Zwerchfell-Schrittmacher: Mehr Unabhängigkeit für Menschen mit Dauer-Beatmung

Beim Wort „Schrittmacher“ denken viele zuerst an einen Herzschrittmacher. Doch auch das Zwerchfell kann mit elektrischen Impulsen über seine Nerven (Phrenikusnerven) stimuliert werden. Menschen mit hoher Querschnittlähmung, die auf eine Beatmung angewiesen sind, kann dieser Atem- oder Zwerchfell-Schrittmacher ein großes Stück Unabhängigkeit zurückbringen.

Röntgenbild einer 35-jährigen, inkomplett gelähmten Patientin mit Phrenicus-Stimulator

Medizinisch korrekt spricht man von einem Phrenikusnervenstimulator (PNS). Dieser Zwerchfell-Schrittmacher ist für Tetraplegiker geeignet, die aufgrund ihrer hohen Lähmung (ab C2) nicht eigenständig atmen können. Aber nicht jeder von ihnen kann den Stimulator eingesetzt bekommen. 

Damit der Eingriff gelingen kann, müssen der Zwerchfellnerv, seine ihn versorgenden Neurone auf Rückenmarks- und Gehirnebene sowie der Zwerchfellmuskel intakt sein, betont eine Veröffentlichung des BG Klinikums Hamburg (BGKH). Søren Tiedemann, Atmungstherapeut (DGP) im BGKH und Sprecher des DMGP-Arbeitskreises Beatmung erklärt, worauf es ankommt: „Über eine Muskellücke im vorderen Halsbereich, die sogenannte Skalenuslücke, können wir über einen elektrischen Impuls testen, ob die oben genannten Strukturen intakt, also noch stimulierbar sind. Führt dieser Test zu einem positiven Ergebnis, kommt der Patient oder die Patientin für die Implantation eines Stimulators in Frage.“

Seltener Eingriff

Zwerchfell-Schrittmacher wurden erstmals in den 1960er Jahren implantiert. Die verwendeten Modelle waren damals noch recht groß und sperrig. Heute spricht man von einem minimal-invasiven Eingriff. Doch die Atem-Schrittmacher finden dennoch nur relativ selten Anwendung (genaue Zahlen liegen nicht vor).

Zum einen spielt die relativ hohe Sterblichkeit unmittelbar, nachdem eine derart hohe Querschnittlähmung eingetreten ist, eine Rolle. „Wird nicht sofort eine Beatmung, zum Beispiel eine Mund-zu-Mund-Beatmung eingeleitet, dann verstirbt die betroffene Person. Überlebt sie dagegen den Ausfall der eigenen Atmung, so bedeutet dies bei einer Manifestation des Lähmungsniveaus eine lebenslange Beatmungspflicht“, betonen Tiedemann und Thietje.

Zum anderen spielt die oben bereits erwähnte generelle Eignung für den Stimulator die entscheidende Rolle: Nur bei etwa einem Drittel aller Patienten könnte das Zwerchfell stimuliert werden. Die anderen zwei Drittel der Menschen mit sehr hoher Lähmung erleiden durch die Querschnittlähmung Läsionen an den oben beschriebenen Neuronen auf Rückenmarksebene und können somit kein Stimulations-System erhalten.

Sie müssen auch nach der Akut-Phase invasiv beatmet werden. Die Ärzte führen eine Tracheotomie, also einen Luftröhrenschnitt durch und setzen eine Trachealkanüle, auch Tracheostoma genannt. Die Kanüle wird in die Luftröhre eingeführt, die Atemluft direkt in die Lunge geleitet. Alternativ ist in manchen Fällen auch die Beatmung per Maske möglich.

Zwerchfell-Schrittmacher: Viele Vorteile

Ist aber die Implantation möglich, bietet ein Zwerchfell-Schrittmacher viele Vorteile gegenüber einer Beatmung über eine Trachealkanüle. Zum einen natürlich die Unabhängigkeit von einem Beatmungsgerät. Manchmal für Stunden, manchmal dauerhaft.  Zudem treten laut BGHK zum Beispiel signifikant weniger pulmonale Infektionen auf. Mobilisation und Transfer werden erleichtert. Das Sprech-, Riech- und Schmeckvermögen verbessern sich und auch die Trachealkanülenwechsel werden weniger belastend für die Betroffenen und die Pflegenden.

Winzige Elektroden bringen das Zwerchfell auf Trab

Auch an der BG Unfallklinik Murnau wird der äußerst seltene Eingriff durchgeführt. Marc Langscheid, einer der Ärzte des dortigen Rückenmarkverletztenzentrums, erläutert in einer Veröffentlichung der Klinik, wie der Zwerchfell-Schrittmacher eingesetzt wird – und wie er funktioniert: „Das Zwerchfell ist der größte Atemmuskel, den wir im Körper haben. Ziel muss also sein, diesen Muskel bei seiner Arbeit aktiv zu unterstützen. Hier kommt der Schrittmacher ins Spiel.“  Dafür platzieren die Chirurgen zwei winzige Hakenelektroden auf jeder Seite so im Zwerchfell, dass diese den Zwerchfellnerv stimulieren können. Das Zwerchfell zieht sich zusammen und erzeugt einen Unterdruck in der Lunge.

Ein verhältnismäßig kurzer Eingriff, der minimal-invasiv durchgeführt werden kann. „Die Kabel, die mit den Elektroden verbunden sind, werden durch die Bauchdecke geführt und dann – außerhalb des Körpers – über einen kleinen Stecker an den Schrittmacher angeschlossen“, erklärt Landscheid.

Schrittmacher statt Beatmungs-WG

Der Arzt und sein Team haben im April 2025 einem 75-Jährigen Patienten einen Zwerchfell-Schrittmacher eingesetzt. Xaver E. war als Kind an Kinderlähmung erkrankt. Durch die Krankheit war seine Atemmuskulatur extrem belastet, dazu kam eine zunehmende inkomplette Querschnittlähmung durch einen Rückenmarkschaden, der eine Operation in seinem Heimatlandkreis notwendig machte.

Die befürchtete Komplikation trat ein: die Atemmuskulatur war zu schwach, um anschließend selbständig zu arbeiten. Xaver E. war auf eine permanente Beatmung angewiesen. Um ihm eine Zukunft in einer Beatmungs-WG zu ersparen, wurde der 75jährige an das Rückenmarkverletztenzentrum der BG Unfallklinik Murnau verlegt.

Tjalf Caesar und Lebengefährtin Svea im Querschnittgelähmten-Zentrum des BGKH.

Dort implantierten die Experten ihm den Zwerchfell-Schrittmacher. Das Ergebnis? Nach drei Wochen intensivem Atemtraining – mit Unterstützung des Schrittmachers – ist der Zwerchfellmuskel nun stark genug, um Xaver E. ohne Beatmungsgerät nach Hause zu entlassen, resümiert die Presse-Mitteilung der Klinik.

Neue Freiheit …

Das Querschnittgelähmten-Zentrum (QZ) des BGKH veröffentlichte im Februar 2022 eine Erfolgsgeschichte um einen Zwerchfell-Schrittmacher. Tjalf Caesar verunglückte 2019 bei einem Eishockeyspiel. Seither wird er kontinuierlich vom QZ des BGKH betreut. Der PNS machte ihn laut Pressemitteilung unter anderem deutlich unabhängiger von intensivpflegerischen Maßnahmen: „Der Schrittmacher erleichtert es mir sehr, alles für die Uni zu erledigen, weil meine Sprache seitdem viel besser geworden ist. Ohne die vielen Schläuche ist auch der Transfer vom Bett in den Rollstuhl viel einfacher oder das Baden und Duschen. Ich konnte das erste Mal seit zwei Jahren wieder in der Ostsee baden. Das war echt ein unglaubliches Gefühl für mich und das wäre ohne den Schrittmacher auch nicht möglich gewesen.“

… auch für das soziale Umfeld

Auch Tjalfs Lebensgefährtin Svea freut sich über die gewonnenen Freiheiten: „Es bringt ganz viel Unabhängigkeit und Spontanität. Und was für mich das Beste ist, ich habe nicht mehr das Gefühl, ihn behandeln zu müssen wie ein rohes Ei, weil ich nicht mehr die Angst habe, durch eine unbedachte Bewegung einen Beatmungsschlauch rauszuziehen.“

Einen detaillierten Einblick in die Funktionalität eines PNS geben Tjalf Caesar und Atmungstherapeut Søren Tiedemann auf dem (externer Link)  YouTube-Kanal des BG Klinikums Hamburg.


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