Leben mit Querschnittlähmung: Bewegungstraining für mehr Lebensqualität

Bernhard Kähny ist seit einem unverschuldeten Unfall im September 1987 querschnittgelähmt. Der 67-Jährige pflegt seine physische und psychische Gesundheit mit regelmäßigem Mobilitätstraining in der Gesellschaft Gleichgesinnter.

Im Gesundheitszentrum der Manfred-Sauer-Stiftung im nördlichen Baden-Württemberg findet jeden Donnerstag ein offenes Mobilitätstraining statt, bei dem Rollstuhlfahrer und Fußgänger mit Querschnittlähmung willkommen sind.

Wöchentliches Mobilitätstraining: Begleitet von erfahrenen Trainern

Bernhard Kähny ist begeisterter Teilnehmer des wöchentlichen Mobilitätstrainings, zu dem gewöhnlich sechs bis zwölf Mitstreiter erscheinen. Das Training ist in drei Abschnitte unterteilt. Aufwärmen, Oberkörpergymnastik und am Ende ein Spiel, z.B. Eimerball.

Kähny sagt: „Dieses Spiel ist magisch! Es lässt einen alles vergessen. Jeden Schmerz, alle guten Vorsätze, dass man ja eigentlich hätte, vorsichtig sein wollen. Im Spiel gibst du alles und gehst an deine Grenzen und darüber hinaus.

Die Verletzungsgefahr ist da natürlich gegeben, aber der Hallenboden in der Manfred-Sauer-Stiftung ist ja speziell für den Rollstuhlsport gedacht und daher weicher und gefederter als der Boden in normalen Sporthallen. Zudem wird man ja die ganze Zeit von einem oder zwei Trainern oder Trainerinnen, ausgebildeten Sportökonomen, begleitet, die einschätzen können was man mit der eigenen Läsionshöhe machen kann und was nicht. So bleibt einem Überanstrengung und Enttäuschungen erspart, denn die Trainer passen Übungen so an, dass jeder im Rahmen seiner Fähigkeiten mitmachen und den optimalen Nutzen daraus ziehen kann.

In der Begeisterung des Spiels, kann es auch schon mal vorkommen, dass man an den anderen rollt und sich anrempelt, aber immer ist da ein respektvoller Umgang gegeben. Und diese Umgangsformen machen auch Mut und geben Kraft.“

„Die Interaktion mit anderen Rollstuhlfahrern ist so wichtig, weil man Beispiele sieht, wie Probleme gelöst werden können. Etwas auf das man alleine vielleicht gar nicht gekommen wäre. Schritte in diese Richtung sind enorm wichtig für die Lebensqualität im Alltag. Da werden einem ganze Lebensjahre geschenkt und neue Impulse vermittelt.“

Das schöne an dem gemeinsamen Training ist für Kähny neben der Freude an der Bewegung auch Interaktion mit Menschen derselben Anspruchsgruppe.  „Alle haben ja ähnliche Voraussetzungen, da muss man sich gar nicht benachteiligt fühlen. Und das hört auch nicht nach dem Spiel auf. Nach dem Training gehen wir in der Stiftung etwas trinken oder essen.“ Kähny lacht. „Das Training soll ja eigentlich etwas für die Gesundheit tun, aber wenn man direkt aus der Halle hier ins Restaurant rollt, hat es sich was mit dem positiven Einfluss auf das Gewicht. Aber der psychische Aspekt der Gemeinschaft und des Zusammenseins ist halt auch wichtig.“

Der Vergleich mit anderen kann sehr motivierend sein

Ebenfalls ein wichtiger Aspekt, kann der Vergleich mit anderen sein.„Man lernt hier auch ganz viel von den Beispielen anderer. Man sieht wie andere mit einem ähnlichen Lähmungsniveau etwas können, von dem man gedacht hat, dass man selbst das nie hinkriegt, bei dem man vielleicht Angst hatte, es zu versuchen. Und dann sieht man, wie andere es einfach machen! Das kann natürlich enorm motivieren, diese Bewegungen selber auszuprobieren und entsprechend zu üben.“

Der Sport hilft die Diagnose zu akzeptieren

Der Sport war für Kähny von Anfang an ein wichtiger Aspekt seiner Rehabilitation, und er half ihm den Schock der Diagnose zu überwinden.

„Als ich nach dem Unfall im Krankenhaus lag, dachte ich mein Leben sei vorbei. Ich dachte an all die Dinge, die ich nicht mehr tun konnte, nie mehr würde tun können… Ich stellte mir das so vor, dass ich von irgendjemand auf den Sportplatz gekarrt werden, wo ich nicht sein will, aber nicht weg kann, bis mich dieser jemand wieder abholt. Dann bringt der mich Heim und stellt mich im Schlafzimmer ab und das jeden Tag für den Rest meines Lebens.“

Öffentliches Mobilitätstraining: Jeden Donnerstag von 16:00 bis 17:30 Uhr (außer an Feiertagen)


Oberkörpergymnastik sowie gezieltes Üben von Fahrtechniken mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden bilden die wichtigsten Säulen einer Trainingseinheit. Geübt wird auf dem Rollstuhl-Parcours sowie auf dem Freigelände und in der Sporthalle. Das Ziel des Mobilitätstrainings ist, eine optimale Nutzung des Rollstuhls in verschiedenen Alltagssituationen zu vermitteln und den persönlichen Aktionsradius zu erweitern. Verschiedene Sportspiele runden den Kurs ab.

Der Kurs ist auf Menschen mit unfall- bzw. krankheitsbedingter sowie angeborener Querschnittlähmung (Para- und Tetraplegie) abgestimmt.

Die Teilnahme ist kostenlos; eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Kein sehr erbaulicher Gedanke für Kähny. Zum Glück hatte er mit der Realität nichts zu tun, denn… „Dann kam Heini Köberle von einer Meisterschaft aus Neuseeland zurück und zum Training auf das Klinikgelände. Was ich da gesehen habe, war der Wahnsinn. Ich konnte es gar nicht fassen, wie fit, wie beweglich die waren. Und alle gaben ihr bestes, denn es ging um die Qualifizierung für Paralympics in Seoul. Von da an war es vorbei mit meinen negativen Gedanken. Ich hatte gar keine Zeit mehr dazu, ich musste ja trainieren.“

Schon 1988 trainierte Kähny für die Weltmeisterschaften; und das in nicht wenigen Disziplinen. Im Diskuswerfen, Kugelstoßen und Rennrollstuhlfahren kann Kähny Erfolge zählen; 1993 errang er im (Pferde-) Wagenfahren eine Goldmedaille.

Begegnungen suchen

Wer Bernhard Kähny kennt, kann ohne jeden Zweifel bestätigen, dass er ein glückliches, aktives, unabhängiges und erfolgreiches Leben führt. Sein Rat an alle Betroffenen: „Sucht die Begegnung mit anderen Leuten mit und ohne Querschnittlähmung. Denn nur Aktion bringt Satisfaction. Aber wenn ich sehe, was andere können und machen – mit Querschnittlähmung – kann das eine ungeheure Motivation sein. Und im Gespräch mit anderen kann man auch auf Lösungen kommen, die einem so nie eingefallen wären.“


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