Leben mit Querschnittlähmung: David Kosche liebt die Natur – und will sie für möglichst viele zugänglich machen
Paraplegiker David Kosche glaubt an die Heilkraft der Natur. Nicht in Form von Pillen oder Tinkturen, sondern in ihrer Eigenschaft als frei verfügbares Outdoor-Therapiezentrum: „Es ist egal, ob du eine Zehn-Kilometer-Tour mit dem Handbike machst, oder mit dem E-Rolli zehn Meter durch den Park rollst – Hauptsache, du bist draußen!“

Der gelernte Tischler, Sozialarbeiter, Alpinpädagoge und Wanderführer ist mit seinem manuellen Aktiv-Rollstuhl mit MTB-Reifen und Vorspannrad viel in der Natur unterwegs. „Es gibt so viele schöne rollstuhlgerechte Wanderwege und Ziele! Aber keiner kennt sie.“ Das will er nun ändern.
Der 52-Jährige weiß, wovon er spricht: 2012 hatte Kosche eine Ausbildung zum Behindertenpädagogen gemacht, „nebenher“ war er beim Alpenverein als Übungsleiter Inklusion aktiv, damit möglichst viele Menschen die Berge erleben können. Dazu hatte ihn die querschnittgelähmte Andrea Szabadi-Heine inspiriert, die sich sehr im Alpenverein engagiert, siehe Beiträge Mit dem Handbike über die Alpen: Das Team ROL IT rockt die Berge – Der-Querschnitt.de sowie Transalp: In neun Tagen mit dem MTB-Handbike über die Alpen – Der-Querschnitt.de).
„Jetzt tragen sie halt mich“
In der Alpenvereinsjugend-Sektion Klagenfurt stellte sein Team fortan regelmäßig und in allen Jahreszeiten inklusive Freizeitangebote auf die Beine. „Die Erfahrungen, die ich früher beim Alpenverein gemacht habe, die retten mir heute das Leben …“
Jahrelang war er als Alpinpädagoge und Wanderführer in der Natur unterwegs und durfte miterleben, wie Bäume, Berge und Seen ihre Wirkung auf andere entfalten. „Da hat sich dann plötzlich einer mit Gleichgewichtsstörungen in ein Kajak gesetzt, jemand mit Höhenangst ist 16 Meter hochgeklettert – und eine Frau, die beim Laufen auf eine Dreibein-Gehhilfe angewiesen war, ist mit uns fast drei Stunden durch den Schnee gewandert. Das war menschlich und sportlich echt bewegend.“

Als die Inklusions-Sektion ein Jahr nach seinem Unfall ihr Zehnjähriges feiert, ist Kosche mit dabei. Nicht als Organisator, sondern als Teilnehmer: „Früher habe ich die Leute ins Kajak getragen, heute muss mich jemand tragen. So ist das Leben.“
Naturerlebnis als Mittel gegen die Schmerzen
Seit er durch einen Wegeunfall vor drei Jahren querschnittgelähmt ist, nutzt er die Kraft der Gemeinschaft und des Sports auch für sich. Er leidet unter permanenten starken Nervenschmerzen: „Die sind so stark, da helfen mir nur mehr eingeschränkt meine Medikamente. Darum kann ich auch nicht selbst Autofahren. Aber wenn ich draußen mit Leuten oder allein – beziehungsweise allein mit meiner Assistenz – unterwegs bin und die Natur spüre, treten die Schmerzen in den Hintergrund. Die Natur hat signifikant positive Auswirkungen auf mich. Nicht umsonst gibt es inzwischen Trends wie Waldbaden“. (Für mehr Informationen zu diesem Thema siehe Beitrag Auszeit von Spastik und Schmerzen: Yoga-Waldbaden für Menschen mit Querschnittlähmung – Der-Querschnitt.de)
Wie bringt man Rollstuhlfahrer in die Natur?
Aber wie bringt man die Natur an den behinderten Mann und die behinderte Frau? Barrierefreie Wege gäbe es nach Kosches Einschätzung genug – auch wenn er gegen einen Ausbau weiterer Wanderpfade natürlich nichts hätte: „Ich muss mit meinem Rollstuhl ja nicht auf den Himalaya oder die lange 25-Kilometer-Runde machen. Manchmal reichen schon kleine Maßnahmen, wenn ein Wanderweg zum Beispiel völlig okay und passierbar wäre, wenn da nicht im Mittelteil diese zehn Stufen wären. Würde man die einfach aufschütten, hätten man den nächsten tollen Weg.“
Aber auch die bestehenden Wege werden seiner Einschätzung nach zu selten von Rollstuhlfahrern genutzt. Was nicht unbedingt daran liegt, dass die Rollstuhlfahrer allesamt Stubenhocker sind, sondern vielleicht auch daran, dass man barrierefreie Wege nur schwer findet. Und dass man im Fall der Fälle vorher kaum herausfinden kann, welchen Schweregrad sie haben und mit welchem Rollstuhl man sie noch gut befahren kann. „Es ist es total schwierig, den passenden Weg zu finden. Das ist immer eine ewige Sucherei im Internet“.
Projekt „Gemeinsam am Weg – Team barrierefreie Wege“
Weil jammern nichts nutzt, wurde ein Team der österreichischen Alpenvereinsjugend, zu dem auch Kosche gehört, aktiv. Die Idee: Jeder, der im Internet einen Weg beschreibt, soll auch angeben, mit welchen Hilfsmitteln er die Tour bewältigt hat: E-Rolli? Handbike? MTB-Handbike? Ist er geschoben worden? „Aber zu unserer Idee gehört noch viel mehr, zum Beispiel eine Beschreibung der Anfahrtswege und der örtlichen Infrastruktur“, sagt Kosche.
All diese sehr individuellen Informationen werden gesammelt und erweitert; derzeit sind rund 200 barrierefreie Touren auf der App (externer Link) alpenvereinaktiv zu finden. Das Angebot an Touren soll laufend erweitert werden.
„Wir sind noch ganz am Anfang“, sagt Kosche. „Nun müssen wir schauen, was es schon an Wegen gibt. Und wir müssen Leute motivieren, neue Wege zu finden und öffentlich zu machen. Wir wollen die Idee verbreiten!“
Ein Traum: Inklusive, geführte Wanderungen
Falls es seine zeitlichen und körperlichen Ressourcen zulassen, will Kosche auch wieder als Wanderführer arbeiten und inklusive Wanderungen anbieten, zum Beispiel für Rollstuhlgruppen, aber auch für Menschen mit Demenz oder kognitiven Einschränkungen. „Mir ist das so wichtig, dass die Leute in die Berge oder in die Natur kommen. An einem Bach zu sitzen oder an einem See, eine schöne Aussicht zu genießen, einmal im Wald tief durchatmen und wissen, dass man sich da selber hinbewegt hat, auch wenn es nur ein paar Meter waren – das trägt ungemein zum allgemeinen Wohlbefinden bei.“
Barrierefreie Wanderwege und Hütten der österreichischen Alpenvereinsjugend
Wer Interesse an einer Mitarbeit bei der Suche nach barrierefreie Touren hat, meldet sich bitte bei Solveig Meier. Sie ist in der Alpenvereinsjugend Österreich (AVJ) Projektleiterin von „Alpenverein inklusiv“ und Ansprechpartnerin für Inklusion im Alpenverein: solveig.meier@alpenverein.at.
Hier geht es zu allen barrierefreien Tourentipps: Rollstuhltouren (barrierefrei) • Sammlung » alpenvereinaktiv.comhttps://www.alpenvereinaktiv.com/de/liste/rollstuhltouren-barrierefrei-/112556832/
Zum Weiterlesen zum Thema Inklusion im Österreichischen Alpenverein: Inklusion Alpenvereinsjugend
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