Leben mit Querschnittlähmung: Assisihof – Urlaub in Bullerbü

Auf seinem Assisihof in Ostfriesland lädt Thomas Hänzi dazu ein, sich in der Gesellschaft alter Nutztierrassen und in rollstuhlgerechten Wohnungen zu erholen und Gemeinschaft zu erleben. Menschen mit Querschnittlähmung liegen ihm dabei besonders am Herzen.

Thomas Hänzi genießt den Umgang mit seinen Thüringer Waldziegen, einer aussterbenden Nutztierrasse, die er auf dem Hof züchtet.

„Ich wollte einen Ort schaffen, an dem niemand seine Behinderung spürt.“

Thomas Hänzi

Wer kennt sie nicht, die Sehnsuchtsorte aus der Welt von Astrid Lindgren: Saltkrokan, die Villa Kunterbunt, Lönneberga, Bullerbü. Sie stehen für eine innige und – zumeist – friedliche Gemeinschaft von Mensch, Tier und Natur. Kein Wunder also, dass Thomas Hänzi immer wieder auf die schwedische Kinderbuchautorin zu sprechen kommt, wenn er von seinem Assisihof erzählt. Denn mit ihm hat der Schweizer einen Ort geschaffen, der an Lindgren erinnert. Auch wenn sein Hof nicht in Småland, sondern in Ostfriesland liegt, nur 20 Kilometer von der Küste entfernt. „Ein Bullerbü für Menschen mit Querschnittlähmung“ nennt ihn Hänzi, der selbst auf den Rollstuhl angewiesen ist, liebevoll. Während seiner Hochzeitsreise durch Deutschland, war Hänzi 2007 mit seiner Frau auch nach Ostfriesland gekommen.

„Ich habe mich sofort in Land und Leute verliebt“, erzählt er und wirkt dabei immer noch etwas erstaunt über diese plötzliche Liebe. Die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen, ihr Sinn für Gemeinschaft, die saftig-grünen Wiesen, das raue Meer, der weite Himmel – all das beeindruckte ihn. Hinzu kam die sehr gute Infrastruktur für Rollstuhlfahrer, die vielen flachen und geteerten Wege, die gute Krankenhausversorgung. Hänzi wusste sofort: „Hier hätte ich gern eine Ferienwohnung.“

„Green Care“ auf dem Assisihof

Auf einen gemütlichen Schnack im Garten des Assisihofs – es gibt
immer jemanden, der dafür Zeit hat.

Doch es kam anders. In einer Nacht- und Nebelaktion erwarb der rührige Schweizer nahe der ostfriesischen Ortschaft Reepsholt-Dose ein altes Bauernhaus mit Scheune und begann, diese rollstuhlgerecht umzubauen. In den kommenden Jahren konnte er zwei benachbarte Häuser dazukaufen und so das Areal auf insgesamt 25.000 Quadratmeter vergrößern. Hänzi beschloss, hier etwas zu entwickeln, das man heute ein „therapeutisch-soziales Green-Care-Projekt“ nennen würde. Der Assisihof, wie er ihn inzwischen getauft hatte, sollte zu einem Ort der Gemeinschaft werden: Menschen mit und ohne Behinderung sollten sich hier treffen und in der Begegnung mit Tieren und Natur ausspannen und Kraft tanken können. „Ich wollte einen Ort schaffen, an dem niemand seine Behinderung spürt“, erläutert Hänzi, der sein gesamtes Vermögen in den Hof gesteckt hat.

Daneben schlägt sein Herz besonders auch für Kinder. Der Vater eines 14-jährigen Jungen erzählt, dass er einmal eine Familie aus Berlin zu Besuch hatte, die dort in schwierigen Verhältnissen lebte. Die drei Kinder galten als verhaltensauffällig. „Nach drei Tagen auf unserem Hof waren sie wie ausgewechselt.“ Für Hänzi ein Beweis, dass sein Konzept funktioniert. Er spricht dabei gern von „auswildern“ – die Kinder in Berührung mit Tieren, Landwirtschaft und Natur bringen. Das bewirke oft Wunder.

Einfach mal Pause machen

Fünf Ferienwohnungen gibt es auf dem Assisihof, vier davon sind rollstuhlgerecht, eine sogar für Elektrorollstühle geeignet. Hier können Menschen mit Querschnittlähmung ihre Ferien verbringen. Dabei betont Hänzi aber, dass sein Hof kein gewinnorientierter Ferienbetrieb sei. Deshalb werden die Wohnungen gern auch längerfristig vermietet, wenn jemand zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt Erholung braucht, eine Pause vom stressigen Alltag einlegen will oder gar eine neue Lebensaufgabe sucht.

„Im Zentrum steht die Idee von Gemeinschaft und Inklusion, nicht von Leistung und Gewinn.“

Thomas Hänzi

Ums „Goldene Kalb“ soll auf dem Assisihof nicht getanzt werden. Wie wichtig dem Hofbesitzer die Gemeinschaft ist, zeigen auch die vielen kleinen Inseln des Zusammentreffens, die er auf dem Gelände geschaffen hat. Ob in der Spielscheune mit riesigem Ofen, im Backhaus, an der Grillstelle oder beim Biotop – überall kann man sich treffen und miteinander spielen, backen, grillen und ins Gespräch kommen.

„Und wer das nicht möchte, kann sich in seine Wohnung zurückziehen.“ Auch das ist Hänzi wichtig: Es gibt keinen Zwang, niemand muss dabei sein. „Zur Gemeinschaft gehört auch die Freiheit.“ Auch den Tieren gilt auf dem Assisihof besondere Aufmerksamkeit – ganz im Sinne des Heiligen Franz von Assisi, der Hänzi als philosophisches Vorbild dient. Neben Pferden werden hier auch aussterbende Nutztierrassen gezüchtet: Coburger Fuchsschafe, Thüringer Waldziegen, Marderkanninchen, Mandarinenten, schwarze Schwäne. Gerade für Rollstuhlfahrer könne der Kontakt mit Tieren sehr entspannend sein, weiß Hänzi, der auch in der Schweiz seit vielen Jahren Pferde züchtet. Da er seinen Lebensmittelpunkt weiterhin in St. Gallen hat, kümmern sich seine Verwalterin Anna Janssen, ihre Tochter Nele und ihr Sohn Kian mit großem Engagement und viel Liebe um den Hof.

Ob Handbike, Scooter oder Drahtesel: Die vielen geteerten und meist ebenen Wege rund um den Assisihof sind für alles, was Räder hat, gut geeignet.

Endlich loslegen!

Für seinen Traum vom Assisihof musste Hänzi lange kämpfen. Seine Ferienwohnungen durfte er zunächst nicht vermieten, Gäste konnte er nur privat einladen. Als er schließlich die Genehmigung erhielt, kam Corona. Deshalb steht das Projekt nun wieder in den Startlöchern – bis auf eine ukrainische Flüchtlingsfamilie wohnen auf dem Assisihof im Moment noch keine Gäste. Doch das soll sich bald ändern. Nun, da sich die Corona-Lage entspannt hat, möchte Hänzi endlich sein großes Herzensprojekt starten. Er kann es kaum erwarten, dass sich sein Hof mit Leben füllt. Ans Aufgeben hat der 63-Jährige trotz immer wieder auftauchender Schwierigkeiten nie gedacht. „Aufgeben heißt Sterben“, sagt er lakonisch. Er muss es wissen. Vor 44 Jahren verunglückte Hänzi als Elitesoldat beim Schweizer Militär schwer und musste sich mit einer Tetraplegie ins Leben zurückkämpfen. Die Erfahrung, wie fragil der menschliche Körper ist, prägt ihn bis heute.

„Ein Körper kann verletzt werden, aber eine Vision ist etwas Geistiges“, sagt er nachdenklich. „Sie ist stärker als das Materielle.“ Hänzi hat eine Vision. Er will die Welt besser machen – und sei es nur ein ganz klein wenig. Mit seinem Assisihof ist ihm das gelungen.

Der Assisihof ist ein kleines Idyll – sofortige Entspannung garantiert.

Der Text von Eva Mündlein wurde in Ausgabe 2/2023 der Zeitschrift „Der Paraplegiker“ (externer Link) erstveröffentlicht. Die Redaktion von Der-Querschnitt.de bedankt sich herzlich für die Zustimmung zur Zweitveröffentlichung.