Vitamin-D-Mangel bei Querschnittlähmung

Vitamin D spielt eine wichtige Rolle im Calcium- und Phosphatstoffwechsel und sorgt so für starke Knochen und kräftige Muskeln. Aber Menschen mit Querschnittlähmung leiden überdurchschnittlich oft an Vitamin-D-Mangel. Bei bis zu 93 Prozent ist der Vitamin-D-Spiegel zu niedrig. Zum Vergleich: Bei Menschen ohne Querschnittlähmung liegt der Wert bei etwa 30 Prozent, manche Quellen sprechen von 40 Prozent.

Gerade im Winter hat die Sonne nicht genug Kraft, um die Vitamin-D-Produktion ausreichend anzukurbeln.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) betont, dass Vitamin D unter den Vitaminen eine Sonderstellung einnimmt. Es ist das einzige Vitamin, das der menschliche Körper selbst bilden kann. Angekurbelt wird die Vitamin-D-Produktion durch Sonnenlicht. Diese körpereigene Vitaminfabrik, am Laufen gehalten durch Sonnenbäder (ganz korrekt gesagt: durch die UVB-Lichtexposition) leistet den größten Beitrag zur Vitamin-D-Produktion.

Wer weshalb wieviel Vitamin D produzieren kann, ist noch nicht völlig geklärt. Hier gibt es starke individuelle Schwankungen. Weshalb im Körper der meisten Menschen mit Querschnittlähmung zu wenig Vitamin D entsteht, ist ebenfalls noch ungeklärt.

Zahlreiche negative Faktoren

Eine Studie (Vitamin D deficiency in individuals with a spinal cord injury: a literature review | Spinal Cord, „Vitamin-D-Mangel bei Personen mit einer Rückenmarksverletzung: eine Literaturübersicht“, externer Link) nennt zumindest einige mögliche Ursachen. Hauptfaktoren könnten demnach Immobilität, geringe körperliche Aktivität und Bettruhe und damit zu wenig Sonneneinstrahlung sein. Darüber hinaus scheinen Alter, Hautpigmentierung, Läsionsgrad, Auftreten von Druckgeschwüren, Body-Mass-Index, Jahreszeit und auch der Breitengrad, auf dem die Betroffenen leben, den Vitamin-D-Spiegel zu beeinflussen.

Für die Studie wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Nach Auswertung von 16 relevanten Studien kommen die Autoren zu dem Schluss: „Insgesamt scheint die Prävalenz von Vitamin-D-Mangel oder -Insuffizienz in dieser Population (Bereich: 32 bis 93%)“ im Vergleich zu Menschen ohne Querschnittlähmung hoch zu sein.

Bei Querschnittlähmung: Höherer Bedarf an Vitamin D

Bei Menschen ohne Querschnittlähmung gilt ein Vitamin-D-Status von mindestens 50 nmol/l als ausreichend, obwohl auch hier die Grenzwerte umstritten sind. (Siehe dazu externer Link: Vitamin D for the Prevention of Disease: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline – PubMed)

Bei Menschen mit Querschnittlähmung sollte es ein bisschen mehr sein, sagt auf E-Mail-Anfrage PhD Anneke Hertig-Godeschalk von der Schweizer Paraplegiker-Forschung. „Bei uns im klinischen Alltag sowie auch in der Forschungsstudien wird 75 nmol/l als Grenzwert eingesetzt. Unserer Meinung nach – und gemäss Literatur – weist dieser Wert bei Personen mit einem erhöhten Risiko für Vitamin-D-Insuffizienz und damit zusammenhängende Erkrankungen wie Osteoporose – wie Personen mit Querschnittslähmung – auf bessere Auswirkungen hin. “

Eine Vitamin-D-Status von 75 nmol/l gilt Expertinnen und Experten bei Menschen mit Querschnittlähmung also als erstrebenswertes Ziel. Ein hoher Wert, der nur schwer zu erreichen ist.

Vitamin-D-Insuffizienz bei akuter Querschnittlähmung

Hertig-Godeschalk war in zwei Studien der Schweizer Paraplegiker-Forschung zum Thema Vitamin-D-Versorgung involviert.  Eine Studie betrachtete Menschen mit akuter Querschnittlähmung, die zweite Studie Menschen mit chronischer Querschnittlähmung.

Die erste Studie untersuchte die Häufigkeit eines unzureichenden Vitamin-D-Status zu Beginn einer Rückenmarksverletzung. (Siehe dazu auch externer Link: Prevalence of an insufficient vitamin D status at the onset of a spinal cord injury – a cross-sectional study – PubMed). Diese Querschnittsstudie zeigte, dass bereits kurz nach Eintritt einer Querschnittlähmung der Vitamin-D-Status bei den Betroffenen auffällig niedrig war. „92% der Patienten hatten einen unzureichenden (≤ 75 nmol/l) Vitamin-D-Spiegel“, so die Wissenschaftlerin in ihrer E-Mail-Antwort. Genauer aufgeschlüsselt: Bei 67% lag der Vitamin-D-Spiegel bei ≤ 50 nmol/l und war damit mangelhaft, bei 25% lag der Wert bei ≤ 75 nmol/l und war damit unzureichend-

Von den Patienten erhielten 92% eine Vitamin-D3-Supplementierung. Im Median bekamen sie 1100 IE (=Internationale Einheit, Maßeinheit für die Wirkung von Substanzen wie Vitaminen und Medikamenten am Tag). Dies waren etwa 500 IE mehr als für gesunde Menschen ohne Querschnittlähmung empfohlen. (Siehe dazu auch externer Link Vitamin D for the Prevention of Disease: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline – PubMed)

„Dennoch stieg der Anteil der Patienten mit einem suffizienten, also ausreichenden, Vitamin-D-Spiegel nur von 8% auf 61%“, berichtet Hertig-Godeschalk. Dieser Umstand könne sich aufgrund der genannten Risiken nachteilig auf die Fortschritte in der Rehabilitation auswirken.

Vitamin-D-Insuffizienz bei chronischer Querschnittlähmung

In einer zweiten Studie konzentrierten Hertig-Godeschalk und ihre Kolleginnen und Kollegen sich auf Menschen, die seit mindestens einem Jahr querschnittgelähmt waren und zu Studienbeginn einen insuffizienten Vitamin-D-Spiegel hatten. Sie untersuchten den Effekt von zwei verschiedenen Dosen D3-Supplementierung während 12 Monaten auf deren Vitamin-D-Spiegel. Die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern wurde entweder  24.000 IE D3 alle 4 Wochen, 24.000 IE D3 alle 2 Wochen verabreicht, oder ein Placebo (Präparat ohne Wirkstoff) verabreicht. (Das Studienprotokoll steht unter diesem externen Link zum Nachlesen bereit: Vitamin D supplementation in chronic spinal cord injury (VitD-SCI): study protocol for a randomised controlled trial – PubMed, „Vitamin-D-Supplementierung bei chronischer Rückenmarksverletzung (VitD-SCI): Studienprotokoll für eine randomisierte kontrollierte Studie“)

„Wir haben herausgefunden das die D3-Supplementierung gut vertragen wurde und die Vitamin-D-Spiegel deutlich unterhalb der Überschreitungsschwelle blieben“, also unter dem Wert, der auf eine Überdosierung hindeuten würde, resümiert die Wissenschaftlerin. (Für mehr Informationen siehe auch externer Link Efficacy of Vitamin D3 Supplementation in Elevating Circulating 25(OH)D Concentration in Individuals With Chronic Spinal Cord Injury (VitD-SCI): Evidence From a Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial | Topics in Spinal Cord Injury Rehabilitation, „Wirksamkeit einer Vitamin-D3-Supplementierung zur Erhöhung der zirkulierenden 25(OH)D-Konzentration bei Personen mit chronischer Rückenmarksverletzung (VitD-SCI): Belege aus einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie“)

Andererseits sei die verabreichte Dosis nicht hoch genug gewesen, um bei allen Teilnehmern einen suffizienten, also ausreichenden (> 75 nmol/l) Vitamin-D-Spiegel zu erreichen. Insgesamt erreichten nur 33% der Studienteilnehmer einen suffizienten Spiegel.

Auswirkungen auf Harnwegsinfekte und Dekubitus

Ein Vitamin-D-Mangel steht auch unter dem Verdacht, bei Querschnittlähmung zahlreiche negative körperliche Auswirkungen zu haben.

Die Schweizer Paraplegiker Forschung zählt im Rahmen der Berichterstattung über die Swiss Spinal Cord Injury Cohort Study (SwiSCI) einige mögliche Folgen auf. Da wären zum einen Auswirkungen, die Menschen mit und ohne Querschnittlähmung gleichermaßen treffen: Zum Beispiel kann die Knochendichte abnehmen (siehe auch Osteoporose bei Querschnittlähmung – Der-Querschnitt.de), Schmerzen können vermehrt auftreten und die Muskeln an Kraft verlieren.

Bei Menschen mit Querschnittlähmung könne ein Vitamin-D-Mangel jedoch zusätzlich mit weiteren Beschwerden einhergehen:

Bisher keine messbare Wirkung

Hertig-Godeschalk und ihre Kolleginnen und Kollegen haben auch diese Aspekte berücksichtigt. „In der Studie bei Menschen mit chronischer Querschnittlähmung hatten wir auch ein sekundäres Ziel. Dazu haben wir den Effekt der D3-Supplementierung auf verschiedene relevante Parameter untersucht: Auftreten von Harnwegsinfektionen, Dekubitus, Stürzen und Schmerzen, Handgriffstärke, Mobilität, Müdigkeit, Angst/Depression und Knochendichte“, schreibt die Wissenschaftlerin.

Das Ergebnis war ernüchternd. „Es gab keine messbare Wirkung auf einen der untersuchten Parameter. Vermutlich lag das auch daran, dass nur 33 % der Studienteilnehmer einen ausreichenden Vitamin-D-Spiegel erreichten.“ (Für mehr Informationen siehe externer Link No discernible effect of vitamin D supplementation on secondary outcomes in chronic spinal cord injury: Findings from a randomized controlled trial – PubMed)

Zukünftige Studien sollten die Wirksamkeit höherer Dosierungen untersuchen, insbesondere bei Personen mit klinisch relevanten Werten der jeweiligen Parameter, sowie auch in größeren Studienpopulationen.

Was tun gegen Vitamin-D-Mangel?

Vermutlich denken viele zunächst an die gute alte Sonne als Booster für die Vitamin-D-Produktion.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat gemeinsam mit dem „UV-Schutz-Bündnis“ (Kooperation namhafter Gesellschaften, Organisationen und Behörden aus Strahlenschutz, Medizin, Wissenschaft und Arbeitsschutz, siehe externer Link BfS – UV-Schutz-Bündnis) eine Empfehlung zur „UV-Exposition zur Bildung des körpereigenen Vitamin D“ herausgegeben.

Was darin – für alle Menschen – empfohlen wird, klingt machbar: Offenbar genügt es, Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnenschutz zwei- bis dreimal pro Woche der Sonne auszusetzen. Wie lange, bestimmt die eigene Haut: Man sollte die Hälfte der Zeit ungeschützt in der Sonne verbringen, in der man einen Sonnenbrand bekommen würde.“

Im Herbst und Winter kann man zwar auch noch Sonne tanken und damit den Vitamin-D-Speicher ein bisschen zu füllen. Aber in Mitteleuropa ist von Oktober bis März die Sonnenstrahlung nicht stark genug, um wirklich ausreichend Vitamin D zu produzieren. In diesen Monaten greift der Körper auf die Depots zurück, die er sich im Sommer angelegt hat.

Nötige Werte mit Querschnittlähmung kaum erreichbar

Für Menschen mit Querschnittlähmung kann es schwierig werden, die nötigen Werte zu erreichen. Außer sie sind ausgesprochene Outdoor-Cracks. Dazu schreibt Hertig-Godeschalk: „Wie unsere Studien gezeigt haben, ist ein insuffizienter Vitamin-D-Spiegel bei Menschen mit Querschnittlähmung weit verbreitet. In der Schweiz erfordert die Produktion von 1000 IE Vitamin D eine tägliche Sonnenexposition von 10 bis 15 Minuten im Sommer und bis zu 6,5 Stunden im Winter. (Siehe dazu auch externer Linkn Estimation of exposure durations for vitamin D production and sunburn risk in Switzerland – PubMed). Diese Dauer stellt für Menschen ohne Querschnittlähmung bereits eine erhebliche Herausforderung dar und ist für die meisten Menschen mit Querschnittlähmung aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität und der begrenzten Zeit, die sie im Freien verbringen, wahrscheinlich unerreichbar. “

Ernährung kann etwas unterstützen

Schließlich kann auch die Ernährung dem Vitamin-D-Spiegel auf die Sprünge helfen. Aber es gibt nur wenige Lebensmittel, die Vitamin D in nennenswerten Mengen enthalten. Dazu gehören laut DGE „insbesondere Fettfische (z. B. Lachs, Hering, Makrele) und in deutlich geringerem Maße Leber, Margarine (mit Vitamin D angereichert), Eigelb und einige Speisepilze“.  Auf (externer Link) Ausgewählte Fragen und Antworten zu Vitamin D | DGE nennt eine Tabelle den Vitamin-D-Gehalt einiger gängiger Lebensmittel. Generell ist die mögliche Vitamin-D-Zufuhr durch entsprechende Nahrungsmittel jedoch sehr gering.

Supplementierung empfohlen

Bleibt als letzter, vermutlich sinnvollster Weg die gezielte, zusätzliche Aufnahme des Vitamins. Natürlich in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin.

Hertig-Godeschalk vertritt dazu eine klare Position. Für die Wissenschaftlerin ist die Einnahme von Supplementen sehr wahrscheinlich der einzige Weg, eine Insuffizienz auszugleichen: „Angesichts der hohen Prävalenz insuffizienter Vitamin-D-Spiegel, der potenziellen Auswirkungen auf wichtige Gesundheitsergebnisse, und die vergleichsweisen geringen Kosten der Supplementierung, sind wir der Meinung, dass eine Vitamin-D-Supplementierung für Personen mit chronischer Querschnittlähmung ratsam ist. Bei Personen mit einem insuffizienten Vitamin-D-Spiegel (≤ 75 nmol/L) wird eine hohe Anfangsdosis, gefolgt von einer niedrigeren Erhaltungsdosis empfohlen, um einen schnellen, aber anhaltenden Anstieg der Vitamin D Spiegel zu erreichen. Eine solche Vorgehensweise sollte jedoch immer in Absprache mit Ihrer Ärztin oder einem Arzt erfolgen“

Eine ähnliche Empfehlung geben auch die aktuellen klinischen Richtlinien der Paralyzed Veterans of America (PVA) – siehe externer Link: CPG_Spinal-Cord-Medicine_2022_FINAL.pdf.

Zum Weiterlesen

Auch wenn der Speiseplan an einem Vitamin-D-Mangel nur wenig ändern kann, spielt für Menschen mit Querschnittlähmung eine gesunde, vitaminreiche Ernährung dennoch eine große Rolle. Auf diesem Weg können sie unter anderem ihre Abwehrkräfte und ihre Hautgesundheit stärken. Auf Der-Querschnitt.de finden sich zahlreiche, für das Thema relevante Beiträge, unter anderem:  


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