Gefahr von Dekubitus am Gesäß: Druckkontrolle mit fühlenden Händen

Es muss nicht immer High-Tech sein. Markus Maria Stübner ist Ergotherapeut an der Werner Wicker Klinik, die auf Querschnittlähmung spezialisiert ist. Er plädiert bei der Prophylaxe von Dekubitus auch für die Verwendung der Hände als Messinstrument. „Das sorgfältige Fühlen mit den Händen zwischen dem Gesäß des sitzenden Rollstuhlfahrers und dem Sitzkissen“ könne „auch durch eine computerunterstützte Sitzdruckmessung nicht ersetzt werden.“

Eine Hand, zwischen Kissen und Po geschoben, kann ein gutes Messinstrument sein, um Punkte mit übermäßiger Druckbelastung zu finden.

Technikfeindlichkeit kann man dem Therapeuten nicht unterstellen – immerhin ist er auch Maschinenbau-Ingenieur. Er hat eine „Broschüre über das Verbessern der Druckbelastung bei der Verwendung handelsüblicher Sitzkissen“ herausgegeben. Die Frage, wie bei rollstuhlnutzenden Menschen mit Querschnittlähmung das Dekubitusrisiko am Gesäß verringert werden kann, ist sein Thema.

Dabei widmet er sich u.a. der Frage, wie etwaige Risikostellen für Dekubitus rechtzeitig erkannt, beziehungsweise verhindert werden können.

Dekubitus: Risikofaktoren

Seiner Erfahrung nach ist eine Dekubitus-Gefahr am Gesäß gegeben, wenn

  • punktuell ein zu hoher Druck herrscht, was durch Hautrötungen und/oder (bei inkompletter Querschnittlähmung) durch Schmerzen oder Brennen erkennbar ist,  
  • ein starker Beckenschiefstand besteht, wodurch eine Gesäßhälfte (Sitzbein und Trochanter) erkennbar einen zu hohen Druck erfährt, oder
  • der Oberkörper seitlich schlecht ausbalanciert ist, der Nutzer im Rollstuhl also immer zu einer Seite zu fallen droht und auf dieser Seite dann auch mehr Druck entwickelt.
Ergotherapeuth Stübner plädiert für den Einsatz fühlender Hände.

Das sorgfältige Fühlen mit den Händen zwischen dem Gesäß des sitzenden Rollstuhlfahrers und dem Sitzkissen sieht er dabei als zentralen Bestandteil der Bemühungen um eine Verbesserung. Auch eine computerunterstützte Sitzdruckmessung könne sie nicht ersetzen.

Die Kontrolle kann gut im heimischen Umfeld durchgeführt werden, beispielsweise von nahen Angehörigen, Freunden, anderen Assistierenden oder dem Therapeuten. Zum einen ist für sie eine engmaschigere, häufigere Überprüfung möglich – zum anderen stehen die Obengenannten dem querschnittgelähmten Menschen schlichtweg näher.

Stübner schreibt: „Ein häufiges Manko von Maßnahmen, die Mitarbeiter von Sanitätshäuser erbringen, ist auch, dass sie den Rollstuhl-Nutzer nicht wirklich anfassen und insbesondere nicht die Hände zwischen das Gesäß und das Sitzkissen schieben, um zu erfühlen, an welcher Stelle denn nun ein zu hoher Druck herrscht und welche Formgebung das Kissen unter dieser Stelle hat. Ohne eine derartige Kontrolle … bleibt der Erfolg jedoch ein Glücksspiel. Bei diesem Thema ersetzen die fühlenden Hände tatsächlich die Augen; den herrschenden Druck kann man nicht sehen aber ausreichend genau fühlen.“

Regelmäßige Kontrolle der Haut

Die regelmäßige Kontrolle der Haut auf Rötungen hin bleibt jedoch die Basis jeder Dekubitus-Prophylaxe. Betroffene sollten sie in keinem Fall vernachlässigen. Bei leichten (!) Veränderungen der Haut, deren Ursache nicht gut eingeschätzt werden kann, rät der Fachmann unter anderem dazu, das Sitzkissen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu optimieren, die übliche Sitzdauer zu verkürzen, ausgedehnte Entlastungspausen im Liegen einzuplanen und die Sitzintervalle erst „im Einklang mit den Ergebnissen der Hautkontrolle schrittweise“ wieder zu erhöhen.

Zeigen sich trotz dieser Maßnahmen keine Verbesserungen, „sollte nicht zu lange damit gezögert werden, einen Arzt oder die Ambulanz einer Klinik aufzusuchen, die mit der Behandlung von Dekubiti vertraut ist“, rät Stübner eindringlich. Werden stärkere Hautveränderungen oder sogar ein Dekubitus festgestellt, sollten Betroffene ohnehin sofort einen Arzt zu Rate ziehen.  

Am anatomischen Modell demonstriert Stübner, an welcher Stelle die Hand unter das Becken geschoben werden sollte.

Hilfsmittel für den Handcheck

Die Suche nach Stellen mit hoher Druckbelastung fällt leichter, wenn dafür die Hände in gleitfähigem Stoff stecken. „Da kann improvisiert werden, mit dem Gleitfähigsten, was greifbar ist“, schreibt Stübner. „Wenn so eine fühlende Kontrolle von Hand häufiger durchgeführt werden soll, kann man aus Fallschirmseide, Fliegerseide oder anderem sehr gleitfähigem Stoff längliche Beutel nähen, die die ganze Hand bis zur Mitte der Unterarme locker umhüllend aufnehmen. Separate Umhüllungen der Daumen oder anderer Finger sind nicht nötig.“

Tipp: Sogenannte Gleithandschuhe gibt es auch fertig zu kaufen. Einige Hilfsmittel-Hersteller, beziehungsweise -Kataloge haben unterschiedliche Modelle im Angebot.

Die Gleithandschuhe finden nicht nur zur Druckkontrolle Verwendung. Sie erleichtern es ebenso, den Befüllungsgrad einiger Sitzkissen-Typen (z.B. Luftkammer-Kissen) zu überprüfen. Und sie können auch dabei helfen, unerwünschte „Textilknubbel“ und Falten zwischen dem Körper eines Querschnittgelähmten und der Sitz-, beziehungsweise Liegefläche glattzustreichen.


Der Text dieses Beitrags wurde in großen Teilen nahezu wörtlich aus der genannten Broschüre von Markus Maria Stübner übernommen. Die Redaktion von Der-Querschnitt.de dankt ihm herzlich dafür, dass er unseren Leserinnen und Lesern die Ergebnisse seiner Arbeit zur Verfügung stellt.

Die Broschüre, der separate Foto-Anhang und der dazugehörige bebilderte schriftliche Vortrag sind online erhältlich. Stübner unterhält eine Informationsseite mit Blog zum Thema Rollstuhlkissen: Rollstuhl-und-Sitzkissen.de.


Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Die genannten Produkte, Therapien oder Mittel stellen keine Empfehlung der Redaktion dar und ersetzen in keinem Fall eine Beratung oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch medizinische Fachpersonen.
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