Über Funktion und Nutzen von Exoskeletten für Menschen mit Querschnittlähmung

Wie funktionieren Exoskelett  für Menschen mit Querschnittlähmung? Welche Möglichkeiten gibt es für den Einsatz bei Mobilitätseinschränkungen der oberen und unteren Extremitäten? Und können Exoskelette wirklich den Rollstuhl ersetzen?

Bild 92745097Urheberrecht gigello, 2013 Mit Genehmigung von Shutterstock. com

Exoskelette haben einen weiten Weg hinter sich. Schon seit den 60er Jahren, arbeiten Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen daran, aus der Fiktion des Iron Man (Comicfigur mit Exoskelett) Wirklichkeit zu machen. Seit etwa zehn Jahren sind die ersten funktionstüchtigen äußerlichen Skelette auf dem Markt.

Die frühen Modelle waren noch ziemlich sperrig: Bei dem Versuch sie zu beschreiben, drängte sich der Vergleich mit einer gepolsterten und hoch-technisierten Hose auf. Der bewegliche Rahmen umschloß den Unterkörper des Nutzers vom unteren Rippenbogen bis zu den Fußsohlen. Der Antrieb, die Batterien, wurde wie eine Art Rucksack auf dem Rücken getragen oder etwas weiter unten, als High-Tech-Variante des Cul-de-Paris. Bei den Exoskeletten der neuen Generation entfällt diese Rucksackkomponente, was die Konstruktion erheblich verschlankt und leichter macht.

Die geschmeidigen Bewegungen, die den menschlichen Gang oder Armbewegungen simulieren, können die heute verfügbaren Exoskelette auch (noch) nicht bieten, doch eines tun sie ganz sicher: Sie ermöglichen Menschen mit Mobilitätseinschränkungen das Gehen oder Greifen.  

So funktionieren Exoskelette

Exoskelette, die das Gehen ermöglichen sollen, bestehen aus einem leichten, aber starken Rahmen, der den Unterkörper umschließt. Dieser Rahmen trägt das Gewicht des Exoskelettes selbst, seiner elektronischen Komponenten und das des Benutzers. Zudem hält es den Körper in einer aufrechten, sicheren Position. Der Rahmen hat an den Stellen Gelenke, an denen sie der menschliche Körper auch hat, d. h. an den Hüften, Knien und Knöcheln.

Angetrieben werden die Exoskelette von wieder aufladbaren Batterien, die je nach Hersteller und Ausmaß der Nutzung nach vier bis acht Stunden gewechselt werden müssen.

Ein Anlegen ohne fremde Hilfe ist bedingt z. B. dann möglich, wenn die Bein- und Rumpfkomponenten nicht am Stück sondern modular aufgebaut sind.

  • Sensoren, Controller und Auslöser

Die Bewegungen, die der Exoskelett-Nutzer machen möchte, werden über bio-elektrische Sensoren (Messung der physiologischen Impulse des Körpers) gesammelt und an den Controller gesendet, der sie analysiert und die verschiedenen Auslöser koordiniert. Die Auslöser (Elektro- oder Hydraulikmotoren) wiederum setzen (angetrieben von der Energie aus den Batterien) das Exoskelett und damit den Nutzer in Gang. Möglich ist derzeit das Stehen, das Gehen auf geraden Ebenen oder auf Gefällen (sowohl auf- als auch abwärts) und teilweise auch das Treppensteigen.

Übertragen auf den menschlichen Körper funktioniert der Controller also wie das Gehirn, das die Befehle gibt, und die Auslöser wie die Muskeln, die die Bewegungen durchführen.

  • Das Gehen

Derzeit verfügen die angebotenen Modelle über keine ausreichende Balance- oder Gang-Kontrolle. Um ein Umkippen zu verhindern, muss der Nutzer einen ausreichen starken Oberkörper haben. Die Balance wird mit Hilfe von Gehstöcken gehalten (Ausnahme ist war ein frühes Modell von Rex Bionics; siehe Bild). Das Gangbild in einem Exoskelett hat nichts gemein mit den weichen, fließenden Bewegungen, die man als Fußgänger gewohnt ist. Ein Abrollen von Ferse zu Zehen kann nicht stattfinden. Stattdessen findet ein „kontrolliertes nach vorne Fallen“ des Körpers statt, der bei jedem Schritt aufs Neue aufgefangen werden muss.

Dieses Gehen erfordert neben ausreichender Oberkörper- und Armkraft ein entsprechendes Training – und auch eine gewisse Unerschrockenheit.

Die Nutzen des Exoskeletts

Die Nutzung eines Exoskeletts im heimischen Umfeld ermöglicht es Menschen mit Paraplegie aufrecht zu stehen und zu gehen. Sie sollen den Rollstuhl zumindest zeitweise ersetzen können. Die aufrechte Körperhaltung über einen gewissen Zeitraum kann laut Herstelleraussage verschiedene positive Auswirkungen auf den Organismus haben:

  • Stärke und Ausdauer werden trainiert
  • Innere Organe werden entlastet
    • U. a. Atmung
    • Verdauung
    • Blasenfunktion und
    • Kreislauf werden somit verbessert
  • Die Beanspruchung der Knochen wird erhöht, was einer Inaktivitätsosteoporose  vorbeugt
  • Schmerzen und Spasmen können verringert werden

Über diese erwartete Reduktion der möglichen Komplikation bei Querschnittlähmung, kann man derzeit aber noch keine verlässlichen Aussagen machen, da langfristige Erfahrungswerte fehlen.

Eindeutig lässt sich feststellen, dass Exoskelette den Nutzern ein neues Ich-Erleben ermöglichen.  Nutzer berichten von dem Glücksgefühl “nach all den Jahren wieder zu laufen” oder  “sich mit Menschen auf Augenhöhe zu unterhalten”.

Die meisten Hersteller von Exoskeletten haben sich auf die Anwendung als Rehabilitationsmaßnahme spezialisiert. Als Teil der Bewegungstherapie kann das Training mit einem Geh-Roboter gehbehinderten Menschen langfristig zu einer deutlichen Steigerung ihrer Mobilität (ohne Exoskelett) verhelfen. (Siehe auch: Bewegungstherapie mit dem HAL Exoskelett.)

Eine Dokumentation des WDR zeigt Erfinder und Ingenieur Tristan Vouga und seine Vision: Die Erschaffung eines Exoskeletts der Superklasse:

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Kontraindikationen

Exoskelette können nur bei ausreichend starkem Oberkörper und funktionierenden oberen Extremitäten genutzt werden. Osteoporose und Herz-Kreislaufbeschwerden sind Ausschlusskriterien für eine Nutzung, und auch Kontrakturen und Spastik sind Kontraindikationen. Zudem machen die Hersteller bestimmte Vorgaben bzgl. Größe und Gewicht von Nutzern.

Die Grenzen von Exoskeletten

Ein Einsatz auf rutschigem, instabilem oder weichem Untergrund (Gras, Schlamm, Sand, Kies, Geröll, Eis, Schnee etc.) ist nur bedingt möglich. 2020 veröffentlichte die Hochschule Lausanne eine Studie über die Nutzung eines Exoskelett-Prototypen im Schnee. Siehe hierzu: WIITE, the exoskeleton for backcountry skiing (externer Link)

Wie oben erwähnt, ist das Gangbild keinesfalls geschmeidig und da zum Halten der Balance unbedingt die Nutzung von Gehstöcken erforderlich ist, kann der Exoskelett-Träger keine Gegenstände mitführen.

Seit sie zuerst erschienen, sind Exoskelette bereits praktikabler geworden: Stromspeicher und Rechner sind leistungsfähiger und kompakter, Komponenten leichter und besser anpassbar. Zukünftige Exoskelette werden schneller, leichter, schmaler sein. Sie werden Systeme zur Balance-Kontrolle integrieren, was die Stabilisierung mit Gehstöcken überflüssig machen wird und ein angepasstes Gangbild wird den normalen menschlichen Bewegungen entsprechen. Die physiologische Kontrolle über das Nervensystem wird verbessert und auf die verbleibenden Muskelfunktionen unterhalb der Lähmungshöhe des Einzelnen angepasst werden. Batterien werden kleiner und effizienter, die Auslösertechniken ausgefeilter werden. Alle Komponenten des Exoskeletts sind dem Wandel der technischen Möglichkeiten unterworfen und Innovationen werden folgen, die diese äußeren Skelette für den alltäglichen Gebrauch bequem und erschwinglich machen werden.

Exoskelette für die oberen Extremitäten

Auch die Funktion der Arme kann mit Exoskeletten unterstützt werden. (Siehe: Acht Greifhilfesysteme für Tetraplegiker und  Titan Arm – Prototyp eines Exoskelettarms)

Hersteller und Kostenübernahme

Es gibt verschiedene Hersteller von Exoskeletten für Menschen mit Querschnittlähmung weltweit, sowohl für die Anwendung in der Rehabilitation als auch für die Nutzung im privaten Umfeld .

Zu einer Auflistung von Herstellern geht es hier und hier (externe Links).

Für einen Beitrag zur Kostenübernahme siehe:

Zur Kostenübernahme von Exoskeletten und Roboterarmen


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