Rollstuhl-Tanz: Nicht länger nur am Rand sitzen und zuschauen
Erik Machens wurde mit Spina bifida geboren. Als Kind war er vom Sportunterricht befreit … heute gilt er als einer der erfolgreichsten deutschen Sportler im Rollstuhl-Tanz. Zu seinem Tanz-Glück musste er quasi erst bewegt werden. Oder besser gesagt: Gezerrt.

Machens besuchte die Regelschule. Rückblickend stellt er einerseits fest, in der Schule „manchmal der Quoten-Rollstuhl-Nutzer“ gewesen zu sein. Andererseits „hatte das den Riesenvorteil, dass ich der Gesellschaft heute mit einem anderen Selbstverständnis begegne“.
Rollstuhl-Tanz bringt Menschen mit und ohne Rollstuhl zusammen
Machens hatte in seiner Kindheit und Jugend keine körperbehinderte Peer-Gruppe, kannte wenig Menschen im Rollstuhl, an denen er sich hätte orientieren können. Vielleicht hat ihn das geprägt: Heute engagiert er sich sehr für den Rollstuhl-Tanz. Er und sein Trainerinnenteam (zwei Fußgängerinnen, die erfahrene Tänzerinnen sind) wollen Menschen mit und ohne Behinderung auf der Tanzfläche zusammenbringen.
Für Machens begann der Weg dahin in der 11. Klasse. Er hatte an einem Schüleraustausch teilgenommen und war natürlich bei der Abschluss-Party dabei. Auch wenn er sich im Vorfeld fragte: „Wie kann ich im Rollstuhl auf so einer Party mittanzen?“.
Die Antwort hatten zwei Freundinnen. Sie fragten ihn, ob er wirklich die ganze Zeit am Rand sitzen und zuschauen wollte, wie die anderen Spaß haben? Und dann schleiften sie ihn einfach auf die Tanzfläche.
Früh mit Tanz-Fieber infiziert
Machens hatte Spaß und war mit dem Tanz-Fieber infiziert. In Hannover, seiner Heimatstadt und später Osnabrück, seiner Studienstadt, suchte er sich eine Stamm-Diskothek. Dort tanzte er von da an regelmäßig. Während seiner Studienzeit sprach die Besitzerin einer Tanzschule ihn an, die Mitwirkende für ein integratives Musical suchte. „Wir haben eine tolle Show abgeliefert“, erinnert sich Machens.
Bei der letzten Vorstellung fragte ihn seine Tanzpartnerin, ebenfalls eine Rollstuhl-Nutzerin, ob er nicht mit ihr weitertanzen und bei einem Turnier antreten wollte. Schon ein paar Monate später tanzten die beiden bei der Deutschen Meisterschaft – und holten sich als Duo den Titel „Deutsche Meister“ in Standard und Latein. Der damalige Bundestrainer im Rollstuhltanzsport holte das Paar in seinen Kader.
Rollstuhl-Tanz – geht auch solo prima
Von da ab tanzten und trainierten Machens und seine damalige Tanzpartnerin sechs Mal die Woche und bereitete sich auf die erste Weltmeisterschaft vor. Bei diesen World Para Dance Sport World Championships in Hannover holten sie bereits 2010 in der Disziplin Duo Bronze in Latein und Bronze in Standard.
Seit seine Tanzpartnerin aus privaten Gründen mit dem Turniersport aufhören musste, tritt Machens solo in der Disziplin „Single Men“ an. Inzwischen hat der 41-Jährige auch in dieser Disziplin jede Menge Pokale im Regal stehen und Medaillen an der Wand hängen. Neben seinem Studium, später neben seiner Arbeit, wurde er mehrfacher Deutscher Meister, Europameister, Vizeeuropameister und zweifacher Vizeweltmeister. Viele der Titel ertanzte er sich im Alltagsrollstuhl. Erst seit 2018 nutzt er beim Tanzen einen maßgeschneiderten Aktiv-Rollstuhl.
Tanz-Unterricht für alle Menschen






Seit 2015 gibt Machens in Sportvereinen Unterricht für Menschen mit und ohne Rollstuhl. Dabei stehen ihm für die Fußgänger unter den Mittanzenden zwei erfahrenen Tänzerinnen zur Seite.
Celina Frank ist aktive Tänzerin. Sie liebt Latein-Tänze, die tänzerische Kommunikation untereinander. Seit zwei Jahren ist sie als Co-Trainerin Rollstuhltanzsport mit im Team. Beate Seewald, die beim Interview nicht dabei sein konnte, tanzte selbst in der 1. Bundesliga, seit 2023 unterstützt sie das Team in der technischen Umsetzung des Fußgängerbereichs.
„Wir tanzen strikt ressourcen-orientiert“
Gemeinsam wollen sie Menschen für den Rollstuhl-Tanzsport begeistern. „Wir zeigen, was man gemeinsam zu Fuß und mit dem Rollstuhl machen kann“, sagt Frank, die als Physiotherapeutin arbeitet. „Wir tanzen strikt ressourcen-orientiert, nicht defizit-orientiert“, ergänzt Machens.
Die Lähmungshöhe oder andere Einschränkungen machen dabei lediglich bei der Tanztechnik Anpassungen notwendig, betont Machens. „Viele haben gar nicht auf dem Schirm, was alles möglich ist! Außerdem gibt es ja auch Wettbewerbe für Leute, die einen E-Rolli nutzen“ fügt Frank hinzu. Wichtiger als die körperlichen Voraussetzungen ist ihrer Meinung nach etwas anderes: Beide Parts müssen Spaß daran haben, gemeinsam zu lernen und gemeinsam Grenzen auszuloten.
Entdecken, was alles möglich ist
„Einige Leute mit Rollstuhl“, ergänzt Machens, „haben sich im Laufe der Jahre eine Schon-Haltung zugelegt. Die probieren gar nicht mehr, was körperlich möglich sein könnte.“ Beim Rollstuhl-Tanz lernen sie ihre Bewegungsmöglichkeiten neu kennen.
„Wir sind eine bunt gemischte Truppe. Für den Rollstuhl-Tanz gibt es nicht die Norm-Technik, das muss ganz individuell erarbeitet werden“, sagt Celina Frank. „Es ist unser Job, sich den Menschen anzupassen. Damit jeder tanzen kann.“
Rollstuhl-Tanz: Auch für die Fußgänger Neuland
Auch die Fußgänger, die sich für den Rollstuhl-Tanzsport entscheiden, betreten Neuland. Für Frank war der erste Kontakt ein bisschen ernüchternd: „Ich dachte, dass ich mit meiner Tanzerfahrung ordentlich Körperspannung habe. Für den Rollstuhl-Tanz war das aber zu wenig. Das war eine starke Umgewöhnung.“
Denn beim Rollstuhl-Tanz muss der Fußgänger-Part mit seiner Körperspannung die Bewegung und das Bremsen des Partners im Rollstuhl unterstützen oder Impulse geben. Das gilt zumindest, wenn der Rollstuhlfahrende seine Hände nicht an den Greifreifen haben kann, sondern in der Tanzhaltung halten muss.
Weshalb Neulinge im Rollstuhl-Tanz übrigens häufig Angst davor haben, dass ihr Partner sie mit seinem Rollstuhl crasht, weil er nicht selbst bremsen kann, ohne aus der Tanzhaltung zu fallen. „Das ist ein Mythos, den wir gerne entkräften wollen“, unterstreicht Machens „auch den Rollstuhl kann man lenken, ohne die Hände am Rad zu haben“.
Mix aus Empowerment, Körperkoordination und Spaß
Für Machens, Frank und Seewald ist der Rollstuhl-Tanzsport der perfekte Mix aus diversen Komponenten: Körperkoordination, Empowerment, ein bisschen Nervenkitzel, wenn man an einem Wettbewerb teilnimmt, körperliche Kommunikation im Tanzpaar, Spaß am Erfolg – und Freude „an einem schönen Miteinander“. Schließlich gibt es bei jedem Training auch Pausen – und die werden fürs Soziale genutzt.
Wer Lust auf Rollstuhl-Tanz bekommen hat, kann sich unter anderem auf Machens Facebook-Auftritt (externer Link: 10dances4wheels) inspirieren lassen. Dort gibt es eine Reihe von Reels und Tutorials, die den Charme und Strahlkraft eines Solo-Tanzes im Rollstuhl zeigen. Welche Erfüllung der Rollstuhl-Tanz Menschen mit und ohne Rollstuhl schenken kann, zeigt auch der Beitrag Leben mit Querschnittlähmung: Wer tanzt, lässt sich nicht hängen – Der-Querschnitt.de.
Rollstuhl-Tanz: Ansprechpartner
Wer nun selbst – als Fußgänger oder als Rollstuhlfahrer – das Rollstuhl-Tanzen ausprobieren möchte, hat dazu u.a. diese Möglichkeiten:
- Einer der ersten Ansprechpartner könnte der Stadtsportbund (oder eine vergleichbare Organisation in der Region) sein,
- man kann beim nächstgelegenen Tanzsportverein anfragen, ob es bereits eine Rollstuhlsport-Tanzgruppe gibt – oder ob Interesse an einer Gründung bestünde,
- oder man kontaktiert den Fachbereich Tanzen des Deutschen Rollstuhl-Sportverbands (DRS), siehe auch Beitrag Rollstuhltanzen mit Eleganz, Rhythmus, Leidenschaft – Der-Querschnitt.de.
- Und schließlich kann man sich auch an Machens und sein Trainerteam wenden. Sie bieten Rollstuhltanzsport-Trainings (Standard, Latein & Modetänze) an, Tanzkurse und Workshops, Showauftritte, Speaking und Beratung in Inklusionsfragen. Der Erst-Kontakt kann am besten über Machens Instagram-Account (Erik Machens | Wheelchair Dancer (@erikmachens) • Instagram-Fotos und -Videos) erfolgen.
Wer mehr über Machens und Frank erfahren möchte, kann die beiden auch in Folge 36 des Podcast „Vom Parkett ans Mikro“, dem offiziellen Podcast des Tanzsportverbands Nordrhein-Westfalen, kennenlernen (externer Link): Folge 36 Rollstuhltanzen Erik Machens & Celina Frank – Vom Parkett ans Mikro – Offizieller Podcast des TNW.
Oder er kann einen Blick auf die Seiten des TV Jahn Reine 1885 werfen (externer Link: Rollstuhltanzsport – Sportarten | TV Jahn Rheine 1885 e.V. – Herzlich Willkommen!), bei dem das Trainer-Trio aktiv ist.

