Ziel: Effizientere Platzierung von Wirkstoffen bei Erkrankungen des Zentralen Nervensystems
Bei der Behandlung von Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS), wie z.B. Multipler Sklerose, ist die Überwindung der sogenannten Blut-Hirn-Schranke eine große Herausforderung. Diese schützt Gehirn und ZNS zwar effektiv vor Krankheitserregern und Schadstoffen, aber auch medizinische Wirkstoffe können diese Barriere nur schwer überwinden. Ein Forschungsprojekt sucht nun nach biobasierten Materialien für den Transport von Biopharmazeutika über die Schleimhäute in das ZNS.

Rund 165 Millionen Menschen in Europa sind von Krankheiten des ZNS betroffen. Zu ihnen zählt unter anderem Multiple Sklerose. Diese Autoimmunerkrankung kann unter anderem zu einer Querschnittlähmung führen kann (siehe auch Beitrag Multiple Sklerose und Querschnittlähmung). Diese Erkrankungen sind oftmals mit einem starken Leidensdruck der Patienten und ihrer Familien verbunden. Zudem führen sie häufig zu einer enormen Belastung der Sozialsysteme.
Um effektivere Behandlungsmöglichkeiten zu finden, haben sich 17 Projektpartner aus Wissenschaft und Industrie im Netzwerk „Bio2Brain“ zusammengeschlossen. Forschungsziel ist eine effiziente Wirkstoffverabreichung bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS).
Denn biologische Schutzmechanismen schirmen das ZNS des menschlichen Körpers bestens ab. Was jedoch auch zur Folge hat, dass medizinische Wirkstoffe – insbesondere Biopharmazeutika wie monoklonale Antikörper – das ZNS in nur sehr geringen Mengen erreichen erreichen können.
Daher werden zugelassene Arzneimittel − allen voran die erwähnten Biopharmazeutika − derzeit häufig z.B. durch Injektionen verabreicht und gelangen auf diese Weise direkt in das ZNS. Leider weisen solche Verabreichungsformen einige Nachteile auf: Sie sind invasiv, erfordern einen chirurgischen Eingriff mit hohen Risiken, führen zu einer geringen Therapietreue der Patienten und sind schlecht kontrollierbar. Es bestehe daher, so das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB, ein dringender Bedarf an einem wirksameren neuen Ansatz für Technologien zur Medikamentenverabreichung bei der Behandlung von Erkrankungen des ZNS.
Biopharmazeutika
Biopharmazeutika (auch Biologika oder Biologicals) sind biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, die neue Behandlungsmöglichkeiten bei schweren Erkrankungen wie Krebs oder Multipler Sklerose bieten sollen. Biopharmazeutisch hergestellte Arzneien können aus tausenden von Molekülen bestehen. (Zum Vergleich: Arzneien, die mit herkömmlichen chemischen Verfahren produziert werden, bestehen aus maximal einigen hundert Atomen). Biopharmazeutika werden mithilfe gentechnischer Produktionsprozesse in lebenden Organismen (daher der Wortbestandteil „bio“), z. B. in bestimmten gentechnisch veränderten Säugetierzellen, hergestellt (siehe auch externer Link Biopharmazeutika).
Europäisches Weiterbildungsprogramm mit interdisziplinärer Expertise
„Um diesen Wandel aktiv zu gestalten, haben wir nun das Netzwerk Bio2Brain ins Leben gerufen“, erklärt Dr. Carmen Gruber-Traub. Sie forscht am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und koordiniert das Bio2Brain-Projekt leitend. „Gefördert wird das Netzwerk im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA) des EU-Forschungsförderprogramms Horizont 2020.“ Die Förderung ist zunächst auf vier Jahre festgelegt.
Der Zusammenschluss soll eine Forschungsumgebung für die interdisziplinäre und sektorübergreifende Ausbildung von 13 Nachwuchsforschenden (Early Stage Researcher, kurz ESR) schaffen. Sie werden dabei von elf Forschungseinrichtungen und Universitäten, sechs Industriepartnern und einer akademischen Non-Profit-Organisation unterstützt. Getreu dem Prinzip „Ausbildung durch Forschung“ arbeiten die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeweils 36 Monate an ihren eigenen individuellen Forschungsprojekten. Diese sind wiederum Teil der wissenschaftlichen Arbeitspakete.
Die ESR erhalten im Laufe dieses Trainingsprogramms Einblick in die Entwicklung neuer fortschrittlicher Materialien, Formulierungen und technischer Proteine für die intranasale ZNS-Verabreichung von monoklonalen Antikörpern. Zwei der insgesamt 13 geförderten ESR nehmen am Fraunhofer IGB ihre Arbeit auf. Die beiden ESR forschen dabei an Formulierungen bzw. neuen biobasierten Materialien für den Transport von Biopharmazeutika über die Schleimhäute in das ZNS.
Durch die Nase direkt ins Gehirn
Bereits in den Jahren zuvor widmete sich ein internationales Konsortium der Entwicklung einer neuen Technologie für eine bessere Behandlung von Multipler Sklerose. Auch dieses Forschungsprojekt hatte die EU gefördert. Der „Nose2Brain“-Ansatz sieht vor, einen speziellen Wirkstoff direkt über die Nase in das zentrale Nervensystem zu transportieren. Üblicherweise werden medizinische Wirkstoffe über das Blut im Körper verteilt. Dies geschieht entweder direkt durch Injektion in die Blutbahn oder indirekt, beispielsweise über den Verdauungstrakt nach oraler Einnahme. Bei vielen Erkrankungen – etwa des ZNS – ist es jedoch entscheidend, den Wirkstoff möglichst effizient an den gewünschten Wirkort zu transportieren.
Zu diesem Zweck arbeitete das Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB an einer Wirkstoffformulierung, die mittels eines speziellen Applikators direkt in der Regio olfactoria angebracht wird. Dort soll sie den Wirkstoff über einen längeren Zeitraum abgeben können.
Denn das Gehirn mit der umgebenden Flüssigkeit ist an dieser Stelle nur durch das Siebbein und einige Zellschichten von der Nasenhöhle getrennt. Der Wirkstoff kann diese Barriere einfach durchdringen und das Gehirn auf kurzem Wege direkt erreichen.
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