Leben mit Querschnittlähmung: „Meditation kann ungemein hilfreich sein.“
Seit einem Rückenmarksinfarkt im Sommer 2024 ist Sandra Seidenberg inkomplett querschnittgelähmt. Die neuropathischen Schmerzen und Missempfindungen bewältigt die 55-Jährige u.a. mit Akupunktur und Meditation.

Nach dem Rückenmarksinfarkt trafen Sandra Seidenberg die Konsequenzen der Querschnittlähmung auf vielen Ebenen. Die Altenmünsteranerin aus dem Kreis Augsburg konnte bei einer Lähmungshöhe von Th 8-10 (motorisch inkomplett) zwar ihre Gehfähigkeit wiedererlangen und auch die Blasenfunktion ist erhalten, doch das Darmmanagement stellt ein Problem dar. Die größte Einschränkung sind allerdings die neuropathischen Schmerzen und Missempfindungen, die ihren Tagesablauf diktieren.
Seidenberg sagt: „Es fühlt sich an, wie Strom in den Beinen oder wie das Laufen auf Nadeln. Dann ist da eine ringförmige Enge im Rumpfbereich, die mich zuschnürt. Mein Körper unterhalb der Lähmungsstelle kommt irgendwie nie zur Ruhe, und besonders schlimm ist es nach einem langen, anstrengenden Tag. Das ist sehr belastend, auch wenn es für Außenstehende so aussieht, als ginge es mir schon wieder ganz gut. Sie sehen, dass ich laufen kann. Da denken viele, man sei gar nicht querschnittgelähmt. Niemand sieht, unter welcher Kraftanstrengung das geschieht und wieviel mich das kostet. Meinem Beruf als Personalreferentin kann ich noch nicht wieder nachgehen, denn der stressige Berufsalltag ist nach wie vor zu viel für mich.“
Überbeanspruchung verschlimmert die Schmerzen
Beim Ankommen in ihrem neuen Leben helfen Seidenberg die Informationen auf Der-Querschnitt.de: „Vor allem in der Akutphase fühlte ich mich verloren und hatte so viele Fragen. In der Klinik konnte man mir diese nur unzureichend beantworten. Aber auf Der-Querschnitt.de habe ich so viele Informationen gefunden. Und natürlich auch den Kontakt zu Karin Prock (siehe: Leben mit Querschnittlähmung: Alleine nach Rückenmarksinfarkt), die wie ich, nach einem Rückenmarksinfarkt querschnittgelähmt ist und wie ich wieder gehen kann. Dass sie ihrem Hobby, dem Wandern nachgeht, hat mich beflügelt und mir Hoffnung gegeben.“
„Es hat mir viel gebracht, dass ich meine Fragen jemandem stellen konnte, der genau weiß, wie ich mich fühle. Aber sie geht, wie ich ja auch, unter Anstrengung, und eine Überbeanspruchung verschlimmert die Schmerzen.“
Medikation, Meditation und Akupunktur

Gegen diese Schmerzen erhält Seidenberg von Anfang an eine bestimmte Medikation, die auch in der Dosierung angepasst wurde. Eine dauerhafte Lösung sind die Medikamente allerdings nicht. Regelmäßig unterzieht Seidenberg sich Akupunkturbehandlungen bei einer chinesischen Ärztin. Sie stellt stets eine Verbesserung fest – leider hält diese immer nur für ca. zwei Tage an.
Eine weiteres wichtiges Puzzlestück hin zu einem guten Leben mit Querschnittlähmung ist regelmäßige Physiotherapie, ergänzt durch regelmäßige Besuche beim Osteopathen. Nicht nur wegen den Übungen und Behandlungen an sich, sondern auch weil Seidenberg hier wichtige Impulse für ihren weiteren Weg fand.
„Über meinen Osteopathen habe ich den Bezug zum Buddhismus und zur Meditation gefunden. Schmerzen sind den ganzen Tag lang – mal stärker und mal schwächer – mein ständiger Begleiter. Nur während ich meditiere, verspüre ich keine Schmerzen. Meist meditiere ich abends, wenn ich nach dem langen Tag die Belastung als besonders hoch empfinde. Das hilft sehr. Und ich finde auch nur so einen ruhigen Schlaf.“
Richtiges Meditieren muss erlernt werden
„Am Anfang war ich schon skeptisch, denn in meinem bisherigen Leben hatte ich keine Berührung zu Buddhismus oder zur Mediation gemacht. Wenn mich ein Thema interessiert, lese ich viel darüber und ziehe, wenn möglich Informationen für mich heraus über Dinge, die ich im Alltag praktizieren kann. Was in den Büchern, die ich bisher über Buddhismus gelesen habe, steht, ist etwas ganz Grundsätzliches, das ich gut annehmen und für mich einbauen kann.“
Doch grau ist alle Theorie, weshalb Seidenberg ein Seminar im Allgäu buchte und von dem sie hellauf begeistert ist.
„Das Seminar im Buddha-Haus der Nonne Ayya Khema (†1997) hat mir alle Vorurteile genommen. In den fünf Tagen dort habe ich etwas erlebt, die mich ganz schön geprägt hat. Der achtsame Tagesablauf und auch die vegane Ernährung waren neu für mich, sind aber auf jeden Fall etwas, das ich jetzt versuche in mein Leben zu integrieren.“
Darüber, dass Seidenberg gesundheitliche Einschränkungen hat, waren die Seminarleiter informiert. Sie machte Übungen im Sitzen z. B. mit ausgestreckten Beinen und nicht im Schneidersitz, da für letzteres nicht ausreichen Rumpfstabilität vorhanden ist. Eine Variante der Meditation, die Seidenberg besonders beeindruckte, war die Gehmeditation.
Gehmeditation
„Oft stellt man sich ja vor, dass man bei einer Meditation regungslos dasitzen muss. Aber tatsächlich geht es beim Meditieren um die Achtsamkeit, mit der man Dinge tut. Bei der Gehmeditation geht man ganz bewusst – eigentlich in Zeitlupe – in die Schrittbewegung. Man spürt jeden Schritt, jede Muskelkontraktion. Es war fast ein magisches Erlebnis: Die Meditation findet morgens um 6 Uhr im Freien statt. Die Sonne geht auf, die Berge werden in warmes Licht getaucht. Die Vögel läuten den Tag ein. Das ist unfassbar schön.
Dann war da die Sitzmeditation, die in völliger Stille gemacht wird. Jeder ist in sich verankert in der inneren Ruhe. Ohne Anleitung ist das Meditieren, meiner Meinung nach, eher schwer. Wie soll man denn wissen, ob man es richtig macht, wenn man nicht nachfragen kann? Ich hatte Glück, dass man mir so gut gezeigt hat, wie das richtig funktioniert. Zuhause habe ich dann das Gästezimmer in einen Meditationsraum umgewandelt.
Was das Meditieren bringt
Den größten Vorteil sieht Seidenberg in der veränderten Denkweise, die ihr eine positive Beziehung zwischen Geist, Körper und Umfeld ermöglicht. „Ich werde friedvoller“, sagt sie, „und dankbarerer für das, was ich habe. Ich konzertiere mich nicht mehr so sehr auf den Verlust. Das hilft mir diese Situation hinzunehmen. Bei der Meditation geht es darum etwas so anzunehmen, wie es ist. Ich darf mich nicht gegen die Schmerzen stellen. Ich muss sie fühlen und zulassen. Erst dann bin ich auf einer Ebene, die es mir erlaubt den nächsten Schritt zu gehen. Ängste und Ärger gegen den Schmerz sind kontraproduktiv. Sie rauben Energie und versetzen mit in eine enorme Stresssituation.
Mit der Meditation bleibt mir mehr Energie für die positiven Dinge im Leben. Ich bin gelassener, kann besser Entscheidungen treffen. Auch die Atmung wird verbessert und ich habe den Eindruck besser mit Sauerstoff versorgt zu sein. Ich bin ganz einfach in einem Gemütszustand, der mich klarer nach vorne schauen lässt.“
„Ich will gesund werden“, resümiert Seidenberg. „Da probiere ich einiges. Ich bin 55 Jahre alt und hab noch mehr vor in meinem Leben. Von dem Rückenmarksinfarkt lasse ich mich auf keinen Fall aufhalten.“
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