorspannrad ausgerüstet, was für Stabilität und bessere Manövrierfähigkeit sorgt. „Trotzdem spielt der Boden, den ich befahre, natürlich eine Rolle. Auf einem Kiesstrand bin ich deutlich selbständiger als auf Sand. Falls es nötig ist, bitte ich um Hilfe, denn ich bin ja nie alleine unterwegs.“ Eines müsse klar sein, unterstreicht Laing. Egal ob man eine Behinderung habe oder nicht – man sollte beim Surfen immer einen Buddy dabeihaben, denn das Meer sei unberechenbar und man könne nie, wissen, wann man in eine wie auch immer geartete Notsituation geraten könne.

Menschen mit Querschnittlähmung, die es mal mit dem Surfen versuche möchten, sagt Laing: „Es gehört zunächst Mut dazu sich den Blicken der anderen Menschen am Strand auszusetzen. Aber es dauert nicht lange, bis man da im Alltagsbild angekommen ist. Tatsächlich erlebe ich die Surfer-Community als sehr aufgeschlossen gegenüber Menschen mit Behinderung. Man begegnet mir mit viel Respekt und Anerkennung. Natürlich weiß ich nicht wieviel Inspiration-Porn da am Laufen ist, aber ich glaube eher, dass die Liebe zum Meer und zum Surf-Sport schon so ein gemeinsamer Nenner ist, dass etwaige andere Unterschiede gar nicht richtig wahrgenommen werden.“
Das Wasser respektieren
Beim Surfen geht es darum die Energie der Welle spüren. Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass das Meer eine Naturgewalt ist, die man nicht unterschätzen darf. Vor allem muss man sich als Mensch mit Querschnittlähmung dessen bewusst sein, dass man die Kraft des Wassers u. U. nicht durch die eigene Körperkraft kompensieren kann, so Laing. „Man muss viel, viel risikobewusster sein“, sagt er. „Man geht nie alleine surfen, beobachtet das Meer vorher lange und bespricht die Situation mit den Life Guards. Meist wissen die, wo Steine und Strömungen sind, auf die man besonders achtgeben muss.
Surfausrüstung für Menschen mit Querschnittlähmung
Zum Surfen braucht man zunächst ein Surfbrett.
Ein solches aus Polyurethan-Schaum geformtes und mit Epoxydharz überzogenes Brett, hat Laing für seine Bedürfnisse anpassen lassen, in dem er in die eigentlich gerade Oberfläche eine Mulde hat einarbeiten lassen, in der sein Oberkörper sicherer aufliegt. Zudem verfügt sein Surfbrett über zwei Griffe am Bug. Ebenfalls möglich, z. B. für Menschen mit eingeschränkter Handfunktion, wären ärmelähnliche Tunnel, durch die die Unterarme geführt werden.
Eine weitere Veränderung, die für Menschen mit Querschnittlähmung sinnvoll ist, die eine positionelle Veränderung der Lasche, mit der das Brett via Seil mit dem Surfenden verbunden ist. Standardmäßig wird diese Lasche am Fuß befestigt. Da es für Menschen mit Querschnittlähmung allerdings u. U. schwierig sein kann, diese Stelle zu erreichen, empfiehlt Laing die Lasche am Oberarm zu fixieren.
Auch ist für Menschen mit Querschnittlähmung eine Anpassung der Finnen möglich, was zur Stabilisierung beitragen und das Manövrieren erleichtern soll. Laing sagt: „Wenn man auf dem Brett nicht steht, sondern liegt, verändert sich die Stabilität so, dass die Position der Finnen nach vorne verschoben werden muss.“
Wer ein Surfbrett in Einzelanfertigung erwerben möchte, muss mit Kosten zwischen 700 und 1.300 Euro rechnen.
Ein weiterer essenziell wichtiger Teil der Ausrüstung ist der Neoprenanzug oder Wetsuit. Diese gibt es in unterschiedlicher Dicke und schützen den Körper davor im Meer zu schnell auszukühlen. Für besonders kälteempfindliche Menschen gibt es auch (Neopren-) Stiefel, die für die Nutzung im Wasser geeignet sind.
„Der Neoprenanzug muss eng am Körper anliegen, sonst bringt er nicht den gewünschten Effekt“, sagt Laing. „Bei eingeschränkter Motorik und Beweglichkeit, muss man beim Anziehen um Hilfe bitten oder ziemlich man viel Geduld mitbringen,“ sagt Laing. „Das Ausziehen, wenn der Anzug nass ist, ist dann noch schwerer…“
Aspekte der Querschnittlähmung, die man beim Surfen beachten muss
Neben der eingeschränkten Beweglichkeit, die z. B. über die Anpassung des Surfbretts angeglichen werden kann, gibt es noch weitere Aspekte der Querschnittlähmung, die beim Surfen zur größeren Vorsicht gemahnen. Länger als drei Stunden, verbringt Laing nie ohne Pause im Wasser. Als Grund nennt er Temperaturdysregulation, Blasenmanagement und Energiehaushalt.
„Was die Körpertemperatur angeht, treffen da ja zwei Extreme aufeinander. Sonne und Hitze am Strand und das Wasser, das einen auskühlen kann, egal wie warm es sich zunächst anfühlen mag. Da habe ich selber schon viel gelernt. Selbst Mitte Juli auf Hawaii friere ich nach einer Stunde im Wasser und muss mich aufwärmen, z. B. mit dicken Socken oder einer Wärmflasche… Und wegen der Sonne habe ich immer einen Sonnenhut, ein Badetuch und eine Sprühflasche dabei.“
Auch das Blasenmanagement ist ein großes Thema. „Die Blase muss man mit großer Aufmerksamkeit beobachten und sehen, wie sich das da im Waser entwickelt. Ich selber katheterisier kurz vorher und trinke an dem Tag vorher auch nicht so viel wie gewöhnlich. Aber nach spätestens drei Stunden, sehe ich zu, dass ich mich wieder um das Blasenmanagement kümmern kann, alleine schon, um Komplikationen zu vermeiden.“
„Ganz wichtig ist der verantwortungsvolle Umgang mit der eigenen Energie“, so Laing. „Das gilt natürlich für jede Lebenslage, aber für das Surfen im speziellen. Klar will man im Urlaub so viel wie möglich mitnehmen, aber man muss auch sehen, dass weniger manchmal einfach mehr ist. Ich kann mich nicht jeden Tag völlig auspowern. Ich muss auf meinen Körper achten, und auch mal einen Tag Pause einlegen, wenn ich mich verausgabt habe. Ich habe zehn Jahre gebraucht, um zugeben zu können, dass ich Grenzen habe und einzugestehen, dass ich nach wenigen Stunden im Wasser platt bin. Auf eine Überforderung reagiert mein Körper mit Spastik und Schmerz und das möchte ich dann doch eher vermeiden.“
Heute nimmt Laing nicht nur erfolgreich bei Surf-Meisterschaften teil und arbeitet als Leiter der Abteilung Adaptive Surfing beim Deutschen Wellenreitverband e. V., sondern er engagiert sich auch dafür den Para Surfsport als (para-) olympische Disziplin zu etablieren. Für Menschen mit Behinderungen bieten seine Kollegen und er inklusive Surfcamps und -kurse an. Für weitere Informationen siehe: www.open-ocean.info (externer Link).
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