Dating mit Querschnittlähmung: Sex, Drugs und ein bisschen Spastik
Im dritten Teil seiner Beitrags-Reihe „Worüber Rollstuhlfahrer ungern sprechen“ plaudert Tetraplegiker Moritz Brückner über Dating mit Querschnittlähmung. Aber keine Sorge: Minderjährigen Lesern muss man jetzt nicht ganz schnell die Augen zuhalten. Brückner spricht vor allem über die psychischen Hürden, die es zu nehmen gilt, bevor ein querschnittgelähmter Mensch Herz, Verstand und vielleicht auch das Bett eines anderen Menschen erobern kann.

Für diesen letzten Artikel der Reihe „Worüber Rollstuhlfahrer ungern sprechen“ hatte ich ganze zwei Monate Zeit und habe mich bis zwei Tage vor Abgabe davor gedrückt. Warum? Naja – weil es für mich selbst das schwerste Thema ist und ich auch noch nicht zu 100% weiß, wie ich dazu stehe. Die Theorie habe ich mir in den letzten Jahren schön geredet – in der Praxis sieht es dann doch ab und zu anders aus.
Warum aber beichte ich jetzt, dass ich so nachlässig war und den Artikel bis kurz vor den Hosenknopf aufgeschoben habe…? Um euch zu zeigen, dass ich bei weitem kein Experte bin und noch lange nicht für alles die beste Lösung habe. Aber wir müssen daran arbeiten, dass es besser wird also: Legen wir los!
Zu Beginn: Ich werde in diesem Artikel nicht direkt über die verschiedenen Arten sprechen, wie Sex bei oder mit Rollstuhlfahrern möglich ist, gerade weil das sehr individuell ist und es dafür wirklich richtige Experten gibt! Es ist auf jeden Fall möglich – nur wie immer etwas anders.
Ich möchte hier vor allem vier bis fünf psychische Hürden beim Dating mit Querschnittlähmung ansprechen, in der Hoffnung, sie für andere zu verkleinern.

Dating mit Querschnittlähmung
Eine Frage, die mir bei meinen Vorträgen oft gestellt wird: Ist Dating im Rollstuhl schwerer?
Ich würde sagen „Nein“, obwohl gerade alles in mir so gerne „Ja natürlich“ schreiben wollen würde. Aber Dating ist nicht schwieriger: Man lernt jemanden kennen, trifft sich, kommt ins Gespräch, schaut, ob man miteinander klarkommt und wiederholt das Ganze gegebenenfalls. Ich meine, natürlich kannst du es dir selbst schwerer machen, wenn du unbedingt im Club, bei lauter Musik und auf Bauchnabelhöhe der anderen Besucher ein tiefgründiges Gespräch beginnen möchtest. Das fände ich für mich umständlich!
Mache es dir doch einfacher, lege den Ball in deine Hälfte und vertage das Gespräch in das barrierefreie Café deiner Wahl – da riecht es meistens auch besser Aber am Ende sollte jeder so daten, wie er/sie sich am wohlsten fühlt.
Was tatsächlich anderes sein könnte, ist die Häufigkeit der Dates. Hier muss man jetzt aber differenzieren! Wir sind durch unseren Unfall oder unsere Behinderung unfreiwillig eine Art „Special Interest“ – uns sieht man einfach von außen direkt an, dass wir anders sind. Manche stört die Behinderung einfach und in solchen Menschen würde ich auch nicht weiter meine Zeit bei einem Date investieren wollen. Man muss den Rollstuhl, die Prothese oder allgemein die Behinderung als eine Art Filter sehen: Einige sind abgeschreckt, verunsichert oder vielleicht sogar angeekelt und werden sich nicht auf ein Date einlassen. Aber lange nicht alle!
Stell dir mal vor, es würde jeder seine spezielle Vorliebe, seine Ticks und Macken für alle frei ersichtlich um den Hals tragen: Mike, 35, liebt Züge und kaut Fingernägel. Mike wird ganz sicher seinen Partner/Partnerin finden. Es werden vielleicht ein, zwei weniger Dates zustande kommen – aber dafür stören die sich nicht an seinen speziellen Vorlieben.
Kein Catfishing!
Was heutzutage auch gut funktioniert sind Dating-Apps. Man lädt ein paar Bilder hoch, gibt ein paar persönliche Daten, Vorlieben und No-Gos an und kann sich so vielen Menschen auf einmal vorstellen.
Wichtig finde ich jetzt hier:
Belüge andere, und somit auch dich, nicht! Du musst den Rollstuhl nicht zum Mittelpunkt deiner Person machen – verstecke ihn aber auch nicht! Wenn man auf keinem einzigen der Bilder erkennen kann, dass du dein Leben auf 4 Rädern rockst, könnte die erste Begegnung für beide unangenehmer werden, als es sein müsste.
Am attraktivsten ist jeder Mensch sowieso immer, wenn er er selbst ist. Da kann man noch so viel Make-up auftragen, noch so viel trainieren oder mit materiellen Gütern prahlen. Wenn du wirklich möchtest, dass jemand dich und deine Art, deine Macken, deine Spleens liebt, musst du auch du selbst sein.
Nebenbei macht dich das auch aus und hebt dich somit aus dem Einheitsbrei hervor. Menschen lieben dich ja, bzw. gerade weil du so bist, wie du bist! Verstell dich also nicht – damit schadest du dir viel mehr.
Zeig dich!
Ich habe die ganze Zeit die pro-aktive Perspektive gezeigt. Natürlich hat nicht jeder einen extrovertierten und offenen Charakter. Es ist also nur verständlich, dass manche eher dazu tendieren, auf das Glück zu warten. Man darf dann aber nicht enttäuscht sein, wenn man die kommenden Jahre länger Single ist. Ich finde man sollte die gesunde Mischung finden. Ich persönlich gehe offen in Begegnungen und schaue, was sich so ergibt. Das alles aber, ohne mich zu stressen.
Es ist aber einfach wichtig, dass man sich nicht aus Angst, Verunsicherung oder fehlendem Selbstbewusstsein zu Hause verkriecht. Denn dort wird dich Prince/Princess Charming sicher nicht finden! Also geh raus, zeig dich und werde vielleicht sogar pro-aktiv!
Falls du davor Angst hast, hier 2 Tipps fürs Dating mit Querschnittlähmung:
1. Was wäre das Schlimmste, was jetzt gerade passieren kann? Falls der „Worst-Case“ einfach nur wäre: „Ne tut mir leid- das wird nichts mit uns“ dann solltest du das Risiko aber zu 100% eingehen! Denn es könnte ja auch wirklich anders laufen.
2. Bereue lieber das, was du getan hast, als das, was du nicht getan hast. Diesen Spruch habe ich leider zu spät kennengelernt. Geh lieber auf jemanden zu und bekomme einen Korb, als nie zu wissen, wie das mit euch eventuell, vielleicht, potenziell gelaufen wäre. Ersteres tut anfangs kurz weh und vergeht dann auch wieder schnell. Letzteres wird dich noch sehr viel länger begleiten.
In der Ruhe liegt die Kraft
Wie macht man nach dem Daten denn weiter? Eine Allgemeinrezeptur habe ich auch nicht. Was ich nur aus meiner Erfahrung beisteuern kann: Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht, überstürzt nichts und kommuniziert. Je mehr Zeit ihr euch nehmt, desto angenehmer wird das Ganze für beide Parteien. Spätestens beim ersten Mal musst du, ohne gleich den Lehrer zu spielen, kurz ansprechen, wie es denn jetzt weiter geht. Und glaube mir: Für wen der Rollstuhl beim Daten kein Problem war, wird sich zum Thema Sex schon auch seine Gedanken gemacht haben, wenn ihr nicht schonmal davor bei einem Gläschen Wein locker drüber gesprochen habt. Man könnte sich auch darüber austauschen, was man besonders angenehm und schön findet. Solltest du jedoch noch absolut keine Vorerfahrung haben: Sag das und schaut gemeinsam. Was spürt man – was nicht? Was fühlt sich gut an – was nicht? Etc.
Abschließend würde ich gerne noch über einen Punkt sprechen, der mich lange beschäftigt hat: Bin ich gut genug? Das klingt vielleicht jetzt sehr dramatisch. Aber meine Angst war einfach damals, dass meine potenzielle Partnerin mit mir als Partner einfach nicht so ein schönes, spontanes, freies Liebesleben führen könnte.
Moritz Brückner

Wer mehr über Moritz Brücker erfahren will, kann das unter anderem auf einem seiner Internet-Auftritte: Entweder auf seiner Website Moritzbrueckner.de: Querschnitt sehen – hören – verstehen oder auf seinem Instagramm-Account Wheelchair Dude • Moritz (@moritzbrueckner).
Und für den Gedanken müsste ich mich echt nochmal kalt duschen…
Egal wie: Wer bin ich, dass ich das für meine Partnerin entscheiden kann? Meine Aufgabe ist in einer Beziehung recht simpel: Ich gebe das Beste, was ich kann und versuche, der beste Freund zu sein. Denn es braucht keine großen, pompösen Aktionen. Es sind die kleinen Dinge, wie beispielsweise füreinander da zu sein, ein offenes Ohr zu haben und seinen Lieblingsmenschen zu unterstützen, wo man es nur kann – das ist entscheidend.
Dieses kitschige Sprichwort kennen wir alle: Auf jeden Topf passt ein Deckel. Und da ist es so egal wie groß, rissig, verformt oder löchrig der Topf ist. Denn am Ende ist genau der das perfekte Gegenstück zum Deckel mit Sprung. Man muss nur gut suchen, sich zeigen und sich trauen – aber das müssen alle.
Der Text von Moritz Brückner wurde in Ausgabe 1/2023 der Zeitschrift RehaTreff erstveröffentlicht. In dieser Reihe erschien auch sein Beitrag Themen, über die wenige Menschen mit Querschnittlähmung sprechen sowie Leben mit Querschnittlähmung: „Jeder muss den Gipfel seines eigenen Eisbergs selbst erklimmen“. Der-Querschnitt.de bedankt sich ganz herzlich für die Zustimmung zur Zweitveröffentlichung!
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