Psychologische Aspekte bei Querschnittlähmung: „Viele Männer weigern sich, Schwäche zu zeigen.“
Claudia Miler ist Systemische Beraterin und Psychotherapeutin und begleitet u.a. Menschen mit Querschnittlähmung. Da sie selbst Tetraplegikerin ist, kann sie sich in die Situation der meisten gut hineinversetzten und weiß, wie sehr sich manche Menschen scheuen Schwäche zu zeigen.

Claudia Miler war 16 Jahre alt, als sie sich 1998 bei einem Unfall eine Querschnittlähmung auf Höhe C 6/7 zuzog. Ihre Ausbildung zur Fotografin an der Graphischen (eine Höhere Technische Schule für Medien) in Wien musste sie abbrechen, da die Schule selbst nicht barrierefrei und der berufliche Alltag (damals) mit eingeschränkter Handfunktion kaum ausübbar war.
Während ihrer Reha im Rehabilitationszentrum Weißer Hof in Klosterneuburg durchlief sie die üblichen Therapien (Physio-, Ergotherapie, Mobilitätstraining, etc.), doch kamen die psychischen Aspekte der Rehabilitation zu kurz. „Damals fiel mir das gar nicht auf“, sagt Miler. „Ich hatte so viel damit zu tun mich an mein neues Leben zu gewöhnen, da dachte ich gar nicht daran, was das alle für meine Psyche bedeutet. Zwar gab es schon Leute, die mir immer wieder prophezeiten ‚Claudia, du wirst irgendwann in tiefes Loch fallen‘, aber das passierte einfach nicht. Ich kam ganz gut klar. Ich dachte, da hätte ich einfach Glück.“
Was Miler nicht bedachte, und was man ihr auch nicht deutlich vor Augen führte, war die Tatsache, dass der Eintritt einer traumatischen Querschnittlähmung ein für die Psyche hochkomplexes Ereignis ist, dass nicht nur in der Akut- sondern auch in der chronischen Phase seine Konsequenzen haben kann.
Die Wienerin erzählt weiter: „Aber dann, ein paar Jahre nach dem Klinikaufenthalt, ging es mit wirklich nicht gut. Eine berufliche Reha hatte ich nie gehabt. Der Status „Berufsunfähigkeit“ ist schnell gemacht. Ich verbrachte meine Zeit damit Rollstuhlrugby zu spielen. Aber heute weiß ich: ich hatte keine sinnvolle Aufgabe! Und der Sport war, für mich, kein vollwertiger Ersatz.“
„Nach den Spielen und nach dem Training ging ich viel mit meinen Teamkollegen aus. Und ich trank zu viel Alkohol. Ich kann sagen, das ging schon in eine ungesunde Richtung. Die Kraft mein Leben zu ändern, fand ich erst als meine Tochter zur Welt kam.“
Der Wendepunkt
„Die Wendung in meinem Leben kam, als ich mit 25 ungeplant schwanger wurde. Ab da ging es nicht nur mehr um mich. Alles drehte sich jetzt um meine Tochter. Für sie wollte ich ein anderer Mensch sein.“ Mittlerweile ist sie Mutter von zwei Kindern.
„Die Pflegedienstleitung während meiner Reha wollte mich schon mit 16 im Team haben als Beraterin*(*In Österreich ist „Berater/in“ ein geschützter Begriff) . Als junge Tetraplegikerin hatte ich da ganz andere Erfahrungen gemacht als die Berater – die meisten waren Männer – die sie schon hatten. Nach der Geburt meiner Tochter wollte ich dann arbeiten gehen und nach einer Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterberaterin arbeitete ich dann zehn Jahre dort wo sie selbst rehabilitiert wurde, in der Patient*innenberatung, am Weißen Hof.“
Parallel zu ihrer Arbeit machte Miler weiter Fortbildungen z. B. in Sexualberatung, Supervision und Mediation und schließlich Psychotherapie – Verhaltenstherapie. Ihre Masterarbeit schrieb sie über die Ressource Arbeit bei der Rehabilitation von Menschen mit Querschnittlähmung. Sie sagt: „Die berufliche Rehabilitation ist so wichtig aber gerade für Tetraplegikerinnen ist sie nicht gerade optimal, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.“
„Viele Personen unterschätzen, wie wichtig und nachhaltig psychosoziale Begleitung nach einem traumatischen Unfall ist“
Die Bereitschaft Hilfe anzunehmen ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.
„In der Klinik gibt es natürlich das Angebot einer psychischen Rehabilitation. Psychologen sind da! Aber meiner Erfahrung nach wird diese Hilfe oft abgelehnt. Viele sind sehr verschlossen. Vor allem Männer weigern sich, Psychosoziale Unterstützung anzunehmen, weil sie oft noch annehmen dass dies ein Zeichen von Schwäche sei. Häufig kompensieren die Personen es dann mit Strategien, die schon etwas Selbstzerstörerisches haben. Das liegt vielleicht ihrer der Erziehung, daran was in unserer Gesellschaft als akzeptabel gilt. Leider gibt es aber auch Vorbilder; Menschen mit Querschnittlähmung, die viel erreicht haben, die aber genau diese ungesunden Strategien haben. Wer aber Hilfe – in jeder nicht nur in psychologischer Form ablehnt – muss die Konsequenzen, die in Folge auftreten, dann auch akzeptieren. Hilfsmittel sind dazu da genutzt zu werden. Die Bereitschaft diese Hilfe anzunehmen ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.“
Unterstützung annehmen zu müssen, fällt vielen Menschen nicht leicht. Dies gilt vor allem dann, wenn man eine lange Zeit ohne Hilfe auskam und sich plötzlich in einer Situation findet, in der es ohne nicht mehr geht. Rollstuhlfahrer*innen, die zunächst einen manuellen Rollstuhl hatten, stellen vielleicht nach ein paar Jahre fest, dass es notwendig ist einen Zusatzantrieb zu verwenden. Andernfalls ruinieren sie sich die Gelenke. Und wenn psychische Probleme erst ein oder zwei Jahre nach der Rückenmarksverletzung oder noch später auftreten, ist dies dann immer noch der richtige Zeitpunkt sich um Hilfe zu bemühen. In einem ersten Schritt könnten sich Betroffene an das Querschnittgelähmten-Zentrum wenden, in dem sie die Erstrehabilitation gemacht haben und dort mögliche Therapieangebote erfragen.
Miler weiß aus Erfahrung: „Nachdem die Erstrehabilitation abgeschlossen ist und nach der Entlassung zu Hause ist, kann der Bedarf an psychotherapeutischer Begleitung teilweise höher sein als in der Akutphase, bei der keine Zeit bleibt über die neue Situation nachzudenken und man nie alleine ist durch das interdisziplinäre Team des stationär rund um die Uhr anwesend ist. Und auch die psychotherapeutische Begleitung von Angehörigen sollte ein wesentlicher Baustein sein.“
Milers Berufsalltag heute
Seit 2025 arbeitet Miler in einer eigenen Praxis und als Psychotherapeutin in einem Primärversorgungszentrum mit Schwerpunkt der psychische Gesundheit in Wien. Derzeit begleite sie zwei Familien mit neu eingetretener unfallbedingter Querschnittlähmung.
In eigener Praxis begleitet sie Betroffene und auch Angehörige schon ab der Akutphase im Spital bis hin zur Rehabilitation und der Zeit danach. „Ich sehe da einen ganz großen Bedarf – nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Angehörigen. Es kommt oft vor, dass eine Partnerschaft scheitert, wenn sich ein Partner eine Querschnittlähmung zuzieht. Das passiert vor allem dann, wenn die Rollenverteilung kippt und der Partner zum Pflegenden wird. Aber auch da lassen sich im Gespräch gemeinsame Lösungen finden.“
Die Beratung kann vor Ort aber auch telefonisch oder per Zoom stattfinden und ist eine Privatleistung.
www.umfeldberatung.at (externer Link)
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