Leben mit Querschnittlähmung: Querschnittgelähmt nach Rückenmarksinfarkt
Karin Prock ist nach einem Rückenmarksinfarkt inkomplett querschnittgelähmt. Was die Mobilität angeht, erlebt die Vorarlbergerin so gut wie keine Einschränkungen mehr, doch andere Aspekte der Querschnittlähmung machen ihr sehr zu schaffen.

Ein Rückenmarksinfarkt nimmt unter den Ursachen für Querschnittlähmung eine Sonderstellung ein, da er u. U. nicht sofort als solcher zu erkennen ist – anders als bei einer z. b. unfallbedingten Verletzung der Wirbelsäule, bei der i.d.R. sofort untersucht wird, ob das Rückenmark in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Auch bei Karin Prock, die 2015 einen Rückenmarksinfarkt erlitt, wurde zunächst ein orthopädisches Problem diagnostiziert. Die gelernte Krankenschwester erzählt: „Ich war bei der Arbeit, als ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte extremes Herzrasen, meine Knie gaben nach und meine Muskeln fühlten sich an, als hätte ich Muskelkater.“ Atmung und Puls normalisierten sich zunächst dadurch, dass Prock sich hinsetzte, doch das Lähmungsgefühl in den Beinen nahm zu und der Notarzt wurde alarmiert. „Am Anfang ging man von einem schweren Bandscheibenvorfall aus. Doch dann konnte ich gar nicht mehr aufstehen und auch nicht mehr urinieren. Deshalb wurde ich am selben Abend noch in die Neurologie verlegt.“
Nach verschiedenen Untersuchung, u. a. einer Lumbalpunktion und mehreren MRTs, wurde schließlich eine betont linksseitige Schwellung im Rückenmark im Bereich des Conus medullaris Th12 und L1 erkannt und eine Durchblutungsstörung festgestellt. „Ich erlebte auch den spinalen Schock“, sagt Prock, „aber er hielt zum Glück nur wenige Stunden an und ich war in der Neurologie gut versorgt. Nach der Diagnose Rückenmarksinfarkt war aber natürlich klar, dass ich in einer Spezialklink rehabilitiert werden musste.“
Rehabilitation im Querschnittgelähmten-Zentrum
Neun Wochen wartete Prock auf einen Platz im Querschnittgelähmten-Zentrum Bad Häring, sechs davon im Krankenhaus ihrer Erstaufnahme und drei in einer Tageseinrichtung mit behindertengerechter Betreuung. Über ihre Rehabilitation sagt sie: „Die Rehaklinik ist sensationell! Von Anfang an arbeitet ich hart an meiner Gehfähigkeit – mit Physiotherapie, Aquagymnastik und Gangschule und Craniosacral-Therapie… Und ich hatte großes Glück! Nach dreieinhalb Monaten wurde ich aus der Reha entlassen. Mit teilweise wiederhergestellter Gehfähigkeit. Zunächst brauchte ich noch zwei Gehstöcken, aber dank ambulanter Physiotherapie und harter Arbeit zuhause, konnte ich auch diese bald in der Ecke stehen lassen. Leider ist die Mobilität ja nicht das Einzige, was von einer Querschnittlähmung beeinflusst werden kann.“
Die Konsequenzen des Rückenmarksinfarkts
Ohne Zweifel hat die erhaltene Mobilität große Vorteile. Eine Wohnraumanpassung war nicht notwendig und im Alltag steht Prock vor erheblich weniger Hürden. Ihren Beruf konnte und kann die heute 64-Jährige allerdings nicht mehr ausüben. „Der Rückenmarksinfarkt war ein so drastischer Einschnitt in meinem Leben; es war danach einfach nichts mehr so wie vorher. Alleine wegen der psychischen Belastung, konnte ich nicht mehr arbeiten. Im Alltag wurde mir als Rentnerin aber trotzdem nicht langweilig. Am Anfang war mein Kalender voll mit Terminen bei Therapeuten und Behördengängen.“ Und Physiotherapie und Fitnesstraining nehmen viel Zeit in Anspruch. Trotzdem gibt Prock zu: „Meine Motivation und Energie haben in den letzten Jahren stark nachgelassen. Deshalb ist die jährliche vierwöchige Reha immer so wichtig für mich, um mich neu zu motivieren. Leider sind diese immer eine große finanzielle Belastung und meine Ressourcen langsam aufgebraucht. Und über die Krankenkasse sind die Wartezeiten sehr lang…“
Die Querschnittlähmung macht ihr in vielerlei Hinsicht zu schaffen: „Stark betroffen sind meine Oberflächen- und Tiefensensibiliät sowie Blasen- und Darmfunktion. Und dann sind da meine chronisch-neuropathischen Nervenschmerzen und Missempfindungen, die mich 24 Stunden am Tag begleiten.“ Letztere belasten Prock besonders. „Es ist schwer zu beschreiben, was passiert, wenn die sensorischen Bahnen verrücktspielen. Ich spüre oft ein Kribbeln in beiden Füßen, ich habe Taubheitsgefühle in den Zehen und manche Muskelpartien unterhalb der Lähmungshöhe fühlen sich oft an, als wären sie aus Stein. Wenn ich dann hin fasse, ist da unter der Hand alles ganz weich – nur in meine Kopf bleibt das Gefühl der Verhärtung. Hinzu kommt ein häufiges Hitzegefühl in den Füßen, als ob sie verbrennen, oder ein Kältegefühl, als ob sie erfrieren. Je nachdem wie es mir an dem Tag geht, belastet mich das mal mehr mal weniger.“
Wie neu geboren mit Craniosacral-Therapie
Verschiedene Medikamente und Therapien konnten die Problematik nicht verbessern. „Ich versuchte alles: neben physiotherapeutischen Maßnahmen nahm ich Schmerzmittel, Muskelrelaxanzien, Psychopharmaka und auch Alternativen wie Cannabis und Weihrauch. Nichts davon half langfristig. Als besonders wohltuend empfinde ich allerdings die Craniosacral-Therapie. Sie ist einfach so entspannend und beglückend. In der Zeit der Behandlung und kurze Zeit danach fühle ich mich wie neugeboren. Leider hält dieser Zustand nicht lange an.“
Erschwerend hinzu kommt, dass ihre Schmerzen und Missempfindungen sehr diffus und schlecht in Worte zu fassen sind. „Wenn man nicht genau erklären kann, was nicht stimmt, ist es schwer Verständnis zu finden – oder eine passende Therapie.“
Ein weiteres großes Thema für Prock, ist die Frage nach dem Älterwerden, denn ein Verlust an Fähigkeiten aufgrund des Alterungsprozesses machen auch vor ihr nicht halt. Wie viele Fußgänger mit Querschnittlähmung fürchtet sie, eines Tages in den Rollstuhl einsteigen zu müssen. „Meine Gelenke werden schwächer und ich habe manchmal Mühe das Gleichgewicht zu halten. Vor allem dann, wenn ich müde bin. Vor allem beide Hüftgelenke werden schneller abgenützt und schmerzen schon seit einiger Zeit.“
Da Procks großes Hobby das Wandern in der schönen Natur Österreichs ist, wäre ein Verlust der Gehfunktion ein schwerer Schlag. „Das Wandern gibt mir so viel. Ich möchte das wirklich nicht missen. Ich muss heute aber viel regelmäßiger und konsequenter trainieren, um mein Beweglichkeitsniveau und meine Ausdauer zu erhalten. Ich denke, das geht vielen Leuten so, wenn sie älter werden. Bei mir kommt aber noch die Querschnittlähmung hinzu.“
Sie ergänzt: „Dadurch, dass ich wandern gehen kann, bin ich für die meisten Menschen gesund. Welche Überwindung es mich oft kostet, welche Beschwerden ich unter dem Gehen habe, ist der Preis den ich dafür zahle, dass ich sie in diesem Glauben lassen möchte. Aber es ist wichtig für mich, darum werde ich wandern, bis es nicht mehr geht!“
Der Wunsch nach Austausch
Prock lebt seit über neun Jahren mit Querschnittlähmung. In all der Zeit hatte sie nie jemanden getroffen, dessen Lage mit der ihren vergleichbar ist. Die Gelegenheit sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, fehlt ihr sehr. „Am Anfang fühlte ich mich so alleine mit der ganzen Thematik. Ich wollte so dringend verstehen, was da passiert ist, was mit mir los ist, was mir helfen kann… Und ich war zornig! Mit meinem sozialen Umfeld habe ich meine Gefühle nie geteilt. Am Anfang war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um großartig Erklärungen abzugeben. Und inzwischen ist es zu spät. Alle denken, dass eine Querschnittlähmung „Rollstuhl“ bedeutet. Da ich keinen brauche, bin ich in den Augen anderer auch nicht querschnittgelähmt. Wenn ich müde bin und mein Gangbild entsprechend schlurfig ist, fragen mich manchmal Leute, ob ich mich verletzt habe. Ich sage dann schlicht „ja“. So ist es einfacher.“
„Es gibt niemanden, der mich wirklich versteht“, sagt sie. „In meinem privaten Umfeld habe ich es ja nie thematisiert – und in der Reha treffe ich zwar immer Menschen, die auch Funktionsstörungen haben, aber sie haben zu einem großen Teil ganz andere neurologische Erkrankungen, wie Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma. Das ist alles gar nicht vergleichbar. Wenn ich jemanden, der wie ich einen Rückenmarksinfarkt hatte, finden könnte, wäre ich sehr dankbar.‘“ Leser, die mit Frau Prock Kontakt aufnehmen möchten, vermittelt die Redaktion gerne weiter.
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