Leben mit Querschnittlähmung: „Planung ist alles!“

Achim Reifenrath ist seit einem Unfall querschnittgelähmt und im Rollstuhl mobil. Seine Lähmungshöhe von Th 4/5 machen im Alltag, so der Rheinland-Pfälzer, vor allem eine minutiöse Planung notwendig.

Symbolbild

Der Alltag von Achim Reifenrath ist mitunter recht anstrengend. Der Paraplegiker arbeitet in Teilzeit in seinem Beruf als Konstrukteur, schmeißt den Haushalt und geht regelmäßig zur Physio- und Ergotherapie. Das Wichtigste, das Reifenrath in seinen über sechs Jahren im Rollstuhl gelernt hat, ist, dass es ohne Planung nicht geht. Grund dafür seien der Mangel an Barrierefreiheit in Deutschland und die fehlende Inklusion bestimmter Anspruchsgruppen in der Gesellschaft.

Zunächst einmal steckt in der Küche des 50-Jährigen eine Menge Planung. „Ich habe zwar keine komplett barrierefreie Küche mit absenkbaren Schränken“, so Reifenrath, „aber sie ist schon ganz schlau eingerichtet. In der Mitte ist eine Kochinsel, mit Herdplatten und Spüle. Das heißt, wenn ich etwas abschütten will, dann muss ich den Topf nur zum Spülbecken ziehen und ihn nicht erst auf dem Schoß durch die Gegend fahren. So schütze ich mich vor Verbrennungen und Verbrühungen. Auch sehr hilfreich sind dabei lange Ofenhandschuhe!“

Erschwerte Freizeitgestaltung

Das größte Problem sieht Reifenrath in der Einschränkung seiner Spontanität in der Freizeit, und das liegt nicht nur daran, dass es im Westerwald den einen oder anderen Hügel gibt, der nur mit Vorspannrad zu bewältigen ist. „Ich führe jeden zweiten Tag abends ab. Das heißt, ich plane meine Aktivitäten so, dass sie an einem Tag stattfinden, an dem ich nicht meine Zeit für das Darmmanagement aufbringen muss. Oder wenn das unbedingt sein muss, dann so, dass ich am frühen Abend wieder zuhause bin. Aber das ist natürlich nicht alles, was ich planen muss. Tatsächlich geht es nie ohne. Ich muss immer vorher anrufen. Herausfinden, ob es eine Sonderparkplatz gibt und wo der ist… Nichts was ich machen möchte, funktioniert einfach so. Ich gehe zum Beispiel sehr gerne in die Sauna, weil ich die Wärme sehr genieße. Aber ich kann nicht auf die Bänke dort transferieren. Also muss ich in meinem Rollstuhl in die Sauna. In das Tauchbecken kann ich damit natürlich nicht. Zum Abkühlen reicht mir aber auch die kühle Luft im Freien.“

„Urlaub ist auch schwierig. Ich muss mich im Vorfeld informieren, wie die Gegebenheiten vor Ort sind. Wie ist die Parksituation? Wo kann ich parken? Ich informiere mich da über Google Maps. Dann muss ich im Hotel erstmal anfragen, ob es barrierefrei ist. Die Toilettensituation ist da ein großes Problem. Die meisten Hotels, die angeben für Rollstuhlfahrer geeignet zu sein, haben eine Toilette, auf die man transferieren muss. Das funktioniert für mich nicht. Ich führe auf einem Duschrollstuhl sitzend in die Toilette ab. Den Duschrollstuhl würde ich ja mitbringen, aber ich kann dann damit nicht über die Toilette fahren. Wenn meine Freundin und ich mit den Kindern unterwegs sind, stellt sich die Frage, ob ich überhaupt draufkomme auf den Spielplatz, und falls ja, ob der Boden da für den Rollstuhl geeignet ist.“

Fehlende Barrierefreiheit

Dass es diese Beschwernisse in der Freizeit gibt, ist schon unerfreulich genug. Richtig ärgerlich wird es, wenn sie im alltäglichen Umfeld lauern und aus Kleinigkeiten Herkulesaufgaben machen. „Mit Querschnittlähmung dauert alles viel länger. Das Aufstehen, das Einkaufen, das Kochen, das Kommen von A nach B. Eine Schwelle von zehn Zentimetern bedeutet für mich, dass ich es ohne Hilfe nicht zum z. B. Optiker schaffe…“. Dass es in seiner Heimatgemeinde nicht wirklich barrierefrei zugeht, macht das nicht einfacher. „Eine Zeit lang war eine Straße wegen Sanierungsarbeiten gesperrt. Und jetzt, da sie wieder für Autos und Passanten zugänglich ist, stell ich fest, dass ich als Rollstuhlfahrer immer noch ganz schlechte Karten habe. Jetzt – nach der Neugestaltung – ist da immer noch ein Bürgersteig mit einer 2,5-Zentimterschwelle. Das ist doch nicht barrierefrei!“

Diese Missachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit führt Reifenrath auf die Ignoranz der Entscheidungsträger zurück. „Wozu werden Gesetze denn gemacht, wenn sich niemand daran hält? Ich werde mich mit einer E-Mail an die Gemeinde wenden und diese Frage stellen, verspreche mir aber, ehrlich gesagt, wenig davon. Da wird nur der Kosten-Nutzen-Faktor gesehen, nicht der Mensch.“

Dass Reifenrath seine Erwartungen im Speziellen und sein Vertrauen in Entscheidungsträger im Allgemeinen nicht allzu hoch ansetzt, hat den Grund, dass er im nähren Umfeld nicht zum ersten Mal mit dieser Ignoranz konfrontiert wird. „Beim Neubau eines öffentlichen Schwimmbads mit Sauna fragten beim Sichten der Pläne die Mitarbeiter wieso zum Saunabereich denn eine Treppe führen sollte. Wo da die Rollstuhlfahrer raufkämen? Die Antwort, die sie erhielten, war: ‚Rollstuhlfahrer in der Sauna? Das gibt es nicht!‘ Und damit war die Diskussion beendet gewesen. So haben mir das jedenfalls die Mitarbeiter berichtet…“.

Teilhabe nur schwer umzusetzen

„Die Teilhabe ist für Menschen im Rollstuhl nur dann möglich, wenn auch an ihre Ansprüche an die Barrierefreiheit gedacht und das entsprechend umgesetzt wird. Aber Minderheiten werden nicht gehört. Ich würde mir wirklich wünschen, dass da ein Umdenken stattfindet und Integration und Inklusion nicht nur Schlagworte sind, die aber ignoriert werden. Das da einiges falsch läuft, obwohl die entsprechenden Gesetze ja da sind, sieht man aktuell u. a. auch an den Ladestationen für Elektroautos. Als Rollstuhlfahrer kommt man da einfach nicht ran.“

Derzeit stellt dies für Reifenrath zwar noch kein Problem dar, da er ein dieselbetriebenes Fahrzeug fährt, „..aber ich denke da schon mal voraus, an die Zukunft, denn vorbei wird man an einem Elektroauto auf lange Sicht ja nicht kommen.“

Siehe hierzu: Mehr barrierefreie Infrastruktur für E-Ladesäulen


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