Bessere Prognosestellung durch Identifizierung von Gewebebrücken im Rückenmark
Das Stellen einer Prognose zur Genesung nach einer Rückenmarksverletzung ist für die direkt Betroffenen und ihr Umfeld von großer Bedeutung. Bisher blieb sie aber ungenau. Forschern aus drei internationalen Rehabilitationszentren in Zürich, Murnau und Denver ist es nun gelungen, den Wert von Neuroimaging-Messungen für die Vorhersage der sensorischen und motorischen Genesung bei Menschen mit Tetraplegie aufzuzeigen.

Die aus klinischen Magnetresonanztomographien (MRT) abgeleiteten Neuroimaging-Messungen erfassen das Ausmaß des unverletzten Nervengewebes neben der Rückenmarksläsion, die sogenannten spinalen Gewebebrücken.
Die Ergebnisse der Längsschnittstudie „Prognostic value of tissue bridges in cervical spinal cord injury“ haben das Potenzial, die klinische Praxis zu verändern. Sie wurden im Juni 2024 im Fachmagazin The Lancet Neurology, der weltweit führenden Zeitschrift für klinische Neurologie, veröffentlicht (zur Originalpublikation geht es hier). Das Team um Erstautor Dr. Dario Pfyffer und Seniorautor Prof. Dr. med. Patrick Freund von der Universitätsklinik Balgrist und der Universität Zürich, dem Querschnitt-Experten aus der ganzen Welt angehören, hat in einer großen, multizentrischen Kohorte von Patienten mit zervikaler Querschnittlähmung erfolgreich Modelle entwickelt, die Gewebebrücken im Rückenmark für eine verbesserte Prognose der klinischen Ergebnisse einbeziehen. Diese Gewebebrücken wurden auf (früh nach Eintreten der Rückenmarksverletzung aufgenommenen) MRT-Bildern gemessen. Dadurch ergab sich für die bisherigen Prognosemodellen, die auf der Erfassung des klinischen Zustands der Patienten bei deren Eintritt ins Krankenhaus basieren, ein entscheidender Mehrwert. Dr. Pfyffer sagt dazu: „Eine genaue Ergebnisvorhersage ist für die Patienten, die behandelnden Therapeuten und die behandelnden Ärzte von größter Bedeutung.„
Bemerkenswerterweise haben sich in allen drei Rehabilitationszentren die Gewebebrücken auch als leistungsfähigere und genauere Prädiktoren erwiesen als die klinischen Ausgangsdaten zur Einteilung der Patienten in Untergruppen mit ähnlichen klinischen Ergebnissen. Dr. Pfyffer betont, wie wichtig es ist, dass die Modelle zur Vorhersage der Genesung reproduzierbar und auf neue Patienten verallgemeinerbar sind. Insbesondere wurden die Studienergebnisse in den einzelnen Querschnitt-Patientenkohorten der drei Zentren mit ihren demografischen und klinischen Unterschieden validiert. „Unsere Modelle und Ergebnisse können auf andere Patientenkohorten übertragen werden und sind für alle Querschnittgelähmten-Zentren, MRT-Scanner und Personen, die die Messungen durchführen und beurteilen gültig.“ Damit ist der Grundstein für eine erfolgreiche Anwendung von Gewebebrücken zur verbesserten Durchführung von multizentrischen Interventionsstudien gelegt.
In dieser wegweisenden Bildgebungsstudie wurden die Fortschritte der Genesung beim Spitalaustritt des Patienten etwa drei Monate nach der Verletzung und bei der Nachuntersuchung nach zwölf Monaten untersucht. Dadurch konnte die Studie überzeugende Beweise dafür liefern, dass Gewebebrücken im Rückenmark mit kurz- und langfristigen klinischen Verbesserungen einhergehen, was die breite klinische Anwendbarkeit des Studienansatzes unterstreicht. Die Studie zeigt das unglaubliche Potenzial von Gewebebrücken zur Optimierung der klinischen Entscheidungsfindung, der Patientenberatung und der Planung von Querschnitt-Studien, wenn die Gewebebrücken routinemäßig als Teil der klinischen Versorgungsstandards erfasst werden. Sie ist ein weiterer Schritt bei der Entwicklung spezifischerer Rehabilitationsprogramme und individualisierter Behandlungsstrategien für Menschen mit einer Rückenmarksverletzung.
Über die beteiligten Rehabilitationszentren
Die Patienten dieser multinationalen Studie wurden in der Universitätsklinik Balgrist, Zürich (Schweiz), im BG Traumazentrum, Murnau (Deutschland) und im Craig Hospital, Denver (USA) behandelt. Diese renommierten Trauma- und Rehabilitationskliniken haben es sich zur Aufgabe gemacht, die medizinische Forschung voranzutreiben und durch innovative Studien und klinische Anwendungen die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern. Ihr Expertenteam ist bestrebt, neue Ansätze für die Diagnose, Behandlung und Rehabilitation von Rückenmarksverletzungen zu entwickeln.
Zur Originalpublikation geht es hier: The Lancet Neurology
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