Stammzellen, Elektrostimulation, Neurotechnologie: Wo steht die Rückenmarksforschung aktuell?

Machen wir Fortschritte in der Forschung, um Rückenmarksverletzungen zu heilen? Warum dauert es so lange, bis die Ergebnisse der Forschung in der Realität ankommen? Was bringt uns die Forschung im Alltag? Diese Fragen standen im Zentrum der Tagung „Paraplegie: Wo steht die Forschung heute?“ von Berner Fachhochschule und Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Hochkarätige Referentinnen und Referenten gaben dabei Einblick in ihre Forschungsarbeiten und zeigten auf, mit welchen Therapien sie Erfolge hatten.

Bei der Rückenmarkforschung kann der Weg von der Studie in den Alltag sehr lange sein.

„Wissen verdoppelt sich, wenn man es teilt“, betonte Heidi Hanselmann, Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, die die von der Berner Fachhochschule (BFH) organisierte Vortragsreihe unterstützte. Doch wie weit weg ist das Wissen, das in der Forschung entsteht, immer noch vom Alltag der Betroffenen?

An der Tagung wurde schnell klar: Der Weg der Forschung ist lang. Die vielversprechenden Studien werden noch Jahre oder Jahrzehnte brauchen, bis sie im Klinikalltag angekommen sind. Und sie werden auch nicht bei allen Betroffenen zur Heilung führen. In dem Bericht der BFH über die Veranstaltung heißt es weiter: Auch klar wurde, dass das Ziel, wieder zu gehen, nicht immer das wichtigste Ziel ist. Dass bereits kleine Verbesserungen im Alltag einer Tetraplegikerin oder eines Tetraplegikers viel wert sind und dass es sich dafür zu kämpfen lohnt. Denn wie die Erfolgsgeschichten zeigten, lassen sich durch hartnäckiges Training in vielen Fällen, zahlreiche kleine Verbesserungsschritte erreichen.

Sieben Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen gaben in ihren Vorträgen Einblick in den Stand der Forschung:

Forschung ist sehr mühsam, mein Slogan lautet deshalb: Never give up!“

Prof. Dr. med. Armin Curt von der Universitätsklinik Balgrist sprach über den Stand der klinischen Studien und darüber, dass sich Erfolge aus präklinischen Studien nicht immer in die Realität übersetzen lassen. Als Beispiel nannte er die Stammzellenstudie, die beim Menschen noch nicht da ist, wo man sich nach den Tierstudien erhoffte. Es sind allerdings verschiedene Studien am Laufen, die die Verbesserung der Ausheilung von Nerven thematisieren. Im Zentrum stehen Fragen wie: Können sich die Nerven erholen? Was brauchen sie, damit sich die Erholung einstellt? Aktuelle Studienerfolge konnte er zwar nicht präsentieren, aber er wies darauf hin, dass demnächst eine Studie abgeschlossen wird. Man darf gespannt sein.

„Klinische Studien bei Querschnittlähmung: Wo sind wir heute?“, Prof. Dr. med. Armin Curt, Chefarzt und Direktor Zentrum für Paraplegie, Universitätsklinik Balgrist, Zürich:

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„Wenn die Muskeln überbelastet werden, kann es zu Ermüdungen kommen und es kommt zu Verletzungen.“

Curts Nachrednerin Dr. Ursina Arnet von der Schweizer Paraplegiker-Forschung sprach über die verstärkte Beanspruchung der Schulter bei Rollstuhlfahrerinnen und – fahrern. In verschiedenen Studien untersuchte sie, wie groß die Belastung der Schulter im Alltag ist und wie sie verringert werden kann. Sie präsentierte ihre Forschungsresultate, die aufzeigen, welche Aktivitäten die höchsten Schulterbelastungen haben. Ein Thema, das viele der rund 50 Menschen mit Querschnittlähmung im Raum gut kannten.

Risikofaktoren für die Schulterbelastung bei Personen mit einer Querschnittlähmung“, Dr. Ursina Arnet, Schweizer Paraplegiker-Forschung:

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„Die meisten Patienten sind 90% der Zeit inaktiv. Wie können sie zur Bewegung motiviert werden?“

Auch bei Prof. Dr. Robert Riener von der ETH Zürich stand die Bewegung im Zentrum. Er startete seinen Vortrag mit der Frage, wie viele Strampelbewegungen ein Baby pro Tag macht: rund 26.000. Im Gegenteil dazu sind Menschen nach einer Rückenmarksverletzung oder einem Schlaganfall 90% der Zeit inaktiv. Seine Forschungsarbeit ist deshalb dem Thema gewidmet, wie diese Patientinnen und Patienten zur Bewegung motiviert werden können. Er stellte verschiedene Methoden vor und fokussierte schlussendlich auf Softexoskelette, mit den Personen mit inkompletten Lähmungen schneller und weiter laufen können und sich dadurch mehr bewegen.

„Exoskelette für die Therapie und den Alltag“, Prof. Dr. Robert Riener, ETH Zürich und Universitätsklinik Balgrist:

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„Was ich als Tetraplegiker im Training lerne, möchte ich weitergeben an weitere Betroffene.“

Dass Bewegung nicht nur zu mehr Freiheiten und Autonomie führt, sondern auch zu kleineren oder sogar größeren Verbesserungen, zeigte Prof. Sebastian Tobler gemeinsam mit Edeny Baaklini auf. Tobler ist selbst Tetraplegiker mit einer inkompletten Lähmung. Als Leiter des SCI-Mobility Labors der Berner Fachhochschule (siehe Beiträge SCI-Mobility-Labor: Menschen sind der Schlüssel für Innovationen sowie Leben mit Querschnittlähmung: Mit Shorty und Gamaschen einmal um die Insel rum) initiierte er die Tagung.

In seinem Team arbeitet Dr. Edeny Baaklini, die Physiotherapeutin ist und über einen Doktor in Neurowissenschaften verfügt. Gemeinsam starten sie ab 2024 eine Pilotstudie, in der sie herausfinden möchten, ob die Trainingserfolge von Sebastian Tobler ein Einzelfall sind oder ob es auch bei anderen funktionieren könnte. Durch hartnäckiges Training kann Sebastian Tobler heute wieder stehen und über kürzere Distanzen sogar wieder gehen. Sein Körper konnte sich also gewisse Funktionen wieder erarbeiten. Mit der Tagung möchte er anderen Betroffenen einen Einblick in die Forschung geben. Mit der Studie möchte er auch seine eigenen Erfahrungen mit dem Training und innovativen Geräten teilen.

„Besitzt Ihr Körper verborgene Fähigkeiten, die Ihr allgemeines Wohlbefinden steigern oder Ihnen das Laufen wieder ermöglichen?“, Prof. Ing. Sebastian Tobler, Leiter SCI-Mobility Labor, Berner Fachhochschule und Dr. Edeny Baaklini, wissenschaftliche Mitarbeiterin SCI-Mobility Labor, Berner Fachhochschule:

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„Durch Stimulation können viele Beschwerden gelindert werden.“

Dass es in der Forschung nicht immer nur darum geht, wieder gehen zu lernen, zeigte der Vortrag von Dr. Ines Bersch. Sie erreicht durch direkte Muskelstimulation viele positive Effekte auf Darmmanagement, Druckverletzungen oder Muskelstruktur. Anhand von Erfolgsgeschichten zeigte sie auf, wie Funktionen, die noch schlummern, durch die Stimulation wieder geweckt werden können. In einem der gezeigten Beispiele konnte sich ein Patient zum Beispiel das Hemd wieder selbst zuknöpfen.

„Positive Auswirkungen der Elektrostimulation auf gelähmte Muskulatur“, Dr. Ines Bersch, Physiotherapist, PhD Medical Science, Head of International FES Centre®:

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„Gemeinsam können wir Funktionen erhöhen, ein kleiner Baustein um den anderen.“

Auch Prof. Dr. Ursula Hofstötter von der Medical University of Vienna sprach über Stimulation. In ihrem Falle aber über die nicht-invasive Rückenmarkstimulation. Wie auch ihre Vorredner*innen betonte sie die individuell stark unterschiedlichen Erkrankungsformen und dass die Therapieform immer auch individuell angepasst werden muss. Durch die Rückenmarkstimulation können aber in kleinen Schritten gezielt Funktionen erhöht werden und eine Verbesserung des Alltags der betroffenen Personen erreicht werden.

„Wie die Rückenmarkstimulation zur Verbesserung von Krämpfen und Bewegungsfähigkeit beitragen kann“, Prof. Dr. Ursula Hofstötter, Medical University of Vienna, Center for Medical Physics and Biomedical Engineering:

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„Um die Stimulation über Gedanken zu steuern, ist viel Training notwendig.“

Zum Abschluss der Veranstaltung zeigte Dr. Leonie Asboth (NeuroRestore), wie durch ein Implantat im Hirn die Stimulation des Rückenmarks über Gedanken gesteuert werden kann. NeuroRestore ist ein Zentrum, das von der EPFL und dem Universitätsspital Lausanne gegründet wurde und nach neuen Behandlungsmethoden für Rückenmarksverletzungen und nach Heilungsmöglichkeiten sucht. Um mit dieser Methode zu gehen, ist viel Training notwendig. Interessanterweise sind durch das Training aber Funktionserweiterungen sichtbar, auch wenn nicht stimuliert wird (siehe Beitrag Neurotechnologie zur Behandlung von Querschnittlähmung). Die Studie ist angelaufen. Bis die Methode breit eingesetzt werden kann, wird es aber noch lange dauern.

„Wiederherstellung des natürlichen Gehens nach einer Rückenmarksverletzung“, Dr. Leonie Asboth, Leiterin der klinischen Abteilung bei NeuroRestore:

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Prof. Dr. Karen Minassian von der Medical University of Vienna, der gemeinsam mit Dr. Sue Bertschy (Corporate Health Consulting) die Moderation der Veranstaltung machte, zog zum Schluss der Veranstaltung folgende Schlüsse: Die biologische Heilung ist nicht trivial, es gibt noch viele Hindernisse. Doch weltweit arbeiten verschiedene Gruppen an Lösungen. Die Tagung hat gezeigt, dass es viele Methoden gibt, den Alltag von Betroffenen zu verbessern. Die Herausforderung aber bleibt, wie diese Therapien in die Kliniken gelangen. Und damit auch einen Mehrwert für die Betroffenen erzielt werden kann.