Leben mit Querschnittlähmung: „Der Rollstuhl ist das Schlimmste, was dir passieren kann.“

André D. ist seit einem Autounfall vor 25 Jahren inkomplett querschnittgelähmt. Mit dem Dating und der Liebe hat der inzwischen 45-jährige Tetraplegiker so seine Erfahrungen gemacht und empfindet den Rollstuhl als klaren Nachteil.

Eigentlich kommt André D. trotz einer Lähmungshöhe von C6/C7 – bis auf eine Haushaltshilfe, die ihn zweimal die Woche unterstützt – im Alltag gut alleine klar. Er braucht keine persönliche Assistenz, hat ein Auto, das ihn von A nach B bringt, spielt zweimal in der Woche Boule und findet seine Erfüllung bei täglichen Online-Computerspielen alleine oder im Team mit anderen Zockern. Ein Tagesablauf, der nicht vor 11 Uhr beginnt, und mit dem der gebürtige Schweriner eigentlich ganz zufrieden ist. Nur mit der Liebe hapert es in seinem Leben. „Ich wünsche mir Schmetterlinge im Bauch“, sagt der 45-Jährige und berichtet von seinen Versuchen die Liebe via Online-Dating zu finden.

Als der damals 21-Jährige 1998 mit dem Auto verunglückte, war er zwar in einer Beziehung, doch sie zerbrach schnell und D. suchte zunächst über Zeitungsanzeigen nach einer neuen Freundin. „Zu der Zeit dachte ich noch, ich muss jede nehmen, die mich will. Ich sank echt auf das tiefste Niveau; das kann man sich nicht vorstellen. Aber ich kann nicht lange so tun als ob. Wenn ich eine Frau optisch nicht überzeugend finde, dann geht das einfach nicht.“

Vorsicht vor Fake-Accounts

Als in den Nullerjahren Online-Partnerbörsen aufkamen, nutze D. auch diese Möglichkeiten und ist inzwischen auf so ziemlich jeder verfügbaren Plattform und App aktiv. Der entscheidende Vorteil hierbei ist, dass man die eigenen vier Wände nicht verlassen und (meist) auch nicht erst raten muss, ob jemand Single ist oder nicht. Anstrengend ist diese Art der Partnersuche jedoch auf ihre eigene Art. „Da sind all diese Fake-Accounts mit Bildern von Models und wenn dich jemand mit ‚Sie‘ und ‚Wie geht es Ihnen?‘ anschreibt, dann weißt du schon, dass das jemand ist, der mit Übersetzter gearbeitet hat und da irgendein krummes Ding dahintersteckt. Aber mit echten Frauen ist es auch nicht einfacher. Da stellt man Fragen und die Frau antwortet auch brav, aber es kommen keine Fragen zurück, die du beantworten kannst. Das Gespräch ist dann vorbei, wenn du aufhörst Fragen zu stellen. Da merkt man schon, ob jemand wirklich Interesse an dir gehabt hat oder halt nicht.“

Schon lange macht D. nicht mehr (oder nur noch selten) den ersten Schritt. „Ich warte jetzt, bis die Frauen auf mich zukommen. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen einfach nur aus Höflichkeit antworten, obwohl für sie ein Rollstuhlfahrer gar nicht in Frage kommt. Und dann investiert man da ganz viel Zeit und Mühe und zu einem Treffen kommt es trotzdem nie. Wenn aber eine Frau dich anschreibt, obwohl sie über den Rollstuhl Bescheid weiß, dann kannst du sicher sein, dass sie es ernst meint.“

Der Rollstuhl als Nachteil beim Online-Dating

Nichts macht Männer in Augen von Frauen unattraktiver als ein Rollstuhl, davon ist D. aufgrund schmerzhafter Erfahrungen in der Vergangenheit überzeugt. „Der Rollstuhl ist das Schlimmste, was dir passieren kann. Sogar auf so Seiten wie Handicap-love.de gibt es nichts Schlimmeres. Die ganzen anderen Behinderten oder Leute mit chronischen Krankheiten, die reißen da eher was als ich. Oder es melden sich auch da Frauen, die einfach nicht passen.“

Auf die Frage, ob es denn wirklich am Rollstuhl läge, antwortet D.. „Ja! An was soll es denn sonst liegen? Mein Profilbild scheint gut anzukommen – da bekomme ich Likes und Matches angezeigt – aber wenn dann offensichtlich wird, dass ich im Rollstuhl bin, werden aus Likes ganz schnell Dislikes. ‚Du wärst der perfekte Mann, wenn der Rolli nicht wäre.‘ Das hat mir mal eine Freundin gesagt, mit der ich in einer On/Off-Beziehung war. Mit der hätte es geklappt, wenn ich nicht querschnittgelähmt wäre. Das ist sehr hart, wenn man das hört. Und ich frage mich wirklich, was soll ich denn machen? Am Rollstuhl kann ich nichts ändern. Und dann wird das mit der Liebe in diesem Leben nichts mehr.“

Trotz dieser harten Prüfung für sein Selbstwertgefühl, gibt D. die Hoffnung nicht auf. Er bemerkt aber auch, dass sich die Ansprüche an potenzielle Partner in den letzten Jahren verändert haben. „Heute steht in ganz vielen Profilen als Interesse ‚Reisen‘ oder so. Da kann ich nicht mithalten. Außerdem wünschen Frauen sich ja auch Männer, die sie beschützen, an die sie sich anlehnen können. Sie wünschen sich Männer, zu denen sie aufblicken können. Ich bin zwar selber 1 Meter 80, aber weil ich ja ständig sitze, hebt sich das wieder auf. Und ich kann natürlich auch nicht beim Umzug helfen oder einen Schrank aufbauen.“ Dafür hat D. anderes zu bieten. „Ich bin sehr loyal, offen und ehrlich. Man kann mit mir über alles reden. Egal wie peinlich das Thema sein mag, ich bin da und höre zu. Und ich lege großen Wert auf Respekt. Niemals würde ich auf die Idee kommen, eine Frau, in die ich mich rein optisch nie verlieben könnte, für einen One-Night-Stand auszunutzen. Da bin ich mit anderen Werten erzogen worden!“

Sexualassistenz für Menschen mit Behinderungen

Sollte Menschen mit Behinderungen ein Recht auf die Kostenübernahme von Sexualassistenz haben? „Ja“, findet D., der seit fast sieben Jahren keine Beziehung mehr hatte. „Behinderte haben es ja viel schwerer eine Partnerin zu finden. Der Rollstuhl schießt dich da echt ins Aus und an Erwachsenenfilmen hat man sich irgendwann sattgesehen.“ Da sich aufgrund seiner eingeschränkten Handfunktion auch die Masturbation schwierig gestaltet, wünscht sich D. regelmäßige Besuche von professionellen Sexarbeiterinnen. Vor etwa einem Jahr hätte er einen solchen Service zuletzt in Anspruch genommen, da er keine andere Möglich sah, seine Bedürfnis nach körperlicher Nähe zu stillen. Eine Dauerlösung könne er wegen seiner finanziellen Situation allerdings nicht daraus machen, denn… „das kann sich ja echt keiner leisten, was die verlangen.“

Im Hinblick auf die seelische Belastung, die er bei dem Arrangement durchaus sieht, fügt D. hinzu: „Es ist kein tolles Gefühl zu wissen, dass die Frau nur da ist, weil du sie bezahlst. Und richtig erfüllend ist die Begegnung auch nicht, da ich es ohnehin schwer habe zum Höhepunkt zu kommen und in Verbindung mit einem Kondom und dem Zeitdruck – sie bleibt ja keine Minute länger als die gebuchte Stunde – geht es gar nicht. Es geht für mich nur darum Erinnerungen zu schaffen.“

Die Hoffnung auf eine Partnerschaft gibt D. indes nicht auf. „Klar ist das alles sehr entmutigend, was in den letzten Jahren passiert ist. Aber ich hatte ja auch mal Glück. Ich hatte online meine Traumfrau gefunden.“ Die Beziehung hielt ein Jahr und war die beste, die D. je hatte. „So verliebt möchte ich nochmal sein.“ Und weil es ja schon einmal geklappt hat, mit der großen Liebe, gibt er die Hoffnung nicht auf. Seine Ansprüche möchte er dabei nicht herunterschrauben. „Wenn es nur darum ginge nicht alleine zu sein, dann hätte ich die ganze Zeit jemanden haben können. Aber nur eine Zweckgemeinschaft, das reicht mir nicht. Ich möchte die Schmetterlinge im Bauch.“

So klappt es mit dem Online-Dating


D. hat drei wichtige Tipps für Menschen mit Querschnittlähmung, die es auch mit Online-Dating-Apps versuchen möchten:

1. Sich auf Ablehnung gefasst machen.
„Um mit der Ablehnung umgehen zu können, die man online erfährt, braucht man ein dickes Fell. Wenn 99% der Frauen, die du gut findest, dich ablehnen, dann ist das echt hart. Man darf das dann einfach nicht persönlich nehmen, denn man weiß ja, woran es liegt.“

2. Möglichst viele Angeln ins Wasser halten und warten bis der richtige Fisch anbeißt.
„Auf je mehr Plattformen und Apps man unterwegs ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man die Nadel im Heuhaufen findet. Dass nimmt zwar schon eine Menge Zeit in Anspruch, aber das muss es einem wert sein.“

3. Von Anfang an ehrlich sein.
„Der Rollstuhl gehört auf jeden Fall in die Profilbilder. Es bringt nichts tage- oder wochenlang mit einer Frau nett zu schreiben und irgendwann dann sagen zu müssen: ‚Ach übrigens. Es gibt da ein kleines Problem. Ich bin im Rollstuhl.‘ Da sind 99,9% der Frauen weg. Sie soll besser schon die Chance haben, von Anfang an zu wissen, auf was sie sich einlässt.“

Siehe auch:

Fisch sucht Handbike – Singlebörsen und Flirtportale für Menschen mit Behinderung


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